Immer wieder habe ich mich gefragt, ob ich mir das antun soll. Ich sehe jeden Tag diese Bilder mit den langen Tischen in Hufeisenform, die stets ganz zugestellt sind mit Getränken, Kaffee, und Tassen, an denen viele Menschen sitzen. In politbüroartigen Formationen, das Lächeln in Wir-tun-gleich-was-Stellung. Unter diesen Fotos wird dann lange erzählt, dass ein CDU-Mann anfangs 34 Plätze entfernt von einer SPD-Unterhändlerin saß, deren Namen ich vergessen habe. War es Ulla Schmidt? Macht die noch Politik? Jedenfalls sind sich der CDU-Onkel und die SPD-Tante jetzt etwas näher gekommen.
Die Politbüroformation, so wird berichtet, schwärmt dann aus, aus 70 werden 200 Unterhändler, und was die alles verhandeln, darüber müssen noch mal weitere Tausende entscheiden. Aber nur von der SPD. Die hat nämlich eine Basis, und ohne die geht nichts. Die CDU-Basis wurde von Angela Merkel abgeschafft. Und damit die SPD-Basis mitmacht, müssen es so viele sein, damit viele das Ergebnis verteidigen können. Auf so etwas muss man erst mal kommen.
Welche Botschaft aber geht von solchen Bildern aus?
Ich bin froh, dass ich den Prozessquatsch, das Vorschlags-Hin-und-her im Grunde nicht verfolgen muss, auch wenn man für diese Koalition war. Dass Seehofer sauer auf Friedrich ist wegen der Idee mit der Maut-Überwachung. Dass Andrea Nahles sehr „ernst“ mit Ursula von der Leyen bespricht, wie sie am besten in die Rentenkassen greifen. Dass die SPD schon wieder Steuererhöhungen will, die sie jetzt „Steuerverschärfung“ nennt, was anders, aber nicht unbedingt besser klingt. Dass die Wirtschaftsmänner (von denen es doch nur noch so wenige gibt!) die ganze Zeit zu lange Wunschlisten erstellen. Und dass die Mietpreisbremse offenbar das erste Thema ist, wo man sich einig ist. Was für eine Zukunft! Die Mietpreisbremse, wenigstens die kommt!
Wust und diffuse Zusammensitzerei
Ich erinnere Fotos von früheren Koalitionen, und ich meine nicht die von Willy Brandt, der in diesen Tag ohnehin zu viel gefeiert wird. Ich erinnere Gerhard Schröder, Oskar Lafontaine und Joschka Fischer im Jahr 1998, sie stehen mit Gläsern in der Hand, mit denen sie angestoßen haben. Sie lachen etwas zu laut, ihre Körper beugen sich vor lauter Regierungsvorfreude, aber sie lachen in ihre Ära hinein. Ich erinnere Merkel und Münte 2005, der Zauber der ersten Annährung nach dem Siechtum von Rot-Grün. Und dann Guido Westerwelle, der zu sehr und zu laut strahlte. All diese Fotos sind ikonografisch, und wir können, was danach passiert ist, auf einige Formeln bringen; auf Projekte, auf Erfolge und Formeln des Scheiterns.
Dieses Große Koalitionshufeisen aber strahlt nichts aus, außer Wust und diffuse Zusammensitzerei, und die verquasten Botschaften, die nach draußen dringen, klingen bisweilen wie ein Bedrohung. Es geht nicht um eine Idee, sondern Bindestriche in Einzelkatalogen, in denen gewünscht und gefordert wird. Hier wird nicht Komplexität reduziert, sondern planmäßig geschaffen, nicht im Großen gedacht sondern im Kleinen gefordert. Was von einer monströsen Dimension der neuen Regierung kündet: die Große Bürokratie. Normalerweise wursteln sich Regierungen immer am Ende durch. Nun wursteln sie schon am Anfang.
Wer entscheidet denn jetzt ob ein Mindestlohn von 8,50 Euro gut und richtig ist? Oder gibt die Prozesslogik hier den Ausschlag, weil diese Summe die Gewerkschaften mit ein paar SPD-Linken vor einiger Zeit nun mal gewürfelt haben? Und warum kommt es immer auf diese Inhalte an, wenn man für just diese Inhalte gerade eine kalte Klatsche vom Wähler bekommen hat? Und überhaupt: Warum hat man hier den Eindruck, dass die abgestrafte SPD zum einen ihre ganzen Ideen durchdrückt, aber nicht mal weiß, welche Ministerin sie haben will, in der Panik, zu klein zu werden? Anders gesagt: Warum ist der Kleine eigentlich so groß?
Man schaut also auf diese Bilder mit den vielen Großkoalitionären, und man wendet sich jetzt schon mit leichtem Schauder von diesem Bild ab. Das hat man selten gehabt, gleich am Anfang, dass einem mulmig wird, was diese Menschen vorhaben. Vielleicht wissen sie es auch nicht.
Mehr von Horst von Buttlar: Die Mythen der Merkelmania und Wählt (auch) die, die nichts tun wollen