Martin Kaelble schreibt an dieser Stelle montags über Innovationen, Makro- und Techtrends aus der Weltwirtschaft.
Google arbeitet an fahrerlosen Autos. Apple stand angeblich kurz davor ebenfalls Autos zu bauen und entwickelt den Fernseher der Zukunft. Und Facebook will nun Billig-Handys für die dritte Welt bauen. Nach solchen Schlagzeilen der vergangenen Wochen breitet sich langsam das Gefühl aus, dass die IT-Welt den Tech-Riesen nicht mehr ausreicht. Jetzt wollen sie auf andere Terrains vordringen - in Bereiche, die nicht zu ihrem Kerngeschäft gehören. In der Regel fällt dann schnell das Wort Krake. Es wirkt auf viele beängstigend und größenwahnsinnig, wenn Digitalfirmen plötzlich nicht mehr nur auf Suchdienste oder iPhones setzen.
Dabei ist diese Entwicklung nicht ungewöhnlich, wie ein Blick in die Wirtschaftsgeschichte zeigt. Parallelen finden sich in einer anderen Gründerzeit, die Zeit der Erfindung der Elektrizität. Dabei stellt man schnell fest: Google & Co. wandern auf den Spuren von Siemens, AEG oder GE. Die expandierten damals nämlich ähnlich schnell in für sie unbekanntes Terrain.
Beispiel AEG. Der Konzern wurde 1883 als Deutsche Edison-Gesellschaft für angewandte Elektricität gegründet. Im Kern ging es um die Herstellung elektrischer Lampen. Doch ziemlich schnell kamen ganz andere Bereiche und Erfindungen hinzu. 1900 führte AEG den Haartrockner ein. 1901 folgte der Bau von Motorfahrzeugen, neun Jahre später Flugzeuge, ebenso Lokomotiven und kurzzeitig sogar Schiffbau. Ähnlich der Fall bei Siemens oder General Electric. Siemens begann 1847 mit Telegraphen. Doch bald kamen elektrische Züge und Glühbirnen hinzu. GE wiederum erschloss irgendwann gar die „Content-Seite“, gründete die Radio Corporation of America und darüber den Fernseh-Sender NBC.
Im Kern drehte es sich bei diesen Expansionen im weitesten Sinne noch um Elektrizität - wenn auch nicht mehr nur in Form einer Glühbirne oder einer Telegraphen-Leitung. So wie es sich bei Google & Co. heute im weitesten Sinne um Digitalität dreht, aber eben im Herz eines Autos oder eines Fernsehers. Diese Expansion ist also nichts anderes als ein logischer, natürlicher Schritt.
Doch breite Diversifizierung ist bei uns aus der Mode gekommen. Bis heute sind Siemens und GE im Westen einige der wenigen Überbleibsel der Konglomerate. Seit den frühen 90er-Jahren empfahlen Analysten die Konzentration auf Kernkompetenzen. An der Börse wurde eine zu große Diversifizierung lange abgestraft. Prominentestes Beispiel in Deutschland: Daimler-Benz. Nach der Ära von CEO Edzard Reuter wurde der größte deutsche Mischkonzern, der unter anderem AEG geschluckt hatte, wieder Richtung Kerngeschäft Automobil verschlankt. Auch Tui oder Linde folgten dieser Mode. Schlank war angesagt, angeblich ertragreicher, in jedem Fall wichtig für die Shareholder Value.
In den Schwellenländern dagegen waren die Konglomerate nie aus der Mode gekommen. Denn da wo Wachstum ist, da expandiert man eben - auch auf unbekanntere Felder. In Korea sind die so genannten Chaebol wie Samsung äußerst erfolgreich. In Indien verkauft der Großkonzern Tata nicht nur Lastwagen, sondern auch Tee und Mineralwasser. Zugegebenermaßen eine sehr extreme Form der Diversifizierung.
Auch wenn es vorerst wohl kein Google-Water geben wird (wobei zumindest Mitgründer Sergej Brin als Investor bereits auf dem Weg zum Google-Burger ist): Google, Apple oder Facebook könnten für eine Rückkehr des aus der Mode gekommenen Modells sorgen und die Konglomerate des 21. Jahrhunderts werden. Wir sollten uns nicht wundern, wenn künftig völlig neue Produkte und Märkte von Google Facebook, Apple und anderen angegangen werden, mit denen wir derzeit noch überhaupt nicht rechnen.
Zu den letzten Kolumnen von Martin Kaelble: Macht euch unverwechselbar!, Entzaubertes China und Die Internet-Anomalie
E-Mail: Kaelble.Martin@capital.de
Folgen Sie Capital auf Twitter: @capitalMagazin
Fotos: © Trevor Good; Getty Images