Amerika werde bald abgelöst werden, als größte Volkswirtschaft der Welt – von Asiens neuer Wirtschaftsmacht, wo sämtliche amerikanische Güter hergestellt werden dürften. Bei diesem Satz ist nicht etwa China gemeint. Er stammt aus den 80er-Jahren und bezieht sich auf Japan. Der Harvard-Professor Ezra Vogel war einer von vielen, der in den 80er-Jahren die baldige Wachablösung in der Weltwirtschaft prognostizierte. Vogel hielt Japans Wirtschaftssystem für komplett überlegen. Das Land hatte zudem enorme Devisenreserven und großen Reichtum angehäuft. Es schien unausweichlich, dass die Japaner Amerika überflügeln würden.
Nun, es kam anders, wie wir heute wissen. Japan geriet etwas später in eine jahrelange Krise, von der es sich bis heute nicht recht erholt hat. Wer heute auf China setzt, sollte sich an das japanische Beispiel erinnern.
Wir haben uns im Westen an die Vorstellung gewöhnt, dass die Volksrepublik mit ihrem enormen Wachstum der rettende Anker für die Weltwirtschaft ist. Die Bewunderung bei vielen westlichen Managern für den Führungsstil in Peking ist groß. Und tatsächlich hat uns Chinas Wachstum in den vergangenen Jahren ja einige Male den Hintern gerettet.
Eine Art Super-Lokomotive
Doch die große China-Hoffnung könnte in Zukunft enttäuscht werden. Um ein Negativwachstum in den USA und Europa von drei Prozent auszugleichen, müsste China um 18 Prozent wachsen – das hat die Deutsche Bank errechnet. Doch alle Zeichen gehen in die andere Richtung, Chinas Turbowachstum dürfte schwächeren Raten weichen. Und – das wurde jahrelang vor lauter Hype gerne übersehen – die Chinesen haben ihre eigenen Probleme. Zwar haben sie wie die Japaner enorme Devisenreserven und Reichtum angehäuft. Die werden sie allerdings auch brauchen, für die großen Aufgaben, die vor ihnen liegen.
Bislang haben wir China als die große Boom-Maschine gesehen - eine Art Super-Lokomotive, die nur eine Richtung kennt: mit Volldampf nach vorne. In den kommenden Jahren wird sich unser Bild ändern. Denn so historisch einmalig wie Chinas rasanter Aufstieg sind auch die künftigen Aufgaben, vor denen Peking aufgrund seiner Turboentwicklung nun steht.
Nicht wenige Ökonomen gehen davon aus, dass der Inflationsdruck in China dauerhaft steigt. So setzt die wachsende Mittelschicht konstant das Nahrungsmittelangebot unter Druck. Und der Reifeprozess der Wirtschaft sorgt bereits seit Längerem für Lohnanstiege. Auf Preissteigerungen bei Lebensmitteln reagiert Peking sensibel, denn die sozialen Folgen sind groß. Daher wird die Regierung immer wieder schnell auf die Wachstumsbremse drücken müssen, um die Preise nicht in die Höhe schießen zu lassen.
„Middle-Income-Trap“
Doch die größten Aufgaben sind anderer Natur. Da ist die so genannte Falle der mittleren Einkommen, auf die China zusteuert. Ökonomen sprechen von der „Middle-Income-Trap“ beim Übergang von einem Billigproduzenten zu einer entwickelten Wirtschaft - wenn das Pro-Kopf-Einkommen ein mittleres Niveau erreicht, das Wachstum abnimmt, während die Lohnkosten steigen und damit die Wettbewerbsfähigkeit nachlässt. Interessanterweise gibt es kaum ein Schwellenland, was diese Falle in der Vergangenheit umgehen konnte. Taiwan und Südkorea bilden hier Ausnahmen. Es wird sich zeigen, ob auch China ein Sonderfall sein wird.
Doch das Riesenland hat auch seine ganz spezifischen Probleme. Der spektakuläre Zeitraffersprung zur zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt fußte auf einem wenig nachhaltigen Wachstumsmodell, auf Billiglöhnen, auf ökologischem Raubbau und einer krassen sozialen und regionalen Disparität – in einer Nation, mit dem Pro-Kopf-Einkommen eines Entwicklungsland und der Demografie eines Industrielands. Allein der Ausbau des Sozialsystems für das schnell alternde Milliardenvolk wird riesige Summen verschlingen. Schafft es Peking jedoch nicht, soziale Sicherung und Rentengarantien aufzubauen und die Inflation unter Kontrolle zu halten, sind massive soziale Probleme programmiert. So ist fraglich, ob Chinas derzeitiger staatlicher Reichtum von Dauer ist. Und es ist völlig offen, ob Chinas Aufstieg linear weitergeht.
Jetzt, wo der Boom einer Normalisierung weicht, werden solche Probleme erst richtig sichtbar. Nach zwei Jahrzehnten stürmischer Entwicklung hat das Land nun die eigentlichen Herausforderungen wohl erst noch vor sich. Und die sind enorm.
Zu den letzten Kolumnen von Martin Kaelble: Ich wette auf Griechenland, Apfel statt Zuckerbrause, und Keine Zeit zum Ausruhen, Kanzlerin
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