Richard Socher ist das, was man im Silicon Valley einen Serien-Pionier nennen würde: Als Forscher an der Stanford University steuerte er die Grundlagen der modernen KI-Suche bei – und als Unternehmer startete er 2020 in Palo Alto eine der ersten Suchmaschinen auf Basis Künstlicher Intelligenz: You.com.
Das Besondere an seiner Erfindung: You.com durchsucht das Internet, fasst die gefundenen Informationen zu einem kleinen Dossier zusammen und präsentiert dazu die passenden Quellenangaben – wie ein fleißiger Rechercheassistent. Trotz des frühen Starts und der Zusatzfunktionen sind es jedoch inzwischen andere Namen, die bei KI-Suchen den Ton angeben, etwa ChatGPT oder Perplexity.ai.
50 Mio. Dollar von Nvidia, Duckduckgo und anderen
Das soll sich mit einer neuen Finanzierungsrunde nun ändern: Socher, der in Dresden aufgewachsen und zur Schule gegangen ist, und sein Mitgründer Bryan McCann haben am Mittwoch eine Serie-B-Finanzierung in Höhe von 50 Mio. US-Dollar (umgerechnet 45 Mio. Euro) angekündigt, um den Vertrieb und die internationale Expansion auszubauen.
Unter den Investoren finden sich einige prominente Namen, darunter der Chiphersteller Nvidia und die Suchmaschine Duckduckgo. Fragen zu einer möglichen Zusammenarbeit ließ Socher unkommentiert. Angeführt wurde die Finanzierungsrunde vom Wachstumsinvestor Georgian. Zudem beteiligten sich SBVA (ehemals Softbank Ventures Asia), Salesforce Ventures und Day One Ventures.
Neuaufstellung als „Produktivitätsmaschine“
Socher war 2020 angetreten, um Google vom Suchmaschinen-Thron zu stoßen. Mittlerweile hat die Firma von dieser Mission verabschiedet. Man habe festgestellt, dass viele Menschen nur sehr simple Anfragen bei Suchmaschinen stellen. Etwa: Wie ist das Wetter heute? Wie alt ist Barack Obama? Nutzer erwarten dann eine entsprechend kurze Antworten. „Da kann man nicht viel machen, um zehnmal besser als Google zu sein“, sagt Socher. Es gebe schlicht keinen Grund, zu wechseln.
Anders sehe es bei komplexen Fragen aus. You.com hat sich deswegen in den vergangenen Monaten neu aufgestellt und richtet sich mittlerweile in erster Linie an Firmenkunden. „Unser Fokus sind Knowledge Worker, die sich für Genauigkeit interessieren“, sagt Socher. Sprich: Studenten, Wissenschaftler, Juristen, Finanzanalysten – und ganz generell: Menschen in klassischen Bürojobs.
Socher nennt das neue You.com eine „Produktivitätsmaschine“. Nutzer können über das Chatfenster eigene Inhalte hochladen und die KI bitten, ein Meeting zusammenzufassen, Marketing-E-Mails vorzubereiten oder Bilanzen zu analysieren. „Es ist fast wie ein Praktikant oder ein Mitarbeiter, der für dich die Arbeit macht“, sagt der Gründer. Man könne damit komplette Workflows automatisieren.
Eine Milliarde Suchanfragen bearbeitet
Firmen können den KI-Assistenten über den Broswer nutzen oder ihn über eine Programmierschnittstelle direkt in ihre eigenen Prozesse und Produkte einbinden. Die Basisversion ist kostenlos, für den fortgeschrittenen KI-Assistenten verlangt You.com rund 23 Euro pro Monat.
Bislang ist es schwer zu beurteilen, wie erfolgreich Socher und seine Kollegen mit dem neuen Fokus auf Unternehmen tatsächlich sind. Die Zahl der Kunden und monatlichen Suchanfragen will Socher nicht verraten.
Nur so viel: Seit dem Start im Jahr 2021 habe man insgesamt eine Milliarde Suchanfragen sowie „zig Millionen Nutzer“ bedient. Unter den ersten Kunden seien Hedge Fonds, Versicherungsfirmen, Biotechnologie- und Cybersicherheitsfirmen sowie Medienhäuser.
Konkurrenz mit Google Gemini, Perplexity.ai und ChatGPT
You.com begibt sich mit seiner Produktivitätsmaschine in einen umkämpften Markt. OpenAI hat mit seinem Dienst ChatGPT aktuell einen weiten Vorsprung beim Bekanntheitsgrad. Platzhirsch Google hat diesen Sommer seinen eigenen KI-Assistenten Gemini gestartet, der Auskünfte ebenfalls mit Quellenangaben versieht. Noch ist Google im Vertrieb zurückhaltend, um seiner eigenen Suchmaschine nicht zu schaden. Doch das könnte sich ändern.
Und dann ist da noch das US-Start-up Perplexity.ai, das mit einem fast identischen Angebot wie You.com aufwartet und obendrein deutlich mehr Risikokapital eingesammelt hat: Rund 250 Mio. US-Dollar. Bei You.com sind es mit der neuen Finanzierung rund 101 Mio. Dollar. Wie will sich You.com also durchsetzen?
Genauigkeit als Wettbewerbsvorteil
„Wir sehen viele Copycats, die unsere Technologie kopiert haben“, sagt Socher über seine Konkurrenten. „Die sind aber alle nicht so genau.“ You.com wolle sich durch die Qualität der Antworten differenzieren. Man habe beispielsweise weniger Probleme mit Halluzinationen, also der Generierung falscher Inhalte.
Mit You.com muss er nun beweisen, dass es auch eine Zahlungsbereitschaft bei Firmen für diese Genauigkeit gibt.