Die Entscheidung hat für Aufsehen gesorgt: Die Bundesregierung will den Mehrwertsteuersatz auf Gas zeitweise von bisher 19 auf sieben Prozent senken. Mit diesem Schritt entlaste man die Gaskunden insgesamt deutlich stärker als die Mehrbelastung, die durch die Gasumlage entstehe, so Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD).
Die Steuersenkung soll so lange gelten, wie auch die Gasumlage erhoben wird: bis März 2024. Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) hat berechnet, wie sehr Haushalte tatsächlich durch diese Maßnahme entlastet werden. Das Ergebnis: Ein Einfamilienhaus mit einem Verbrauch von 20.000 Kilowattstunden zahlt zwischen 356 und 516 Euro weniger im Jahr.
Bei Ökonomen stößt die Maßnahme auf wenig Zustimmung. Die Kritikpunkte sind vielfältig. Wirtschaftsweise Veronika Grimm warnt auf Twitter beispielsweise vor dem Irrglauben, dass Gas nun doch nicht teuer werde. Vergleichen mit den zu erwartenden Preissteigerungen sei die Maßnahme „ein Tröpfchen auf den heißen Stein“. Es brauche daher „zielgerichtete Entlastung bis in die gesellschaftliche Mitte“.
Stefan Kooths, Vizepräsident und Konjunkturchef des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW), sieht den Beschluss ebenfalls kritisch. „Dieser Beschluss verwässert einen wesentlichen gewünschten Zweck der Gasumlage: Gas einsparen“, sagt er. Dafür sei ein steigender Gaspreis ein wichtiges Signal. Die Politik bremse den Preisanstieg nun für Gasverbraucher in der Breite ab, weil sie die sozialpolitischen Folgen fürchte, so Kooths weiter. Stattdessen könnten die Einsparziele verfehlt werden. Kooths kommt zu dem Schluss: „Die Steuersenkung ist kein zielgenaues Instrument, um jenen zu helfen, die durch den Preisanstieg in Nöte kommen“.
Marcel Fatzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) findet, dass die Reduktion der Mehrwertsteuer für Geringverdiener zwar besser sei als nichts, aber dennoch viel zu wenig. „Viel besser sind direkte Transferzahlungen, wie ein Energiegeld, von 100 Euro pro Monat & Person für Haushalte mit mittleren und geringen Einkommen“, schreibt Fratzscher auf Twitter und mahnt: Die Reduktion der Mehrwertsteuer dürfe keine Entschuldigung für unzureichend zielgenaue Transferzahlungen im dritten Paket sein.
Ökonom Rudi Bachmann sieht in der Entscheidung ein Zeichen, dass „alle Parteien in Deutschland keine Parteien der sozialen Martwirtschaft (mehr?) sind“. Die Antwort der sozialen Marktwirtschaft sei immer: „Preismechanismus wirken lassen, durch Transfers sozial abfedern“.
Achim Truger, Professor für Sozialökonomie und Mitglied im Sachverständigenrat Wirtschaft, lobt, „dass es eine schnelle Entlastung gibt und vor allem, dass der Bundeskanzler weitere Entlastungen (hoffentlich dann zielgenauer) angekündigt hat“. Er hält allerdings ein pauschales Energiegeld oder einen Preisdeckel auf den Grundbedarf für sinnvoller.
Jens Südekum, Professor für internationale Volkswirtschaftslehre und Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie, schreibt auf Twitter: „Schade, dass sich die FDP innerhalb der Ampel-Koalition mit dem nächsten ökonomisch höchst zweifelhaften Vorschlag durchgesetzt hat“. Er spricht sich dafür aus, Preissignale voll wirken lassen, und sie durch sozial gestaffelte Einkommenstransfers abzufedern.
Ifo-Präsident Clemens Fuest sieht bei der Maßnahme vor allem ein Problem: Privathaushalte würden zwar entlastet, Unternehmen aber belastet, weil diese die Mehrwertsteuer nur an ihre Kunden weiterreichen. „Ich bin nicht sicher, ob die Regierung das beabsichtigt hat“, schreibt er auf Twitter.
Der baden-württembergische Finanzminister Danyal Bayaz fällt ein vernichtendes Urteil. Er sieht in der Maßnahme die „nächste Entscheidung, die ökonomisch völlig falsche Wirkung erzielt“.
Ökonom und Wirtschaftsprofessor Christian Bayer (Uni Bonn) weist darauf hin, dass Haushalte mit älteren Gasverträgen bislang weniger belastet sind als Haushalte mit Neuverträgen.
Lion Hirth, Juniorprofessor für Energiepolitik an der Hertie School und Geschäftsführer des energiewirtschaftlichen Beratungsunternehmens Neon, verweist auf die Kluft zwischen Energiepolitikern und ihren wirtschaftlichen Beratern: Die sei noch nie so groß gewesen, schreibt er auf Twitter. „Energieökonomen fordern Preissignale und Anreize für Energieeinsparungen. Die Regierungen verteilen Energiesubventionen und Steuernachlässe und erwägen Preisobergrenzen.“
Moritz Kuhn, Professor an der Universität Bonn, kritisiert, dass günstigeres Gas das Problem nicht löst. „Niemand hat etwas davon, wenn wir alle Geld auf dem Konto haben, aber kein MwSt reduziertes Gas mehr aus der Leitung kommt“, schreibt er auf Twitter. „Gas ist in den kommenden Monaten ein sehr knappes Gut und knappe Güter sind teuer, daher gehen wir sparsam damit um!“
Kritik kommt auch von der Deutschen Umwelthilfe. Geschäftsführer Müller-Kraenner hält die Mehrwertsteuersenkung für die „teuerste aller denkbaren Maßnahmen“. Sie setze keinen Anreiz, sparsam mit Energie umzugehen.