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Drogenhandel Cannabis: Ein Arzneimittel für die marode marokkanische Wirtschaft?

Ein Mann geht durch ein Cannabis-Feld im Rif-Gebirge
Ein Mann geht durch ein Cannabis-Feld im Rif-Gebirge: Die Haschisch-Pflanze soll zum Exportschlager Marokkos werden
© Fadel Senna/AFP via Getty Images
Cannabis wird ein immer beliebteres Arzneimittel. Der medizinische Konsum ist in vielen Ländern legal. Marokko gilt als einer der größten illegalen Haschisch-Exporteure und wittert hier seine große Chance

Auf einer mit Zedern gesäumten, staubigen Piste im Norden Marokkos werden Besucher von einem stechenden Cannabisgeruch und dem lauten Klopfgeräusch der Arbeiter begrüßt. Sie extrahieren Haschisch.

In dem Dorf Tamadit, an den Hängen des Rif-Gebirges, ist gerade Erntezeit. Die narkotisierenden Pollen werden aus der sonnengetrockneten Pflanze herausgeklopft und in kompakte Harzblöcke für die Kunden verwandelt. Das Rauschgift wird dann im Inland weiterverkauft oder an zahlungskräftigere Käufer in Europa verschifft, denn Europa ist nur einen Katzensprung über das Mittelmeer entfernt. 

Die von Unruhen geplagte Region Rif ist die Wiege des weltweit größten Haschisch-Exporteurs Marokko. Über Jahre hinweg wollten die Behörden von der Region nichts wissen, auch wegen der Abgeschiedenheit des Rif. Plötzlich will Rabat die Droge aber legalisieren und zu Geld machen – vorausgesetzt, die Hauptstadt kann die Einheimischen, die seit Generationen im Geschäft sind, überzeugen.  

„Der Drogenbaron ist der Eckpfeiler der Gemeinschaft“

Angesichts des weltweiten Cannabis-Booms für medizinische Zwecke hat die Regierung im 400 Kilometer entfernten Rabat ein Gesetz beschlossen, das den Anbau der Droge für pharmazeutische Zwecke im Rif-Gebiet erlauben soll. Der Widerstand der Rif-Bauern ist noch groß, sie trauen den Politikern und ihren Motiven nicht. Stattdessen stehen sie loyal zu ihren bisherigen Kunden.

„Der Drogenbaron ist der Eckpfeiler der Gemeinschaft“, sagt Mohamed Bousemath, ein 27-jähriger Bauer in Tamadit. Er sitzt in seinem Haus mit Blechdach vor einem zwei Meter hohen Stapel getrockneter Cannabispflanzen. „Als der Staat seiner Verantwortung für diese Region nicht nachkam, kümmerte sich der Drogenbaron um uns, indem er jedes Jahr die Ernte pflichtbewusst kaufte.“

Die Produktion und der Konsum von Cannabis sind in Marokko seit 1974 illegal. Trotzdem hat das Land als einzige muslimische Nation vor zwei Jahren die Streichung der Droge von der UN-Liste der gefährlichen Substanzen unterstützt. 

Ein Bericht plädiert für die Legalisierung der Droge

Im Rif kommt es immer wieder zu Unruhen. Die letzten Massenproteste begannen im Oktober 2016 nach dem Tod eines Fischhändlers, erst acht Monate später endeten die Proteste gewaltsam. In einem Bericht des Wirtschafts-, Sozial- und Umweltrats von König Mohammed VI. aus dem vergangenen Jahr wird der illegale Drogenhandel für die wirtschaftliche Unterentwicklung der Region verantwortlich gemacht. Der Bericht plädiert für die Legalisierung der Droge, um dem illegalen Anbau ein Ende zu bereiten. 

Die Regierungskoalition, die der mächtigen Monarchie nahesteht, will vom Zeitgeist profitieren. Das Rif-Gebirge ist für sie eine willkommene Gelegenheit – gerade in einer Zeit, in der Marokko händeringend Geld für das marode Gesundheitswesen und Sozialleistungen braucht. 

Landwirte befürchten Schäden

Die von der Reform betroffene Fläche umfasst 50.000 Hektar und erstreckt sich über die drei nördlichen Provinzen des Landes. 70 Prozent des marokkanischen Cannabis werden hier angepflanzt. Die Plantagen sind im Durchschnitt einen halben Hektar groß und versorgen Hunderttausende von Menschen mit Arbeit, so die offiziellen Daten. 

Bousemath und andere Landwirte befürchten, dass die Legalisierung ihrem Geschäft schaden wird. Auch weil die neuen Plantagen in den Ebenen liegen, die besser mit dem Rest des Landes verbunden sind. Sie stören sich an der drohenden Kontrolle, denn ein Teil ihrer Plantagen liegt in der Wildnis oder auf Feldern, für die sie keine Besitzurkunden haben. 

„Wie viele Behörden sind nur an diesem Legalisierungsprozess beteiligt?“, fragt Mohamed Mrabet, ein Cannabisbauer in Issaguen, einer Stadt in der Region Ketama, die an das Rif angrenzt. „Sie mischen sich viel zu sehr ein“, sagte er, während er seine Hände unter einer Wollmütze in einem Café wärmt. „Sie wollen uns kontrollieren.“ 

Die Regierung setzt auf Zuckerbrot und nicht auf die Peitsche, versichert Mohamed El-Guerrouj, Leiter der neu geschaffene staatliche Behörde zur Regulierung des legalen Cannabis-Konsums.

„Es ist ein lukrativer Markt“

Die Legalisierung würde den mageren Einnahmen der Landwirte erhöhen und Wasserressourcen schützen, sagt er. Die Isolation der Region hätte endlich ein Ende, indem neue Arbeitsplätze in einem nationalen Wirtschaftszweig entstehen.

Es sei eine „außergewöhnliche Chance“ für die Landwirte, betont El-Guerrouj in seinem fast leeren Büro in Rabat und fügt hinzu, dass die Bauern zu nichts gezwungen werden. Seine Behörde ist zuständig für die Zulassung von landwirtschaftlichen Genossenschaften und Unternehmen, die Regulierung der Einfuhr von Cannabisprodukten und -samen sowie die Entsendung von Inspektoren. 

„Es ist ein lukrativer Markt, die Landwirte müssen einen größeren Anteil am Gewinn erhalten und die Zwischenhändler loswerden", sagt er: „Wie in jeder aufstrebenden Branche wird die Nachfrage steigen, die Nachfrage wird kommen, Schritt für Schritt.“

Das Gesetz tritt ab dem nächsten Frühjahr in Kraft, erklärt er. Kritiker befürchten, dass die Gesetzgebung übereilt gehandelt hat. Es gibt keine konkreten Prognosen für die Höhe der Einnahmen oder die Zahl der Landwirte, die mitmachen werden. Im Gesetzentwurf des Innenministeriums heißt es, dass die Umstellung auf legales Cannabis die Einnahmen aus dem Geschäft bis 2028 um etwa ein Drittel steigern könnten. 

Der Handel ist sehr wettbewerbsintensiv, Familienmitglieder im Rif arbeiten oft gegeneinander

Der Handel ist sehr wettbewerbsintensiv, Familienmitglieder im Rif arbeiten oft gegeneinander, so Khalid Mouna, ein bekannter Forscher der marokkanischen Cannabiswirtschaft. Es wird schwierig, die Mehrheit der Cannabisbauern in Kooperativen zusammenzuführen, die dann legale Cannabispflanzen produzieren, meint er. 

„Die Cannabiswirtschaft basiert per Definition auf Ausbeutung und der Vorherrschaft der Drogenbarone und auf einem starken individuellen Wettbewerb zwischen den Produzenten“, sagte Mouna. „Wir haben unsere Legalisierung auf einer Logik der kollektiven Arbeit aufgebaut, die nicht Teil des marokkanischen Cannabis modus operandi ist. Die Bauern werden so aus ihrer Komfortzone gestoßen.“ 

Konkurrenz aus Ländern wie Thailand, Uruguay und Ruanda

Selbst wenn es der Regierung gelingt, die Landwirte ins Boot zu holen, ist es eine komplett andere Sache, Weltmarktführer im medizinischen Cannabishandel zu werden, meint Khalid Tinasti, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Schweizer „Centre on Conflict, Development and Peacebuilding“. Unabhängig davon, muss das Land mit großer Konkurrenz aus Ländern wie Thailand, Uruguay und Ruanda rechnen, so Tinasti. Zwar kommen 70 Prozent des Haschischs in Europa aktuell aus Marokko, doch der Markt ist dynamisch. 

Seit der Pandemie gehen die Einnahmen aus dem Cannabisanbau in Marokko zurück. Es wurde zu viel produziert und weniger nachgefragt. Den jüngsten Daten des Innenministeriums zufolge lagen die Einnahmen im Jahr 2020 bei 325 Mio. Euro – dem gegenüber steht ein Straßenwert von 8,1 Mrd. Euro. Das ist ein Rückgang um ein Drittel seit den frühen 2000er Jahren. 

Die Preise erholen sich, nicht zuletzt wegen der Legalisierung, sagt Adardak Charif, ein Aktivist und Forscher aus Al Hoceima, in der die Massenproteste stattfanden. Der Preis für rohe und getrocknete Cannabispflanzen sei um mehr als 50 Prozent gestiegen, während sich der Preis für Haschisch verdoppelt habe. 

„Die Legalisierung eröffnet ungeahnte Möglichkeiten – aus der Makroperspektive ist das nicht schlecht“, sagte Charif. „Aber die Legalisierung in ihrer jetzigen Form wird unsere chronischen sozialen und wirtschaftlichen Probleme nicht lösen. Wenn sich die Region entwickelt, wird sie weder legales noch illegales Cannabis brauchen.“

Es waren Touristen, die den marokkanischen Bauern alles beibrachten

Doch alte Gewohnheiten lassen sich nur schwer ablegen. In Issaguen hat Mrabet den Cannabisanbau in den 1960er Jahren von seinen Vorfahren übernommen. Die Stadt galt damals als Zufluchtsort für westliche Touristen und Hippies, die im felsigen Gebirge auf der Suche nach der marokkanischen Cannabissorte Beldia waren. Es waren diese Besucher, die den marokkanischen Bauern beibrachten, wie man das Harz extrahiert. 

Er erinnerte sich gerne an diese Zeit zurück. „Sehen Sie mich an: Ich habe nicht einmal mehr richtige Schuhe“, sagte er. „Das Einzige, was wir hier haben, ist Cannabis und unsere Nähe zu Europa. Diese Legalisierung ist nichts für uns: Die Unternehmen können hier nicht einmal Arbeitsplätze ansiedeln. Haben Sie den Zustand der Straßen und der Infrastruktur gesehen?“  

Etwa 65 km entfernt betont Bousemath, dass sich in seinem Dorf seit seiner Geburt nicht viel verändert hat. Er sagt, dass schwangere Frauen immer noch eine zweistündige Fahrt auf sich nehmen müssen, um das nächste Krankenhaus zu erreichen. 

Kaum ein Bauer traut dem plötzlichen Interesse der Regierung an der abgelegenen Region 
Kaum ein Bauer traut dem plötzlichen Interesse der Regierung an der abgelegenen Region 
© Bloomberg

„Hier gibt es nichts“

Die Region ist auf ein Netz von Mercedes 207-Kleintransportern angewiesen, die als Gebrauchtfahrzeuge hauptsächlich aus Deutschland und den Niederlanden importiert werden. Sie werden für alles Mögliche eingesetzt, für den Transport von Haschisch bis zur Auslieferung von Lebensmitteln und Fahrgästen. Die Wagen beherrschen den Verkehr auf den schmalen und holprigen Straßen, die Issaguens und Bousemaths Distrikt mit dem restlichen Marokko verbinden. 

„Hier gibt es nichts“, sagte Bousemath. „Jeder Drogenbaron ist ehrlicher und menschlicher als alle jene, die mit falscher Menschlichkeit hausieren gehen.“

© 2022 Bloomberg L.P.

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