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Markus Väth Deutschland braucht jetzt Verliererkompetenz

Markus Väth
Markus Väth
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Deutschland befindet sich in einem komplizierten wirtschaftlichen Change-Prozess. Wer so tut, als gäbe es dabei keine Verlierer macht sich und anderen etwas vor, meint unser Kolumnist Markus Väth

Der größte Selbstbetrug bei Change-Prozessen lautet: Jeder gewinnt. Wir nehmen alle mit. Es gibt keine Verlierer. So etwas sind natürlich bequeme Lügen. Du kannst nie alle Mitarbeiter mitnehmen, selbstverständlich gibt es Verlierer, und es gibt auch keine Garantie dafür, dass es hinterher besser wird als vorher. Jeder weiß das, keiner sagt es.

Das ist natürlich eine gefährliche Strategie. Es müssen schon viele glückliche Zufälle zusammentreffen, viel Goodwill, viel Können aufseiten aller Beteiligten, damit bei einem Change-Prozess das angestrebte Ergebnis auch nur annähernd erreicht wird. Es ist nicht unmöglich, aber auch nicht sehr wahrscheinlich. 

Betracht man den momentanen wirtschaftlichen „Change“, in dem Deutschland gerade steckt, gibt es von all dem gerade Erwähnten leider sehr wenig: glückliche Zufälle, guter Wille und Können. Deutschland taumelt weitgehend eingelullt von vergangenen Erfolgen und sturmreif geschossen von fragwürdigen politischen Entscheidungen der vergangenen Jahre in eine unsichere Zukunft. 

Nur drei von buchstäblichen Dutzenden Zahlen der letzten Monate: 

Um es mit dem Raumschiff-Ingenieur Scotty aus „Star Trek“ zu sagen: Es sieht nicht gut aus, Jim. Was Deutschland deshalb jetzt braucht, ist Verlierer-Kompetenz. Was bedeutet das?

Wie wollen wir Geld verdienen?

Zunächst sollten wir damit aufhören, Dinge schönzureden. Es gibt beispielsweise so etwas wie „Sondervermögen“ schlicht und ergreifend nicht, sondern das sind einfach Schulden. Wenn wir uns schon in unseren Begriffen belügen, wie wollen wir dann ernsthaft an Problemen arbeiten? Dinge benennen, wie sie sind, wäre damit die erste Disziplin der Verliererkompetenz. Wir haben keinen Platz mehr für Bullshit-Sprache.

Zweitens sollten wir uns nicht darauf konzentrieren, wem wir Geld wegnehmen wollen (Rentner, Beamte, Migranten oder wem auch immer), sondern darauf, wie wir Geld verdienen wollen. Das heißt: Weg mit überflüssiger Dokumentation, Compliance-Gehampel und Bürokratie. Lassen wir die Unternehmen ihren Job machen und sie nicht im Papiermeer absaufen.

Drittens sollten wir Bereiche stärken, die wir gut können – und nicht solche, die wir nicht können. Es ist ein historischer Fehler, Kernbranchen wie Automotive oder Chemie politisch sehenden Auges in den Boden zu rammen. Im Gegenzug sollten Politiker aufhören, von Krypto oder Künstlicher Intelligenz zu schwafeln, wenn man in deutschen Taxis noch nicht mal flächendeckend mit Kreditkarte bezahlen kann. 

Vielleicht kommen wir mit dieser Verliererkompetenz durch die Krise, vielleicht auch nicht. Auch bei bester Anstrengung brauchen wir gemeinsamen guten Willen und auch den glücklichen Zufall, um durchzukommen. Aber wenn Deutschland weiterwurstelt wie bisher, wird es mit Sicherheit nicht besser.

Markus Väth ist Arbeitspsychologe und Schöpfer des Begriffs „Radikal Arbeiten“. Dahinter verbirgt sich eine Philosophie, die Arbeit wieder zu ihrem Kern zurückführen soll: weniger Sinnlosigkeit und Demotivation, mehr Wirksamkeit und Freude. Er ist mehrfacher Buchautor und arbeitet unter anderem als Vortragsredner und Organisationscoach.  

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