Herr Hänsel, das Cannabis-Gesetz soll in deutlich abgespeckter Form kommen. Wie enttäuscht sind Sie?
FINN HÄNSEL: Der Gesetzentwurf war ja schon länger bekannt, und es hat sich in der Endfassung nicht viel verändert. Von daher war die Überraschung nicht sehr groß. Ich sehe das Ergebnis zweigeteilt: Als jemand, der eine neue Drogenpolitik befürwortet, finde ich es ein schönes Zeichen an alle Konsumenten und diejenigen, die seit Jahrzehnten unter der Kriminalisierung leiden. Cannabis soll künftig nicht mehr verboten sein und auch nicht mehr als Betäubungsmittel gelten, das ist wirklich ein Umdenken. Es ist auf jeden Fall begrüßenswert, und das freut uns. Auf der anderen Seite sind wir natürlich auch Unternehmer. Und aus Unternehmersicht muss ich sagen: Das ist eine Enttäuschung.
Warum?
Wir hätten uns gewünscht, dass die Bundesregierung mutiger bei einer Legalisierung gewesen wäre. Stattdessen hat sie das Gesetz in zwei Säulen geteilt. In Säule eins, um die sich der jetzige Gesetzentwurf dreht, geht es vor allem um den nicht-kommerziellen Eigenanbau. Wir hätten uns gewünscht, dass man auch gleich mit Säule zwei beginnt. Das sind die regionalen Modellversuche, an denen dann Unternehmen beteiligt werden, die sich um die Produktion, den Vertrieb und die Abgabe des Cannabis kümmern. In der Schweiz laufen solche Modellversuche gerade. In Deutschland hat man das aber verschoben.
Was heißt das für Ihr Geschäft und künftige Investitionen?
In den Medizin-Bereich unserer Firma, der die medizinischen Cannabisprodukte umfasst, werden wir weiter investieren. Ärzte werden künftig deutlich weniger bürokratische Hürden haben, Cannabis zu verschreiben, und Patienten werden besseren Zugang haben. Davon werden auch wir profitieren. Auf der anderen Seite steht unsere Consumer-Sparte, die aus Cannabisprodukten im Kosmetikbereich und Genusscannabis besteht. Hier haben wir mit Blick auf mögliche Modellprojekte natürlich investiert, vom Anbau bis hin zur Verarbeitung und den Abgabestellen. Das werden wir erst mal auf Eis legen und abwarten, wie sich die weitere Gesetzgebung entwickelt. Die geplanten Investitionen werden wir erst mal nicht tätigen.
Betrifft das auch ihren Produktionsstandort nahe Frankfurt? Die Stadt hatte sich zusammen mit Offenbach als Versuchsregion beworben.
Wir haben bei Frankfurt am Main eine kleine Produktionsanlage für Cannabisextrakte. Im Zuge der anfänglichen Legalisierungspläne der Regierung hatten wir überlegt: Könnte man da vor Ort einen Anbau machen und das Grundstück erweitern? Dafür wären größere Investitionen notwendig gewesen, die wir nun erst mal nicht tätigen werden, nachdem die Regierungspläne anders ausfallen und vieles noch unklar ist. Für uns bleibt die Region im Hinblick auf mögliche Pilotprojekte aber weiter sehr interessant.
Wie hoch hätten die geplanten Investitionen ausfallen sollen?
Im niedrigen einstelligen Millionenbetrag. Wenn es größer aufgezogen worden wäre von der Bundesregierung, wäre es auf jeden Fall ein zweistelliger Millionenbetrag gewesen. Das sind Investitionen, die wir jetzt nicht guten Gewissens tätigen können, ohne Rechtssicherheit zu haben.
Wie vorsichtig sind Investoren jetzt?
Sehr vorsichtig. Ich glaube, die Investoren, die normalerweise am Cannabismarkt interessiert sind, werden erst einmal nicht investieren. Sie werden abwarten wollen, was sich dieser Legislaturperiode noch entwickelt. Mit dem Kabinettsbeschluss ist es ja auch noch nicht getan. Der Regierungsentwurf geht noch ins Parlament, schon jetzt gibt es eine Reihe an Änderungswünschen. Meines Erachtens war es ein wichtiger Meilenstein, aber es ist noch nicht das Ende vom Lied. Dementsprechend glaube ich, die Unsicherheit im Markt wird bis zum Gesetzesbeschluss vorhanden sein.
Sehen Sie diese Unsicherheit für beide Märkte – also für medizinisches Cannabis und den Genuss-Bereich?
Ja, beide Märkte sind unsicher. Wenn das Gesetz durch ist, und die Chance ist groß, dass das bis Ende des Jahres der Fall ist, dann haben wir für medizinisches Cannabis eine höhere Sicherheit. Dann werden sich die Investoren, die sich auf dieses Geschäft fokussieren, wahrscheinlich sicherer fühlen. Was den Genussmittelmarkt angeht – der wird auf absehbare Zeit noch große Unsicherheit bergen.
Was ist Ihre Wachstumsprognose für die Sanity Group und die Cannabis-Branche insgesamt?
Wir schätzen, dass der Gesamtmarkt für medizinische Cannabisprodukte kommendes Jahr um das Zwei- bis Dreifache wachsen wird. Wenn der medizinische Bereich so kommt, wie er jetzt im Kabinettsentwurf verabschiedet wurde, dann werden wir uns als Firma insgesamt 2024 wahrscheinlich um das Drei- bis Vierfache steigern. Wenn eines der Modellprojekte in der Schweiz klappt, an dem wir beteiligt sind, dann wird auch das Genussmittelgeschäft bei uns wachsen. Das wird sich in den kommenden zwei Wochen entscheiden. Sollte der deutsche Gesetzentwurf nicht so durchgehen, dann würden wir uns wohl maximal verdoppeln im nächsten Jahr. Dementsprechend ist es schon sehr wichtig für unsere Planung und den Wareneinkauf, dass der Gesetzentwurf durchgeht.
Ist die zögerliche Reform langfristig ein Todesstoß für die deutsche Cannabis-Branche?
Das war sicherlich kein Todesstoß jetzt, aber es bleibt eine Achterbahnfahrt. In der Branche geht es immer auf und ab, weil sie besonders abhängig ist von externen Faktoren. Corona war definitiv ein großer Dämpfer für die Branche, weil in der Medizin alles Richtung Corona ging und andere Themen hinten runtergefallen sind. Dann kam die große Euphorie, nachdem die Regierungskoalition die volle Legalisierung angekündigt hatte. Alle haben angefangen zu planen, sich Dinge zu überlegen. Dann gab es wieder einen Dämpfer, weil die Ampel die Legalisierungspläne abschwächen musste. Und jetzt geht die Euphorie wieder einen Tick nach oben, wenn Cannabis kein Betäubungsmittel mehr ist.
Werden das alle Firmen überleben oder werden wir Insolvenzen sehen?
Ich denke, dass viele deutsche Firmen, die in erster Linie auf den Genussmittelmarkt gebaut haben, wahrscheinlich Probleme mit ihrem Geschäftsmodell bekommen werden. Sie werden angenommen haben, in den nächsten zwei Jahren im Genussmittelmarkt große Umsätze zu machen, die jetzt so nicht kommen. Diese Firmen müssen sich neu positionieren.
Sie gehen also davon aus, dass sich die Branche konsolidieren wird?
Ja, auf jeden Fall. Für nicht wenige Firmen ist es existenzbedrohend geworden, dass die vollständige Legalisierung auf unbestimmte Zeit verschoben ist. Gerade gibt es etwa 200 bis 400 Firmen im deutschen Cannabismarkt. Ich schätze, dass ein Drittel der Firmen Liquiditätsprobleme bis Ende des Jahres bekommen können, wenn nicht sogar die Hälfte. Diese Probleme kann ein Unternehmen dadurch beheben, dass es wächst, aber das wird wahrscheinlich nicht passieren. Oder Investoren schießen Geld nach, aber das werden sie wegen der hohen Unsicherheit kaum tun.
Werden in einigen Jahren dann ausländische Firmen den deutschen Markt dominieren und den heimischen Cannabis-Unternehmen den Rang ablaufen?
Ja, ich sehe die Gefahr, dass deutsche Firmen in Zukunft hinterherlaufen. In der ersten Phase der medizinischen Cannabis-Legalisierung 2018 hat man sehr viele kanadische Firmen im deutschen Markt gesehen und kaum deutsche. Dann gab's eine zweite Phase, die einen Boom der deutschen Cannabis-Start-ups hervorgebracht hat. Und jetzt, in der dritten Phase, ist dieser Boom der deutschen Cannabis-Start-ups etwas gebremst. Deutsche Firmen, die nun eventuell Liquiditätsprobleme bekommen, können sehr einfache Übernahmeziele sein für große internationale Firmen, die auf dem deutschen Markt Fuß fassen wollen. Das wäre natürlich kein gewünschtes Ergebnis für die deutsche Cannabis-Branche. Wir müssen eine gute Balance haben mit lokalen Playern, die hier vor Ort Arbeitsplätze schaffen, die Infrastruktur aufbauen und hier Steuern zahlen. Sprich, ich halte das schon für eine gefährliche Situation. Auf der anderen Seite muss man sagen, dass die Cannabis-Branche gerade weltweit ein bisschen auf der Stelle tritt. Man sieht das an den großen kanadischen Konzernen wie Aurora und Tilray, deren Aktienkurse zurückgegangen sind. Ich glaube zwar nicht, dass die jetzt in großem Stil in Deutschland Firmen aufkaufen werden, weil sie erst mal ihre hausgemachten Probleme bekämpfen müssen. Wir haben also ein bisschen Glück. Aber sobald sich die Situation in Kanada verbessert, ist diese Gefahr da.
Was müsste passieren, um das zu verhindern?
Es muss sehr schnell Klarheit geben über Detailfragen beim medizinischen Cannabis. Nach wie vor gibt es zum Beispiel einen Genehmigungsvorbehalt, der zur Folge hat, dass Krankenkassen die Kostenübernahme einer Cannabistherapie ablehnen können und es viel zu oft auch tun. Die Politik muss klare Rahmenbedingungen setzen, damit in der Cannabis-Branche Wachstum möglich ist. Sie muss direkt weiterarbeiten an einem Gesetz für den kommerziellen Cannabismarkt, das Modellversuche ermöglicht. Unsere große Sorge ist, dass es jetzt erst einmal nicht weitergeht. Das Gesetz muss vor der Bundestagswahl 2025 kommen, damit die Firmen Planungssicherheit haben und gegenüber ihren Investoren valide Businesspläne zeigen können, die wirklich Hand und Fuß haben und auf einem regulatorischen Umfeld basieren, was einschätzbar ist. Das wird eine enge Kiste, auch weil ein weiteres Gesetz wahrscheinlich durch den Bundesrat muss, in dem die Union gerade dominiert.