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Hohe Hürden, große Chancen Wie weltoffen ist Syriens neue Führung wirklich?

Außenministerin Annalena Baerbock mit dem neuen syrischen Machthaber Ahmed al-Scharaa in Damaskus
Außenministerin Annalena Baerbock mit dem neuen syrischen Machthaber Ahmed al-Scharaa in Damaskus
© Jörg Blank/dpa / Picture Alliance
Syrien nimmt Kurs auf die Zukunft: Nachdem die HTS-Miliz das Assad-Regime gestürzt hat, verhandeln die neuen Machthaber mit dem Ausland. Auch mit uns. Wohin steuert Syrien

Gut ein Monat ist seit dem Sturz des Assad-Regimes in Syrien vergangen: Der neue starke Mann im Land ist Ahmed al-Scharaa von der HTS-Miliz. Er formiert eine Übergangsregierung und empfängt internationale Politiker. Seinen früheren islamistischen Kampfnamen hat er abgelegt. Die Herausforderungen, die jetzt auf ihn warten, sind riesig.

Der Nahost-Experte Carsten Wieland fasst es im Podcast „Wirtschaft Welt & Weit“ so zusammen: Ein staatliches Gewaltmonopol herzustellen ist „eine gigantische Aufgabe in einem Land, das 13 Jahre brutalsten Krieg erlebt hat.“ Die Zerstörung ist groß, genau wie die Polarisierung. Wieland bezeichnet Syrien als „Mosaik verschiedener Religionen, Ethnien und Weltanschauungen“. Genau das müsse sich im Regierungshandeln widerspiegeln. Und dieser Test, so Wieland, ist „noch nicht bestanden“. 

Raus aus dem Kampf, rauf aufs politische Parkett: Wie glaubwürdig kann das sein? Das ist die erste Frage, der sich Ahmed al-Scharaa gerade stellen muss und die erst mit der Zeit zu beantworten sein wird. Carsten Wieland sieht durchaus „richtige Signale“ gegenüber ethnischen und religiösen Minderheiten, die Zukunft Syriens mitzugestalten. Rachefeldzüge nach dem Sturz Assads seien ausgeblieben, auch der Staatsapparat sei nicht verfolgt worden. 

Kritik an Justizminister

Doch die Störfaktoren sind groß: Zum einen versuchen verbliebene Assad-Anhänger zu Lage zu destabilisieren, zum anderen wollen radikale Islamisten ihre Positionen durchsetzen. Ahmed al-Scharaa wird sich daran messen lassen müssen, wie er damit umgeht: „Jetzt muss er das Gewaltmonopol gegenüber denjenigen durchsetzen, die in seiner Koalition und Bewegung sind“, sagt Wieland. Die Ernennung eines Hardcore-Islamisten als Justizministers sei auch in Syrien auf Kritik gestoßen, erklärt Wieland. Bleibt zu beobachten, ob Ahmed al-Scharaa an ihm festhält oder auf angesichts der Proteste seine Personalentscheidung korrigiert. 

Die deutsche Position zur Beteiligung von Minderheiten und auch zu Frauenrechten ist in Damaskus jedenfalls bekannt: Bundesaußenministerin Annalena Baerbock und ihr französischer Amtskollegen Jean-Noël Barrot haben sie persönlich kundgetan. Bei der Betrachtung ihres Syrien-Besuchs zählt für Wieland übrigens der Inhalt mehr als die Frage nach einem Handschlag für die deutsche Außenministerin: Seiner Ansicht nach hat Deutschland einiges an Expertise zu bieten, bei der Aufarbeitung von Kriegsverbrechen genauso wie in wirtschaftlicher Hinsicht.

International wirken die syrischen Machthaber aktuell offener als es manch einer erwartet hat. „Es ist klar herauszulesen, dass sie momentan keinen Konflikt haben möchten“, sagt Carsten Wieland. „Auch nicht zu Israel“, fügt er hinzu. Gibt es also vielleicht sogar eine Chance, das sich das Verhältnis zwischen Syrien und Israel verbessert? Für Wieland kommt das auch darauf an, wie sich die israelische Regierung zu Syrien positioniert. Im besten Fall könnte „ein neues Kapitel der Nachbarschaft zu Syrien“ aufgeschlagen werden. 

Der Nahost-Experte Carsten Wieland ist ehemaliger Berater dreier UN-Sonderbeauftragter für Syrien und hat über Jahre aktiv dabei geholfen, im syrischen Bürgerkrieg zu vermitteln. Er arbeitet als Autor und Politikberater. Darüber hinaus ist er Fellow am Genfer Institut für Sicherheitspolitik (GCSP) sowie am Osloer Friedensforschungsinstitut (PRIO). 

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