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Kolumne Die Internet-Anomalie

Die Gratiskultur im Netz ist eine wirtschaftsgeschichtliche Anomalie. Sie dürfte auf Dauer wohl kaum Bestand haben. Der Aufkauf der Washington Post ist ein Vorgeschmack. Von Martin Kaelble

Der Kauf der Washington Post durch Amazon-Chef Jeff Bezos ist an Symbolik nicht zu übertreffen. Die wohl treffendste Überschrift gab der Tech-Autor Andrew Leonard auf salon.com ab: „The Iceberg just rescued the Titanic“. Man könnte es auch anders formulieren: Diejenigen, die es verstanden haben mit dem Internet Geld zu verdienen, kaufen diejenigen, die alles verschenken.

Klar: Man hat sich daran gewöhnt, dass es im Internet alles umsonst gibt. Eine ganze Bewegung, im aktuellen deutschen Wahlkampf gar eine ganze Partei, will im Netz gerne alles kostenlos haben. Doch was würden Sie sagen, wenn Ihr Bäcker plötzlich anfängt seine Brötchen zu verschenken, um für ein paar Jahre erst einmal „Reichweite“ aufzubauen? Er bräuchte einen ziemlich loyalen Investor, der ihm dafür die Azubis und die Ladenmiete jahrelang zahlt. Im Internet geht das. Die Frage ist aber wie lange.

Mit etwas Abstand erscheint das Internet wie eine Anomalie in der Wirtschaftsgeschichte. Man findet wenige Beispiele in der Vergangenheit, wo in dieser Form über einen längeren Zeitraum Güter produziert und dann gratis verschenkt wurden. Denn am Ende sind die Gesetze der Wirtschaft doch sehr einfach: Wer Kosten hat, aber im Gegenzug zu wenig Einnahmen generiert, ist irgendwann pleite.

Ökonomen nutzen deshalb auch gerne den Satz: „There ain't no such thing as a free lunch“. Alles hat seine Kosten. Wenn eine Gruppe von Konsumenten etwas geschenkt bekommt, gibt es immer irgendjemand anderen, der dafür bezahlt. Bei Startups sind das Investoren. Beim journalistischen Online-Angebot sind es derzeit die Verlage. Diese Logik lebt vom Versprechen auf die Zukunft. So lange dieses Versprechen gilt, hält die Anomalie an.

Nun gab es in der Wirtschaftsgeschichte durchaus einige Modelle, in der es Gratis-Produkte gab. Meist jedoch als Köder für andere Käufe. So gab es im 19. Jahrhundert im amerikanischen Westen in Saloons tatsächlich „Free Lunch“ für die Gäste. Das Essen war in der Regel sehr salzhaltig. In der Folge kauften die Gäste mehr Bier.

Im Internet folgt die Gratis-Mentalität verschiedenen Logiken. Variante eins: Wir verschenken erst einmal Bier und Lunch und hoffen irgendwann dann dafür Geld verlangen zu können. Variante zwei: Wir verschenken Lunch und Bier, um viele Leute in den Saloon zu holen und versuchen die Kosten über Werbeanzeigen quer zu finanzieren (was meistens nicht so richtig gelingt, weil mit Online-Werbung immer noch zu wenig Geld verdient wird).

Erfolgreiche (Ex-)Startups wie Amazon haben es anders gemacht: Sie verschenkten nichts. Sie hatten von Anfang an eine klare Strategie auf ihrem Marktplatz durch Gebühren, Geld zu verdienen. Sie machten bei der Anomalie nicht mit. Und kaufen nun die Mitmacher.

Nun wird es interessant zu sehen, was solch ein Player aus einem Gratis-Laden macht. Die Strategie könnte dem Saloon-Prinzip des 19. Jahrhundert folgen. Der journalistische Content könnte das Gratis-Lunch werden. Das Bier (die neue Kernkompetenz) dann dahinter geschalteter E-Commerce werden. Es würde dann vielleicht immer noch Gratis-Angebote geben. Aber mit der Anomalie wäre es vorbei.

Martin Kaelble schreibt an dieser Stelle montags über Innovationen, Makro- und Techtrends aus der Weltwirtschaft. Seine letzten Kolumnen: Yoga für Unternehmen, Lang leben die BRICS und Der Süd-Süd-Club

E-Mail: Kaelble.Martin@capital.de

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