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Kolumne Ohne Schmerz kein Erfolg für Großbritannien?

Ist Keynes für Labours Wahlniederlage verantwortlich? Nein, meint Robert Skidelsky.
Robert Skidelsky
Robert Skidelsky
© Getty Images

Robert Skidelsky ist Mitglied des britischen Oberhauses und emeritierter Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Warwick.

Der Wirtschaftshistoriker Niall Ferguson erinnert mich an den verstorbenen Oxford-Historiker A.J.P. Taylor. Obwohl Taylor darauf beharrte, dass er in seinen historischen Schriften versuche, die Wahrheit zu schildern, war er gern bereit, der guten Sache wegen an den Tatsachen zu drehen. Auch Ferguson ist ein wunderbarer Historiker – aber völlig skrupellos, wenn er politisch wird.

Fergusons Sache ist der US-amerikanische Neokonservativismus, verbunden mit einer unnachgiebigen Abneigung gegenüber Keynes und dessen Anhängern. Seine jüngste Verteidigung der Austeritätspolitik folgte unmittelbar auf die Parlamentswahl in Großbritannien, als er in der Financial Times schrieb: „Labour sollte Keynes die Schuld für ihre Niederlage geben.“

Fergusons Argumentation ist die eines brutalen Zuchtmeisters, der seine Methoden damit rechtfertigt, dass das Opfer ja noch am Leben sei. In seinem Plädoyer zugunsten des britischen Schatzkanzlers George Osborne verweist Ferguson darauf, dass die britische Volkswirtschaft im vergangenen Jahr um 2,6 Prozent gewachsen sei (die „leistungsstärkste unter den G7-Volkswirtschaften“), aber er ignoriert die Schäden, die Osborne der Volkswirtschaft auf dem Weg zu diesem Aufschwung zugefügt hat.

Sparpolitilk hat Großbritannien geschadet

Über diese Schäden besteht inzwischen weitgehende Einigkeit. Das Office of Budget Responsibility – die von Osborne zur Bewertung der makroökonomischen Leistung der Regierung eingerichtete unabhängige Behörde –, hat gerade festgestellt, dass die Austeritätspolitik das BIP zwischen 2010 und 2012 um zwei Prozent verringert habe; damit beliefen sich die Gesamtkosten dieser Politik seit 2010 auf fünf Prozent des BIP. Simon Wren-Lewis von der Universität Oxford schätzt, dass sich der Schaden auf bis zu 15 Prozent des BIP belaufen könnte. Und bei einer Umfrage des Centre for Macroeconomics unter britischen Ökonomen stimmten zwei Drittel zu, dass die Austeritätspolitik der britischen Wirtschaft geschadet habe.

Zudem ist Großbritannien dabei nicht allein. In seinem World Economic Outlook vom Oktober 2012 räumte der IWF ein, dass die „fiskalischen Multiplikatoren weltweit unterschätzt wurden.“ Auf gut Deutsch: Die Prognostiker unterschätzten das Ausmaß der ungenutzten Kapazität und damit das Potenzial, durch eine expansive Haushaltspolitik die Wirtschaftsleistung anzukurbeln.

War das ein bedauerlicher Irrtum? Oder lag es daran, dass die Prognostiker Wirtschaftsmodellen hörig waren, die implizierten, dass in den Volkswirtschaften Vollbeschäftigung herrschte, in welchem Falle das einzige Ergebnis einer expansiven Haushaltspolitik Inflation gewesen wäre? Inzwischen wissen sie es besser, und auch Ferguson sollte es besser wissen.

Ein deprimierender Aspekt an Fergusons Skrupellosigkeit ist sein Versäumnis, die Auswirkungen der Großen Rezession auf Regierungsleistung und Wirtschaftserwartungen anzuerkennen. So vergleicht er das Wachstum von 2,6 Prozent im Jahr 2014 mit dem Rückgang der Wirtschaftsleistung um 4,3 Prozent im Jahr 2009, das er als „das letzte vollständige Jahr unter einer Labour-Regierung beschreibt“ – als ob die Labour-Politik den Wachstumseinbruch verursacht hätte. In ähnlicher Weise schreibt er: „Zu keinem Zeitpunkt ist [die Zuversicht] nach Mai 2010 auf das Niveau zurückgefallen, auf dem sie während der letzten beiden Jahre der katastrophalen Amtszeit Gordon Browns als Premierminister durchgängig verharrte“ – als ob es die Leistung der Regierung Brown gewesen wäre, die die Zuversicht der Unternehmen einbrechen ließ.

Labour betrieb keine keynesianische Politik

Die Behauptung, Keynes sei schuld an Labours Wahlniederlage, ist besonders merkwürdig. Schließlich hat die Labour-Führung im Wahlkampf nichts mehr versucht, als die Partei von jedem Hauch von Keynesianismus zu distanzieren. Vielleicht war Ferguson der Ansicht, dass es Labours frühere Verbindung zu Keynes war, die die Partei dem Untergang geweiht hatte – „ihre katastrophale Leistung vor und während der Finanzkrise“, wie er es formuliert.

Nur waren die letzten Labour-Regierungen entschieden nicht-keynesianisch; die Geldpolitik war auf ein Inflationsziel von zwei Prozent ausgerichtet, und die Haushaltspolitik zielte darauf ab, den Etat über den Wirtschaftszyklus hinweg auszugleichen. Anders ausgedrückt: Bevor die Rezession zuschlug, verfolgte Labour eine konventionelle makroökonomische Politik. Das Schlimmste, was man der Partei wirtschaftspolitisch vorwerfen kann, ist, dass sie sich zu stark die Vorstellung sich selbst optimal regulierender Finanzmärkte zu eigen machte – eine Sichtweise, die Keynes ablehnte.

Keynes hatte keine Schuld an der Niederlage von Labour; diese ist überwiegend auf die Lage in Schottland zurückzuführen. Der Erdrutschsieg der Scottish National Party führte dazu, dass Labour in ganz Schottland nur noch einen Sitz gewann. Es gibt zweifellos eine Menge Gründe für den überwältigenden Triumph der SNP, aber Unterstützung für die Austeritätspolitik gehört nicht dazu. (Den Konservativen erging es in Schottland genauso wie Labour.)

Nicola Sturgeon, die schottische Ministerpräsidentin und SNP-Vorsitzende, griff den „bequemen Konsens“ in der Frage der Haushaltskonsolidierung in Westminster an. Das Defizit, so äußerte sie zu Recht, sei ein „Symptom der wirtschaftlichen Schwierigkeiten, nicht bloß ihre Ursache“. Das SNP-Programm versprach, „großbritannienweit mindestens 140 Milliarden Pfund Sterling zusätzlich in die berufliche Weiterbildung und die Infrastruktur zu investieren“.

schlecht verhüllte Propaganda

Wenn also die SNP mit einem „keynesianischen“ Programm einer expansiven Haushaltspolitik so gut gefahren ist, ließe sich dann nicht argumentieren, dass es Labour besser ergangen wäre, wenn die Partei ihre eigene Regierungsbilanz offensiver verteidigt hätte und Osbornes Sparkurs aggressiver angegriffen hätte? Das ist, was führende Köpfe der Labour Party inzwischen sagen wie etwa Alistair Darling, Gordon Browns Schatzkanzler. Doch hatten sie offenbar keinen Einfluss auf die beiden Architekten von Labours Wahlkampfstrategie, Ed Miliband und Ed Balls, die sich inzwischen beide aus der ersten Reihe der Politik zurückgezogen haben.

Die Konservativen haben erfolgreich und in brillanter Weise die Engländer davon überzeugt, dass sie bloß „das Labour-Chaos aufräumen“ würden und dass Großbritannien ohne Sparkurs „den Weg Griechenlands genommen hätte“ – was genau Fergusons Sicht entspricht.

Man könnte zu dem Schluss gelangen, dass all das Geschichte ist: Die Wähler haben gesprochen. Doch wäre es ein Fehler, der konservativen Darstellung das letzte Wort zuzugestehen. Dabei handelt es sich im Wesentlichen um schlecht verhüllte Propaganda – kaum durch die Theorie gestützt und mit destruktiven Folgen in der Praxis.

Das wäre vielleicht nicht so schlimm, wenn es einen Regierungswechsel gegeben hätte. Aber Osborne ist zurück im Amt als Schatzkanzler und verspricht für die nächsten fünf Jahre noch stärkere Einschnitte. Und dank Deutschland herrscht die Spardoktrin auch in der Eurozone weiter. Also dürfte sich der Schaden fortsetzen. Und in Ermangelung eines zwingenden Gegenbildes ist es möglicherweise unser Schicksal, herauszufinden, wie viel Schmerzen die Opfer noch ertragen können.

Aus dem Englischen von Jan Doolan

Copyright: Project Syndicate, 2015.
 www.project-syndicate.org

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