Martin Kaelble schreibt an dieser Stelle montags über Innovationen, Makro- und Techtrends aus der Weltwirtschaft.
Wer seine Zeit hin und wieder bei Stehempfängen in Wirtschaftskreisen verbringt, kennt diesen Satz: „In China würde es so etwas wie die Euro-Krise nicht geben, die würden einfach durchregieren.“ Oder auch: „In China gibt es kein Parlament, das alles zerredet. Da wird ein Konjunkturpaket einfach direkt umgesetzt!“ Es ist interessant zu beobachten, wie - ansonsten wenig staatsbegeisterte - Manager zu Bewunderern des Dirigismus Made in China geworden sind.
Der Ursprung dieser ungewöhnlichen Liebesgeschichte liegt im Jahr 2008: Nach dem Lehman-Kollaps geriet das bis dahin beachtliche chinesische Wachstumstempo in Gefahr. Peking zögerte nicht lange und setzte kurzerhand ein gigantisches Konjunkturpaket auf, während in Europa noch diskutiert wurde. Die Märkte jubelten. Die Manager warfen sich auf den Stehempfängen die genannten Sätze zu. Und China-Kenner Frank Sieren schrieb damals in der Zeit: Das chinesische Paket könne der Welt auf keinen Fall schaden, Peking gehe damit nur geringe Risiken ein.
Fünf Jahre später sind wir schlauer. Im Nachhinein fällt die Bilanz des Mega-Stimulus mehr als gemischt aus. Das schnelle Durchgreifen erscheint im Rückblick heute eher als nervöse Überreaktion. Der renommierte chinesische Ökonom Yu Yongding warnte bereits 2009 vor den Problemen. Princeton-Wirtschaftshistoriker Harold James bezeichnete es kürzlich gar als „Katastrophe“.
Spätfolgen der Konjunkturspritze
Freilich war es aus damaliger Sicht verständlich und richtig, schnell zu handeln - weil niemand wusste, wie schlimm die Folgen des Lehman-Crashs sein würden. Doch die chinesische Konjunkturlokomotive hatte im Gegensatz zu Amerika oder Europa damals noch viel Fahrt (mehr als 14 Prozent Wachstum 2007) - und wurde dennoch mit dem größten aller Konjunkturpakete angeheizt. Besser gesagt überhitzt. Seither kämpft China nämlich mit Blasenentwicklungen und faulen Krediten. Das Riesenpaket im Umfang von mehr als 500 Mrd. Dollar hat zu vielen Fehlinvestitionen geführt. Bis 2011 mussten bereits mehr als 20 Prozent der Kredite des Programms abgeschrieben werden. Bis heute kämpft Peking mit den indirekten Folgen. Dass die China-Story derzeit an den Märkten an Glanz verliert, hat auch mit diesen Spätfolgen zu tun.
Pekings Konjunkturpaket lehrt uns viel über das verbreitete Bauchgefühl, wonach Demokratien auf Krisensituationen schlechter reagieren als totalitäre Regime, die leichter durchregieren können. Mit der Krise der Industrieländer hatte auch das westliche Wirtschaftsmodell in den vergangenen Jahren Kratzer bekommen, Chinas Modell im gleichen Zug an Glanz gewonnen, nicht nur für westliche Manager.
Die Forschung hält einiges an Untersuchungen zu diesem Bauchgefühl bereit. Im Kalten Krieg war im Westen die Meinung weit verbreitet, dass in armen Ländern undemokratisches Durchregieren von Vorteil sein kann. Der US-Forscher Karl de Schweinitz schrieb Ende der 50er-Jahre, dass arme Länder Länder „die demokratische Partizipation in der Politik beschneiden müssen, wenn sie ökonomisch wachsen wollen“.
Keine Vorteile für Diktaturen
Spätestens in den 90er-Jahren war diese Meinung in der Wissenschaft weitgehend diskreditiert - vor allem wegen einer breit angelegten Studie des Politikwissenschaftlers Adam Przeworski. Er hatte systematisch politische Systeme in 135 Ländern seit dem zweiten Weltkrieg untersucht und kam zu einem klaren Ergebnis: Diktaturen haben keineswegs für mehr Wachstum gesorgt als Demokratien. Im Gegenteil, in den meisten Fällen war ihr willkürliches Durchregieren eine ökonomische Katastrophe. Ausnahmen fanden sich schon immer in Asien, in Südkorea und Taiwan zum Beispiel, wo vor der Demokratisierung recht verantwortungsvolle Diktaturen für Wachstum sorgten. Doch genau solche Fälle von gutmütigen Führern sind bei totalitären Regimen eben selten.
Nun dürfte China wohl zweifellos eher in die Ausnahme-Kategorie fallen. Doch der Fall des Mega-Stimulus zeigt, dass auch dort die Sache nicht ganz so einfach ist.
Es war zweifellos die Sorge vor Unruhen, die Peking 2008 zu ihrer schnellen, entschlossenen Reaktion verleitet hat. Eine Faustregel besagt, dass ab einem Wachstum von unter acht Prozent Chinas vom Land zuströmenden Wanderarbeiter in den städtischen Fabriken nicht mehr absorbiert werden. Dann drohen Unruhen. Schon der Aufstand von 1989 am Tian’anmen-Platz hatte mitunter ökonomische Gründe. Daher zeigt sich Peking immer wieder besonders sensibel bei jedem leisesten Anflug ungewollter Konjunktur-Abschwächung. Doch diese Nervosität kann gefährlich sein, wie das Paket von 2008 zeigt. Im Nachhinein ist man immer schlauer: Doch ein kleinerer Stimulus wäre für China damals sinnvoller gewesen. Es fehlte dabei auch der öffentliche Diskurs, der diese Überreaktion hätte mäßigen können. Manchmal ist ein wenig demokratisches Zerreden eben gar nicht so schlecht.
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