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Russland Warum Gazprom neuerdings Verluste macht

Gazprom-Büros in Sankt Petersburg
Gazprom-Büros in Sankt Petersburg
© picture alliance/dpa/TASS | Alexander Demianchuk
Jahrzehntelang war der Energieriese Gazprom eine Cashcow des russischen Staates. Doch das Geschäftsmodell des Gaslieferanten ist Vergangenheit

In russischen Behörden und staatlich kontrollierten Unternehmen gibt es eine alte Aufgabenteilung, die seit jeher durchgehalten wird: Gute Nachrichten verkündet der Chef, schlechtere hingegen überlässt man dem Vize. Als sich am Dienstag Famil Sadygow, der stellvertretende Vorstandsvorsitzende des Energieriesen Gazprom, im Kurznachrichtendienst Telegram zu Wort meldete, war daher klar, dass es keine Jubelmeldung geben würde. Sadygow verkündete in eher nüchternem Ton die Zahlen für das erste Halbjahr 2023: 296 Mrd. Rubel (2,8 Mrd. Euro) Nettogewinn.

Brisant wurde dieser Wert vor allem, wenn man ihn mit dem Vorjahreszeitraum verglich, den Sadygow zwar nicht referierte, aber in einem angehängten Finanzbericht mitlieferte: Danach hat Gazprom in den sechs Monaten von Januar bis Ende Juni weniger als ein Achtel des Vorjahresgewinns erzielt.

Damit aber nicht genug: Im zweiten Quartal 2023, so geht aus dem Bericht hervor, erwirtschaftete der Energiekonzern, einst die Cashcow des russischen Staates, sogar einen Verlust: umgerechnet fast 178 Mio. Rubel. Verluste sind etwas, was in der Geschichte von Gazprom nicht gerade häufig vorkommt; das Unternehmen, das lange vor allem die zu Sowjetzeiten erschlossenen Erdgasreserven Westsibiriens ausbeutete, galt als Gelddruckmaschine der russischen Industrie.

Sinkende EU-Exporte

Sadygow lieferte denn auch gleich ein paar beruhigend gemeinte Hinweise mit. Die schlechten Werte in der Bilanz seien auf „Wechselkursdifferenzen auf Finanzposten“ zurückzuführen, so der Gazprom-Vize, zudem verfüge das Unternehmen über ein „erhebliches Liquiditätspolster“.

Bei Experten stößt dieser Erklärungsversuch auf Skepsis. „Ich glaube nicht, dass Währungsunterschiede verantwortlich für den Rückgang sind“, sagt Wladimir Milow, ehemaliger russischer Vize-Energieminister und heutiger Oppositionspolitiker im Exil. „Der wichtigste Faktor ist ein Rückgang der Einnahmen.“

Tatsächlich zeichnet sich eines immer klarer ab: Das ursprüngliche Geschäftsmodell von Gazprom – der lukrative Verkauf von Erdgas nach Deutschland und in andere Länder der Europäischen Union – ist infolge des russischen Exportstopps, zerstörter Pipelines und mittlerweile auch der Umorientierung westlicher Abnehmer zusammengebrochen. Im Frühjahr 2022 lag der Anteil russischen Gases an den EU-Importen noch bei fast 40 Prozent, inzwischen rangiert dieser Wert deutlich unter 20 Prozent. Zwar steigen mit den zunehmenden Importen von Flüssiggas (LNG) nach Europa auch die Einfuhren von russischem LNG, allerdings hat das Land, in dem jahrzehntelang überwiegend auf Pipelines gesetzt wurde, nur vergleichsweise geringe LNG-Kapazitäten.

Hinzu kommt nach Ansicht Milows ein weiterer Faktor: Der Verlust von Gazprom-Tochterfirmen und im Zuge des Krieges eingefrorenes Vermögen im Westen haben zur Folge, dass auch die Devisenströme jenseits des reinen Gasgeschäfts versiegen.

Der Einbruch bedeutet nicht nur für Gazprom ein Problem, sondern auch für den russischen Staatshaushalt, der sich seit langem zu einem großen Teil über die Einnahmen aus den Exporten von Gas und Öl finanziert. In der ersten Jahreshälfte sind diese Zuflüsse um die Hälfte eingebrochen, das Budgetdefizit weitet sich aus.

Ausweg China?

Um etwaiger Kritik vorzubeugen, verwies Gazprom-Vize Sadygow auch darauf, dass Russland einen neuen Abnehmer gefunden habe: Der Rückgang der Exporte nach Europa sei „teilweise durch einen Anstieg der Lieferungen nach China“ ausgeglichen worden, so Sadygow. Diese würden „im Rahmen der vertraglichen Verpflichtungen weiter wachsen“.

Allerdings gibt es dabei drei grundlegende Probleme: Erstens verbindet Russland mit China derzeit nur eine Pipeline von geringer Kapazität, ein Ausbau dieser Verbindung wird Jahre dauern. Zweitens dürfte Gazprom im Geschäft mit China nur einen Bruchteil der Preise erzielen, die es in der EU verlangen konnte. Und drittens haben die Chinesen derzeit mit wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen, die auch den Rohstoffhunger des Riesenreichs begrenzen dürften.

Falls Gazprom, der Energieriese, der einst Europa das Fürchten lehrte, also aus diesem Tal herauskommen will, liegt eine Menge Arbeit vor dem Unternehmen. Und die Arbeit – auch das ist eine Grundregel in russischen Konzernen – muss immer der Vize machen.

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