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Gastbeitrag Mit diesen Faktoren steht und fällt die Cannabis-Legalisierung

"Schluss mit Krimi": Die Ampel-Koalition will Cannabis legalisieren
"Schluss mit Krimi": Die Ampel-Koalition will Cannabis legalisieren
© IMAGO / ZUMA Wire
Die Ampel-Koalition will Cannabis entkriminalisieren. Doch so einfach ist das gar nicht. Niklas Kouparanis erklärt, unter welchen Voraussetzungen die Legalisierung gelingen kann

Wer hätte das gedacht? Die neue deutsche Bundesregierung will Cannabis für den Freizeitgebrauch legalisieren – „recreational“, wie es auch hierzulande in Fachkreisen lautet. Und wo ein Wille ist, da ist bekanntlich auch ein Weg. Der könnte allerdings deutlich steiniger sein, als viele Cannabisunternehmerinnen und -unternehmer angesichts der aktuellen vorherrschenden Euphorie vermuten. Die regulatorischen Hürden sind komplex. Schlussendlich kommt es auf Details an, damit die Cannabis-Legalisierung hierzulande eine Erfolgsgeschichte wird. Eine Übersicht über die großen Herausforderungen auf dem Weg zum legalen Markt.

Die Single Convention von 1961

Die beiden einzigen Länder, die Cannabis bis dato legalisiert haben, sind Kanada und Uruguay. Sie verstoßen seit Jahren wohlwissend gegen die UN Single Convention on Narcotic Drugs von 1961. Dieses – zu Deutsch – Einheitsabkommen der Vereinten Nationen verbietet Anbau und Vermarktung von Cannabis jenseits wissenschaftlicher und medizinischer Zwecke. Eher unwahrscheinlich, dass Deutschland analog zu Kanada und Uruguay sich einfach in stillschweigender Ignoranz übt.

Die Grünen haben in ihrem Cannabiskontrollgesetz von 2018 skizziert, wie ein Weg im Einklang mit internationalem Recht aussehen kann: Deutschland muss dafür zunächst aus dem Vertrag austreten und dann unter Vorbehalt wieder eintreten – in diesem Fall mit dem Vorbehalt, dass es sich nicht an das verankerte Cannabis-Verbot hält. Dass bestehende Mitgliedsstaaten von ihrem Veto-Recht Gebrauch machen, ist eher unwahrscheinlich. Ein- und Austritt sind allerdings langwierig. Vor Anfang 2024 ist auf diesem Wege kaum mit einer Legalisierung zu rechnen.

Jugendschutz, Aufklärung und Qualität

Ein wesentliches Ziel der Bundesregierung: Der Schwarzmarkt mit all seinen negativen Auswüchsen soll obsolet werden. So prüfen die im Koalitionsvertrag vorgesehenen Fachgeschäfte, anders als der Dealer im Park, am Eingang Personalausweise. Versiegt der Schwarzmarkt, haben Minderjährige fortan keine Anlaufstelle mehr, um Cannabis zu kaufen. Außerdem soll das Personal in den Fachgeschäften in der Lage sein, die Qualität der Produkte zu prüfen. Anders als auf dem Schwarzmarkt wissen Konsumentinnen und Konsumenten dann genau, was das von ihnen erworbenen Cannabis enthält; sie sind sicher, dass es nicht verunreinigt oder gestreckt ist.

Das Fachpersonal soll Konsumenten zudem über den Cannabis-Konsum aufklären. Nur: Dieses Fachpersonal müssen wir erst noch ausbilden. Die gute Nachricht: Vorhandenes Wissen dafür ist da, Suchtberatungsstellen wissen um Gefahren des Missbrauchs und Apotheken – zumindest einige unter ihnen – prüfen seit nun bald fünf Jahren die Qualität und die Inhaltsstoffe von medizinischem Cannabis.

Verkaufsinfrastruktur

Stichwort Zukunftsmusik: Aktuell gibt es deutschlandweit kein einziges Fachgeschäft, in dem das geschulte Fachpersonal arbeiten könnte. Wie auch? Noch gibt es keinen legalen Markt. Die Geschäfte müssen erst aufgebaut werden. In Kanada war die völlige unzureichende Anzahl an Fachgeschäften – und auch deren schlechte Lage – ein Grund dafür, dass der Schwarzmarkt zunächst wie gewohnt weiter florierte. Staatliche Kontrolle ist wichtig im zukünftig legalen Cannabismarkt. Der Schuss kann aber auch nach hinten losgehen, wenn es wie in Kanada zu viel Staats ist.

Das Cannabiskontrollgesetz geht bereits in eine gute Richtung. Allerdings wollen die Grünen in ihrem Entwurf Bundesländern das Recht einräumen, die Anzahl der Fachgeschäfte zu begrenzen. Außerdem soll der Onlinehandel verboten sein. Gerade der Onlinehandel ist aber zentral, um auch in ländlichen Regionen Versorgungssicherheit zu garantieren. Das mahnende Beispiel Kanada zeigt: Die legale Infrastruktur muss in Sachen Erreichbarkeit, Preis und Verfügbarkeit an Produkten mit dem Schwarzmarkt mithalten können. Ansonsten verlagern wir hierzulande den Schwarzmarkt von der Stadt in die Peripherie.

Produktverfügbarkeit

Und damit sind wir auch schon bei der vielleicht größten Hürde. Analog zum Schwarzmarkt werden Konsumenten, dann auf legalem Wege, hierzulande gleich zum Start mindestens 200 Tonnen jährlich konsumieren. Der Ökonom Justus Haucap geht gar von einem jährlichen Bedarf von 400 Tonnen Cannabis jährlich aus. Die Frage ist nur: Wo wächst das Gras? Zum Vergleich: Im ersten Halbjahr 2021 importierten Unternehmen rund neun Tonnen medizinisches Cannabis nach Deutschland. Hierzulande dürfen drei Unternehmen jährlich 2,6 Tonnen medizinisches Cannabis produzieren – wohlgemerkt nicht jeweils, sondern allesamt. Und selbst von diesen Produktionsmengen sind wir viereinhalb Jahre nach dem Gesetz „Cannabis als Medizin“ noch meilen- beziehungsweise diesem Fall eher tonnenweit entfernt.

Deutschland wird, um die Nachfrage bedienen zu können, von Importen abhängig sein. Die Frage ist nur: Aus welchen Ländern oder auch US-Bundesstaaten darf Deutschland überhaupt importieren und wie? Und welche Länder dürfen exportieren? Schließlich gilt für die allermeisten anderen Länder wie beschrieben die Single Convention.

Regulatorische und bürokratische Ausgestaltung

Deutschland gilt im medizinischen Markt als eine Art Musterschüler des Völkerrechts. Hat es doch mit der Cannabisagentur eine eigene Behörde ins Leben gerufen, die direkt dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) unterstellt ist und den gesamten Prozess von in Deutschland produziertem medizinischem Cannabis verantwortet: vom Anbau bis zum Verkauf an die Apotheke.

Welche Rolle wird die Cannabisagentur bei der Produktion von Cannabis zum Freizeitgebrauch übernehmen? Muss sie diese ebenfalls selbst verantworten oder kann sie stärker auf die Kräfte des freien Marktes setzen? Welche Behörde überwacht den Import aus anderen Ländern? Welche Funktion übernimmt das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit? Vor allem aber auch: Wie sickern die Informationen über zukünftige Qualitätskontrolle und Importverfahren durch bis zum zuständigen Beamten vor Ort? Im Markt für medizinisches Cannabis waren es oft die Unternehmen, die schlussendlich Ausbildung und Information übernehmen mussten.

Nun sind diese Hürden keineswegs ein Grund Trübsal zu blasen. Deutschland ist auf dem besten Wege, weltweit der größte Recreational-Cannabis-Markt zu werden. Wir sollten nur vor lauter Euphorie nicht vergessen, dass der Cannabis-Markt hochreguliert ist. Ob die Legalisierung hierzulande als Paradebeispiel in die Geschichtsbücher eingehen wird, hängt an Faktoren wie Gründlichkeit, Detailverliebtheit, kreativem Pioniergeist und Mut. Wird der Markt eine Erfolgsgeschichte, könnte die Ampelkoalition als Gamechanger der weltweiten Prohibitionspolitik in Erinnerung bleiben.

Niklas Kouparaniszählt hierzulande zu den Pionieren in der Cannabis-Industrie. Er baute mehrere Cannabis-Unternehmen auf und konnte zuletzt mit der Bloomwell Group, zu der mit Algea Care auch Europas führendes Telemedizin-Unternehmen für medizinisches Cannabis gehört, das bis dato höchste Seed-Funding eines europäischen Cannabis-Unternehmens einsammeln. Mit Measure 8 Venture Partners investierte auch ein führender auf Cannabis spezialisierten Kapitalgeber aus den USA.

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