Martin Kaelble schreibt an dieser Stelle über Innovationen, Makro- und Techtrends aus der Weltwirtschaft.
Das Aussitzen hat sich ausgezahlt. Nach dem triumphalen Wahlergebnis vom Wochenende dürfte sich Angela Merkel in ihrer berühmten Taktik bestätigt fühlen: Erst einmal abwarten, keine all zu großen Schritte machen und damit keine Wähler verlieren. Die große Gefahr: Es drohen vier Jahre Reformstau. Denn „Mutti“ wird sich jetzt wohl erst recht auf den Lorbeeren einer gut laufenden Wirtschaft ausruhen. Lorbeeren, die sie der unbequemen Reformpolitik ihrer Vorgänger vor zehn Jahren mit zu verdanken hat.
Doch wirtschaftlicher Erfolg ist schnelllebig. Vor einem Jahrzehnt waren wir noch der kranke Mann Europas. Und während wir uns derzeit feiern (oder auch hassen) lassen, reformieren die anderen. Mal sehen, wie die Verhältnisse dann in ein paar Jahren aussehen. Merkels Abwarten und Aussitzen mag eine gute Strategie sein, um keine Wähler zu verprellen. Doch um Deutschland zukunftsfähig zu machen, ist es das falsche Mittel.
Es gibt viel zu tun. Die Schuldenkrise hat die Koordinaten für die Politik nachhaltig verändert. Die Sensibilität gegenüber Staatsverschuldung wird künftig dramatisch höher sein als in den vergangenen Jahrzehnten. Den Regierungen droht bei der Budgetplanung ein engeres Korsett denn je. Umso mehr kommt es nun darauf an, als Staat an den richtigen Stellen zu investieren. Und sich andernorts zurückzunehmen. Umso mehr braucht es nun Wachstum. Denn ohne Wachstum – das ist Konsens in der ökonomischen Forschung – lassen sich Staatsschulden kaum im Zaum halten. Bei einer gleichzeitig alternden Volkswirtschaft ist das eine enorme Herausforderung.
Innovationen brauchen staatliche Förderung
Wo soll dieses Wachstum herkommen? In einem Land wie Deutschland kann es nur aus Innovationen entstehen. Es ist unser größter verbleibender Trumpf gegenüber den Aufsteigern aus Asien. Dieses Potenzial radikal zu fördern, ist künftig genauso wichtig wie die Kontrolle der Schulden.
Noch haben wir Bosch und Daimler. Doch Facebook, Google, Twitter – sie alle kommen nicht aus Deutschland. Das sollte uns zu denken geben.
Diejenigen die glauben, dass innovatives Unternehmertum von selber entsteht, praktisch ohne staatliches Hinzutun, sind gerade erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik aus dem Parlament gewählt worden. Nein, auch neue Wachstumsquellen brauchen staatliche Förderung. Das zeigen Beispiele von Ländern, wo Wachstum vorbildlich durch neue Technologien entsteht.
Bestes Beispiel: Südkorea. Das Land hat einen rasanten Aufstieg zu einer globalen Innovationsmacht hingelegt. Und das ist kein Zufall. Jahrzehntelang hat die Regierung massiv in Bildung und Forschung investiert. Die dortigen Bildungsausgaben rangieren innerhalb der Industriestaaten ganz oben.
Von Asien lernen
Es liegt also eine einfache Formel für mehr Wachstum auf dem Tisch. Die Politik muss sie nur nutzen. Und zwar radikal. Eine Pflicht zu Bildungsausgaben von zehn bis 15 Prozent der Wirtschaftsleistung könnte wie die Schuldengrenze in der Verfassung verankert werden.
Mehr denn je, sollte der Staat darüber hinaus das Unternehmertum fördern. Das bedeutet: Regulative Hürden für Firmengründungen radikal beseitigen. Und Risikokapital fördern - auch hier lässt sich einiges von Asien lernen.
Frau Merkel sollte es sich zum Ziel setzen, Deutschland wieder zur Speerspitze globaler Innovationen zu machen. Mit einer ambitionierten Agenda 2020. Als gelernte Forscherin könnte sie sich damit ein Denkmal setzen.
Doch bislang ist die Kanzlerin beim Thema Reformen viel schuldig geblieben. Das mögen ihr rund 41 Prozent der Wahlberechtigten verzeihen. Reformen sind ja nie sonderlich beliebt beim Wähler. Und so wird es möglicherweise wieder erst die bisherige Opposition sein, die dann – nach Jahren des Merkel-Reformstaus – die unbequeme Arbeit erledigen muss.
Zu den letzten Kolumnen von Martin Kaelble: Demografie ist Indiens Trumpf, Die Rückkehr der Konglomerate, Macht euch unverwechselbar!, und Entzaubertes China
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Fotos: © Trevor Good; Getty Images