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Kommentar Die Mythen der Merkelmania

Alle haben so etwas von die Hosen voll vor Angela Merkel, dass es fast schon unwürdig ist. Die Stärke der Union verdeckt eine latente Schwäche. Von Horst von Buttlar
Horst von Buttlar
Chefredakteur Horst von Buttlar
© Trevor Good

Von allen Sätzen, die Politiker nach Wahlen sagen, gibt es zwei Formeln, die ungefähr 90 Prozent des Gesagten einnehmen: Man müsse das Wahlergebnis nun „in Ruhe analysieren“ beziehungsweise „in den Gremien diskutieren“. Wenn Politiker an Wahlsonntagen nur noch verkünden, dass sie ihre schlechten Ergebnisse in Ruhe analysieren und in Gremien diskutieren wollen, stellt sich die Frage, ob man diese Wahlsonntagnachlesen nicht einfach abschaffen sollte und erst eine Woche später die Politiker in Elefantenrunden und Studiohalbkreise bittet, nachdem sie alles in Ruhe analysiert haben.

Vielleicht aber ist auch das viel zu früh, denn knapp eine Woche nach der Wahl ist die in den Gremien diskutierte ruhige Wahlanalyse nur zu einer Erkenntnis erlangt: Alle haben so etwas von die Hosen voll vor Angela Merkel, dass es fast schon unwürdig ist.

Die Kanzlerin wiederum hat in der Elefantenrunde etwas ganz und gar Außergewöhnliches gesagt, als es um das schlechte Ergebnis der SPD ging: Die SPD sei ja nun vier Jahre in der Opposition gewesen und habe trotzdem nur knapp 26 Prozent erreicht, man könne sie also dafür nicht verantwortlich machen. Als Schlagzeile hätte man schreiben können: „Merkel übernimmt keine Verantwortung für SPD-Ergebnis“, was der Ignoranz, die die Kanzlerin der SPD im Wahlkampf entgegenbrachte, die Krone aufsetzt: Sie muss sich nun quasi für das schlechte Ergebnis der Opposition rechtfertigen, um eine Koalition hinzubekommen.

Das Beunruhigende ist, dass die Sozialdemokraten diese Sichtweise übernommen haben: Merkel ist Schuld, also lieber keine Große Koalition. Lieber Regeneration in der Opposition. Bloß was genau wollen die Sozialdemokraten in den vier Jahren mit sich und ihrer Parteiseele anstellen? Sie haben sich seit 2009 vier Jahre lang sortiert und neu aufgestellt und sind mit dem linkesten Programm seit vielen Jahren angetreten – und haben trotzdem nur 26 Prozent bekommen. Was also ist genau die Lehre? Ein noch linkeres Wahlprogramm? Warten, bis Merkel weg ist?

Der SPD fehlt Charisma

Wenn die SPD schon in Ruhe analysiert (okay, wir lassen das mit der Ruhe mal weg, denn das ist eh gelogen: Parteien analysieren in Frust und Schockstarre), sollte sie vielleicht mal etwas weiter zurückgehen. 1998 hat die SPD unter Gerhard Schröder gewonnen – damals wurde aber vor allem Helmut Kohl abgewählt. Trotzdem war es ein Wahlkampf der Mitte, und die SPD hat immer nur in der Mitte gewonnen. 2002 war die Lage schon etwas komplizierter, weil der Wahlkampf durch Oder-Flut und Irak-Krieg so verzerrt war, dass der Vorsprung mit wenigen Tausend Stimmen im Grunde das Ergebnis eines Coups war, eines hitzigen Hasardspiels mit Deutschlands Staatsräson.

2005 dann war es wieder nur Schröder, der die SPD über 30 Prozent hievte und die Schwäche, die die ausgelaugte SPD schon damals in Programmatik, Gestaltungs- und Mobilisierungskraft in sich barg, nur verdeckte. Die Partei war nach sieben Jahren fix und fertig vom Regieren. Die 34 Prozent, die Schröder holte und die ihn in jenen legendären Polterrausch am Wahlabend trieben, waren eine Scheingröße.

Wenn man sich all das anschaut, stellt man schnell fest, was der SPD seitdem fehlt: Charisma. Die Strahlkraft eines Typs, der uns überzeugt, dass es Deutschland in seinen Händen besser geht als in Muttis Raute. Peer Steinbrück hat wenig Charisma, aber er strahlt Kompetenz aus, er hätte zumindest in der Mitte jene Wähler holen können, die von Schwarz-Gelb enttäuscht waren – wenn nicht seine Partei ihn so deformiert hätte, dass am Ende eine verkrampfte Kunstfigur herauskam, die ihre Beinfreiheit nur noch als Proll ausleben konnte.

Die Frage wird sein, wie sich die SPD nun wieder geschickt in die Mitte schiebt – ohne sich dort mit den Grünen zu drängeln, die ja auch wieder dahin wollen. Ja, nach so viel links wird es in der Mitte wieder eng. Hinzu kommt, dass die Partei offenbar die Wünsche der Partei und der Wähler nicht mehr so einfach synchronisieren kann. Die Parteibasis, die chronisch seit Dekaden brodelt oder rumohrt, ist in einem Erregungszustand gefangen, der die eigene Ernüchterung unentwegt nach draußen projiziert – erst auf die Agenda 2010 und nun auf Angel Merkel. Ob das Siechtum vielleicht auch mit mangelndem Angebot und Ideenreichtum zu tun hat, will kaum einer mehr wissen. Also sind alle beleidigt und führend Wahlkämpfe vor selbstgebauten Kulissen eines Landes, das es so nicht gibt. So trifft man nicht den Zeitgeist.

Furcht vor der absoluten Mehrheit

Angela Merkel ist viel mit einer „Schwarzen Witwe“ verglichen worden, einer Spinne, die ihre Partner verschlingt. Das ist sicherlich übertrieben und albern. Wenn die SPD, auch in der Großen Koalition, tatsächlich in Ruhe analysiert, und zwar nicht nur das eigene Ergebnis, sondern dass der anderen Parteien, wird sie bald etwas entdecken: dass nämlich die 42-Prozent-Merkel-CDU ebenfalls eine latente Scheingröße in sich trägt.

Die Kanzlerin, die dieses Land einmal „durchregieren“ wollte, schien sich am Sonntag vor der absoluten Mehrheit geradezu zu fürchten. Mit ein paar Stimmen mehr im Bundestag hätte diese Regierung nur sechs sichere Stimmen (Bayern) im Bundesrat gehabt. Die „schwarze Republik“, die Wahlkarten am Sonntag zeigen wollten, ist wie jene Trickbilder, die ihre Farben ändern, wenn man sie hin- und herbewegt, und da gibt es sehr viel Rot und Grün.

Die Deutschen wollten Merkel, das ist unverkennbar, aber nicht unbedingt die CDU. Abgesehen davon, dass sich sieben, acht Prozent des bürgerlichen Lagers inzwischen außerhalb der Parlamente tummeln. Die Schwäche in der Stärke der Union sollte die SPD nicht gleich wieder poltern lassen, so wie Ralf Stegner, SPD-Chef in Schleswig-Holstein es getan hat, der nun „fifty-fifty“ als Postenproporz ausruft. Aber die Furcht vor dieser übergroßen Union ist einfach übertrieben. Das ist Merkelmania.

Mehr zum Thema: Deutschland, einig Merkelland und Keine Zeit zum Ausruhen, Kanzlerin

Fotos: © Trevor Good

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