Die Nominierung Janet Yellens zur Nachfolgerin von Ben Bernanke im Amt des Präsidenten der Federal Reserve erfolgt zu einem der gefährlichsten Momente in der jüngeren Geschichte der US-Notenbank. Die Ankündigung der Fed im Mai, möglicherweise mit dem Rückzug aus dem Ankauf langfristiger Vermögenswerte zu beginnen, überraschte viele Zentralbanker und löste auf den Märkten weltweit eine Verkaufswelle aus. Seitdem haben sich gute Nachrichten von der amerikanischen Wirtschaft als schlechte Nachrichten für die Finanzmärkte herausgestellt, da die Anleger eine mögliche geldpolitische Straffung durch die Fed als Reaktion auf diese Nachricht für bedeutsamer hielten als die Nachricht selbst.
Als die Fed dann letzten Monat ihren Rückzug aus der so genannten quantitativen Lockerung aufschob, brach auf den Märkten rasch Euphorie aus. Tatsächlich scheinen sich die Anleger heute weniger Gedanken über die realen wirtschaftlichen Umstände als über deren Interpretation durch die Fed zu machen. Dies unterstreicht ein bedeutendes Risiko, das Yellen nun an den Schalthebeln der US-Geldpolitik einkalkulieren muss: Auf längere Sicht kann die Vormachtstellung der Fed-Ansichten auf dem Markt zu gravierenden wirtschaftlichen Schäden führen.
Nicht die lockere Geldpolitik ist das Problem der Fed und anderer Zentralbanken, sondern deren Kommunikationsstrategien. Durch die umfangreichen Versprechungen, Zusicherungen und Vorab-Festlegungen wiegen sich die Marktteilnehmer in einem falschen Gefühl der Sicherheit. Dies verleitet die Akteure auf dem Markt, falsche Arten des Risikos einzugehen, wodurch sie schlecht auf nachteilige wirtschaftliche Veränderungen vorbereitet sind und sich eine umfassendere Bedrohung der langfristigen Finanzstabilität ergibt.
Schiefe Wahrnehmung
Im Zentralbankgeschäft dreht sich alles um die Steuerung von Markterwartungen. In den letzten Jahren machten die Währungshüter die Art der Kommunikation – hinsichtlich ihrer Meinung und möglicher Maßnahmen – zu ihrem primären Instrument, um Märkte zu lenken und Erwartungen zu verankern. Das gilt insbesondere für die so genannte Forward Guidance zu den Leitzinsen – und das in zunehmendem Maße, da der Spielraum der Zentralbanker bei geldpolitischen Maßnahmen enger geworden ist.
Unglücklicherweise ergeben sich aus der übermäßigen Abhängigkeit von Kommunikationsstrategien wesentliche Risiken und Kosten. Da die Stimme der Zentralbanken auf den Finanzmärkten eine derart herrschende Stellung einnimmt, spiegeln die Kursbewegungen mittlerweile eher die Reaktion auf Aussagen und Maßnahmen der Zentralbanken wider, anstatt auf sich wandelnde Realitäten von Wirtschaft und Finanzen.
Wenn Entscheidungsträger beispielsweise im Fall bestimmter Risiken Maßnahmen versprechen, diskontieren die Märkte die Auswirkungen derartiger Risiken zwangsläufig. Im Mai warnte Bernanke in ungewöhnlich ernster Weise vor exzessiver Risikoübernahme auf den Finanzmärkten. Doch die Anleger trieben die Aktienindizes trotz der schwachen und unsicheren Erholung auf Allzeithochs, während der VIX-Index, ein Barometer für die Risikowahrnehmung der Investoren, auf das niedrigste Niveau seit den Boom-Jahren 2005 und 2006 fiel.
Glaubwürdigkeit in Gefahr
Eine zweite Folge der dominierenden Rolle der Zentralbank-Kommunikation auf den Finanzmärkten ist, dass damit private Informationsquellen verdrängt werden. Dadurch kommt den Währungshütern selbst der außerordentlich wertvolle unabhängige Blick auf Trends abhanden, den sie für eine solide Politik benötigen. Noch schlimmer: Private Akteure sehen keine Notwendigkeit mehr, ihre eigenen Informationen in dem Ausmaß zu sammeln, zu analysieren und anzuwenden, wie sie das in der Vergangenheit taten.
Ein dritter Nachteil besteht darin, dass Zentralbanken Gefahr laufen, ihr wichtigstes Kapital zu verlieren, nämlich ihre Glaubwürdigkeit, wenn erkennbar wird, dass sie irreführende Zusicherungen abgeben und sich exzessiv bestimmten Ergebnissen verpflichten. Was würde die Fed beispielsweise machen, wenn die Inflation drastisch ansteigt, aber die Arbeitslosigkeit hoch bleibt? Die Unfähigkeit der Fed, Erwartungen zu verankern, würde nicht nur ihre Glaubwürdigkeit gegenüber den Anlegern beschädigen, sondern würde es ihr auch erschweren, ihr Doppelmandat der Aufrechterhaltung der Preisstabilität und höchstmöglicher Beschäftigung zu erfüllen.
Diese Nachteile gelten für die Forward Guidance der Zentralbanken allgemein, wodurch sie ein hohes Risiko eingehen. Dass es der Bank of England mit ihrer Guidance nicht gelang, die Märkte in die gewünschte Richtung zu bewegen, kann heißen, dass die Anleger hinsichtlich der britischen Wirtschaft optimistischer sind. Es kann aber auch heißen, dass die Guidance der Zentralbank unwirksam blieb, was die Glaubwürdigkeit der BoE gefährdet. Die Europäische Zentralbank steht vor ähnlichen Risiken.
Verzicht auf Forward Guidance
Für die Zentralbanken ist die Planung ihres Rückzugs aus der lockeren Geldpolitik weniger wichtig als ihr Ausstieg aus den derzeitigen Kommunikationsstrategien. Sie sollten beginnen, sich von ihren allzu expliziten geldpolitischen Versprechen und dem versuchten Mikromanagement der Finanzmärkte zu verabschieden. Insbesondere sollten sie die Forward Guidance einstellen sowie auch Ankündigungen darüber, wann sie mit der Straffung der Geldpolitik beginnen wollen und in welchem Ausmaß dies erfolgen soll. Die Zentralbanken müssen das wechselseitige Risiko wieder einführen, so dass Vermögenspreise auch wieder die zugrunde liegenden Fundamentaldaten abbilden.
Anstatt zu versuchen, die Anleger in Richtung expliziter numerischer Ergebnisse zu drängen, müssen Yellen und andere Notenbanker deutlicher kommunizieren, wie sie über Risiken und Chancen in der Wirtschaft und auf den Finanzmärkten denken und anschließend den privaten Anlegern selbst die Entscheidung über das Gleichgewicht von Risiko und Ertrag überlassen. Das würde zu unabhängigeren und widerstandsfähigeren Märkten beitragen und damit die Finanzstabilität erhöhen sowie die wirtschaftliche Erholung unterstützen.
Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier
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