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Kolumne Lockruf des Risikokapitals

Aus Mangel an lokalem Wagniskapital könnten die Trüffelschweine der deutschen Start-up-Szene ab einer gewissen Größe in den Silicon Valley abwandern. Von Martin Kaelble

Wenn Heranwachsende größer werden, werden sie irgendwann flügge und verlassen das Nest. Das könnte auch für deutsche Start-ups gelten. Denn es fehlt immer noch an lokalem Risikokapital für die Wachstumsphase der deutschen Top-Shots.

In der Frühphase ist es für deutsche Start-ups mittlerweile nicht mehr so schwer Geld aufzutreiben. Im so genannten Angel- und Seedbereich gibt es mittlerweile ein gut funktionierendes Ökosystem in Deutschland, speziell in Berlin, München und Hamburg. Hier geht es um Summen von bis zu einer halben Million Euro, meist eher kleinere sechsstellige Beträge.

Schwieriger wird es, wenn die Start-ups wachsen und mit größeren Geldspritzen auf Expansion schalten wollen. Dann wird Venture Capital (VC) „raised in Germany“ knapp. Es gibt nur eine überschaubare Zahl an deutschen VC-Fonds mit Volumen von 100 Mio. Euro und mehr. Und nur die sind in der Lage größere Finanzierungsrunden zu stemmen.

Die Erklärung dafür ist einfach: Die deutsche Wagniskapital-Szene ist noch jung, vor allem im Vergleich zu den USA. Erst in den 90er-Jahren bildete sich hierzulande eine substantielle Branche heraus. Die musste dann aber auch gleich wieder den ersten Rückschlag hinnehmen: Als die Dotcom-Blase Anfang der 2000er platzte, war ihr Ruf beschädigt.

Geringe Risikobereitschaft

Und die Statistik? VC-Fonds laufen über zehn bis zwölf Jahre. Die Fondsleichen, die von der geplatzten Blase übrig geblieben sind, verhagelten der Assetklasse insgesamt die Performance in Deutschland in den letzten Jahren. Da ist es schwer, den Besitzer eines Family Offices davon zu überzeugen, einen Teil seines Geldes in Risikokapital zu stecken.

Zumal die Risikobereitschaft auch so schon bekanntermaßen nicht besonders groß ist in Deutschland. Und große Pensionsfonds als Kapitalgeber wie in den USA praktisch wegfallen. Hinzu kommt: So richtig glanzvoll wird diese Assetklasse erst, wenn man ihre Performance über einen längeren Zeitraum betrachtet. Es braucht also Zeit, bis sich hier ein Ökosystem vor Ort herausbildet.

Gleichzeitig sprießen die deutschen Start-ups dank des Tech-Booms aber. Die Guten davon werden bald mehr Geld für ihr Wachstum benötigen. Bislang springen hier Risikokapitalgeber aus dem Ausland ein, aus den USA, aus Frankreich, aus England. Jüngstes Beispiel: Das Berliner Startup 6wunderkinder, Anbieter der Produktivitäts-App Wunderlist. Sie sammelten gerade erst 19 Mio. Dollar ein – von Sequoia, dem legendären VC aus dem Silicon Valley. Das erste Investment von Sequoia überhaupt in Deutschland.

Zweitsitz in den USA

Noch mal gut gegangen - kann man hier nun sagen. Die Frage ist, wie lange es geht, ohne dass ein VC aus Kalifornien sein Investitionsobjekt gerne vor Ort in den USA ganz nah bei sich haben will. Denn wenn ein Wagniskapitalfonds so viel Geld investiert, möchte er den jungen Managern gerne auch auf die Finger schauen. Und auch einige juristische Angelegenheiten sind für Valley-Investoren einfacher, wenn sie es mit einer amerikanischen Rechtsform zu tun haben.

Einige der wirklich erfolgreichen Start-ups in Berlin haben hier bislang einen Kompromiss gefunden. Als Bill Gates und mehrere Fonds aus dem Valley 35 Mio. Dollar bei Researchgate investierten, musste das Start-up angeblich hart dafür kämpfen, in Berlin bleiben zu können. Researchgate hat aber immerhin einen Firmen-Zweitsitz in Boston. Soundcloud, ebenfalls eines der Vorzeige-Start-ups aus Berlin, hat einen Zweitsitz in San Francisco.

Auf Dauer droht die Gefahr, dass eine junge Firma komplett aus Deutschland abwandert. Eine solche Entwicklung ist bereits seit längerem in der israelischen Tech-Szene zu beobachten. Gerade in den frühen Jahren führte der Mangel an Risikokapital dort dazu, dass einige israelische Firmen bei einer späteren Finanzierungsrunde ihren Sitz nach Kalifornien oder New York verlagerten. Das wäre bitter für die deutsche Tech-Landschaft - wenn die hoffnungsvollen Pflänzchen, sobald sie wirklich an Größe gewinnen, das Weite suchen würden.

Zu den letzten Kolumnen von Martin Kaelble: Das China-Experiment, Ich wette auf Griechenland, Apfel statt Zuckerbrause, und Keine Zeit zum Ausruhen, Kanzlerin

E-Mail: Kaelble.Martin@capital.de

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