Schlimmer konnte es kaum noch kommen für Wladimir Putins wichtigsten Konzern: Gazprom verbuchte im vergangenen Jahr einen Verlust von 7,3 Mrd. Euro – die ersten roten Zahlen überhaupt seit fast einem Vierteljahrhundert. Und das nach einem Gewinn von 13 Mrd. Euro im Vorjahr 2022. Die Zahlen aus der vergangenen Woche sprechen eine eindeutige Sprache: Gazprom kann die Pipeline-Lieferungen nach Deutschland und in die anderen EU-Länder kaum kompensieren. Sie waren 2023 nach dem Überfall auf die Ukraine um weit mehr als die Hälfte eingebrochen.
Die Hoffnungen auf Flüssiggasexporte (LNG) haben sich nur zu einem kleinen Teil erfüllt. Zwar konnten die Russen für 2023 eine Steigerung melden. Aber die große Wende für Gazprom bringt das nicht. Die Kapazitäten lassen sich nur sehr schwer ausbauen, weil westliche Technik fehlt. Der Bau von eisgängigen Gastankern kommt nur langsam voran. Und der geplante Ostseetermin in Ust-Luga verspätet sich mindestens um zwei weitere Jahre bis 2026 – wenn es gut läuft für Putin. Aber selbst nach seiner Fertigstellung schafft Russland damit keinen vollständigen Ausgleich für das frühere Pipelinegas.
Realistischerweise bleibt Putin nur die Hoffnung auf Xi Jinping, wie auf so vielen – vor allem den kriegsentscheidenden – Feldern. Der Kremlherrscher wartet mit wachsender Ungeduld auf ein klares Wort des chinesischen Alleinherrschers zum Bau der Pipeline „Power of Siberia II“. Sie soll die zentralen Lagerstätten auf der Halbinsel Yamal über die Mongolei mit China verbinden. Bisher gibt es keinen Vertrag. Und vor allem keine Einigung über die zweistelligen Milliardenkosten des schwierigen Projekts. Putin verfügt über keine Alternative zu diesem Plan, aber Xi Jinping schon.
Eine Pipeline als Rettungsring für Gazprom
Die Chinesen sind Realisten: Ein Votum für die Pipeline wäre zugleich ein endgültiges Votum für einen „neuen Ostblock“, der Russland und China auf sehr lange Zeit wirtschaftlich aneinander ketten würde. Das Reich Putins würde sich endgültig in einen Satellitenstaat Chinas verwandeln, was Xi Jinping durchaus goutiert. Aber der Diktator sieht auch die Nachteile dieser geopolitischen Achsenverschiebung: die weitere Entkopplung vom Westen mit seinen Spitzentechnologien und seiner Wirtschaftskraft. So sehr sich Xi auch öffentlich auf die Seite Putins stellt, so skeptisch sieht die chinesische Elite die langfristige Stabilität des russischen Regimes und die Entwicklungschancen seiner Wirtschaft.
Im Moment sieht es so aus, als ob Xi den Russen am Ende doch entgegenkommt und sich auf das Pipelineprojekt einlässt. Es wäre der Rettungsring für Gazprom. Egal was es kostet, der Gasriese müsste sich den chinesischen Wünschen beugen – und wird es auch tun. Der Weltmarkt für Energie, bisher das Musterbeispiel der Globalisierung, könnte langfristig in zwei Hälften zerfallen: eine unter chinesischer Führung und eine unter amerikanischer. Die USA sind bereits wieder zur Nummer eins bei Gas und Öl aufgestiegen. Anders als Gazprom machen die Konzerne in den USA so hohe Gewinne wie lange nicht mehr. Und der Nahe Osten? Fiele auf die Position des Swing-Lieferanten zurück, der Nachfragespitzen in beiden Lagern ausgleicht.