Martin Kaelble schreibt an dieser Stelle montags über Makro- und Techtrends aus der Weltwirtschaft. Da sind sie wieder die altbekannten Negativschlagzeilen: Griechenland will die Rückzahlung seiner Schulden nun um Jahrzehnte verlängern. Investorenlegende George Soros sagt gar, die Griechen werden sie niemals zurückzahlen. Würde man heute eine Straßenumfrage machen, würde wohl fast jeder wetten, dass Griechenland sich zu Lebzeiten nicht mehr erholen wird. Wissen Sie was? Ich wette dagegen. Und ich bin nicht der einzige. Laut "Financial Times" vom Sonntag setzen mehrere US-Hedgefonds neuerdings aggressiv auf griechische Banken, allen voran der berühmt-berüchtigte Fonds Paulson & Co. Inhaber John Paulson sagt, sein Fonds halte beträchtliche Anteile an Piraeus Bank und Alpha Bank, beide verfügten über eine gute Kapitalausstattung und ein gutes Management und befänden sich auf dem Weg der Besserung. Laut FT setzen noch zahlreiche weitere Fonds auf Griechenland. Sie haben guten Grund dazu. Ganz ehrlich: Bei all dem Druck auf die Griechen und den massiven Reformanstrengungen muss sich zwangsläufig irgendwann etwas bewegen. Das Land bekommt mehr Task-Force-Unterstützung als die meisten Entwicklungsländer jemals hatten. Es verfügt über viel ungenutztes Wachstumspotenzial schon aufgrund seiner EU-Außenpostenstellung zwischen den wachstumsstarken Regionen Türkei und Balkan. Und schließlich funktionieren Märkte und das Wirtschaftsleben in Zyklen: Irgendwann ist eben ein Tiefpunkt erreicht, ab dem es sich wieder lohnt für Investoren einzusteigen und dann wird aus der Abwärts- eine Aufwärtsspirale. Finanzmarkt-Mavericks wie Paulson sind ein erstes Indiz. Natürlich werden die Schulden nicht von einem Tag auf den anderen verpuffen. Aber dass früher oder später aus der Negativ-Story eine Reform-Erfolgsstory wird, scheint programmiert, selbst wenn es noch ein Weilchen dauert. Für Spanien und Portugal, die bereits große Fortschritte machen, gilt das ohnehin.
Korrupt, instabil, hoffnungslos
Jetzt kommen die üblichen Einwände, Griechenland sei anders, ein hoffnungsloser Fall, AN dem alle Reformversuche abprallen und vergebens sind. Aber das wurde schon häufiger über Länder gesagt – und ein paar Jahre später kamen sie dann gestärkt und saniert aus der Krise. Ein wunderbares Beispiel dafür ist Lateinamerika. Was wir heute über Griechenland – oder auch gleich über ganz Südeuropa sagen – haben viele schlaue Köpfe vor rund 20 Jahren über Lateinamerika gesagt. Der Kontinent war der Inbegriff für Schulden schlechthin. Korrupt, instabil, hoffnungslos. Nun, so etwas kann sich ändern. Ein Blick auf die lateinamerikanischen Schuldenstände von heute dürfte viele europäische Finanzminister neidisch machen. Fast alle würden die Maastricht-Schuldengrenze von 60 Prozent des BIP locker unterschreiten (Argentinien sei dabei einmal ausgeklammert auf Grund seines Schuldenschnitts): Chile liegt bei elf Prozent des BIP, Ecuador bei 18 Prozent, Peru bei 21 Prozent, Bolivien und Kolumbien bei etwas über 30 Prozent. Brasilien liegt immer noch bei knapp mehr als 60 Prozent, trotz hoher Sozialausgaben in der Ära von Präsident Lula. Alles Werte von denen wir in Europa heute nur träumen können. Zur Erinnerung: Selbst Deutschlands Schuldenstand liegt bei knapp über 80 Prozent des BIP. Hätte uns jemand in den 90er-Jahren dieses Szenario prognostiziert, hätte die meisten ihm den Vogel gezeigt.
Neue Stabilitätskultur
Natürlich spielte Wachstum bei diesem Wandel eine wichtige Rolle. Allerdings bewegt sich Lateinamerika von den Wachstumsraten her auch nicht in chinesischen Regionen. Vor der Krise war Griechenland nah dran an Brasiliens durchschnittlicher Wachstumsrate. Und schaut man sich Studien und Berichte zu Lateinamerikas Entwicklung an, basiert der Erfolg auf mehr als nur auf Rohstoffexporten. Es ist tatsächlich das Ergebnis von aktiven Reformen, die einst in Krisenzeiten in Angriff genommen wurden. Länder wie Brasilien und Chile bekämpften die Inflation erfolgreich und verankerten eine neue Stabilitätskultur in ihren Finanzministerien. Die hohe Verschuldung in ausländischer Währung wurde gesenkt, lokale Anleihemärkte reformiert. So hat Chile zum Beispiel durch die Umstellung der Pensionsfonds einen wichtigen Kapitalgeber für den lokalen Markt geschaffen. Eine neue Solidität hat in der Finanzpolitik, unabhängig der Parteienzugehörigkeit, Einzug in die politische Kultur gefunden. Auch eine Folge des Traumas der Schuldenkrisen der 80er-Jahre – und der Entschlossenheit, sich nicht mehr in Abhängigkeit der Großmacht USA und des Internationalen Währungsfonds begeben zu wollen. Ein solcher fundamentaler Wechsel hat zum Beispiel in Brasilien unter Präsident Lula stattgefunden. Ein durchaus vergleichbares Szenario zu Europa also. Das Beispiel Lateinamerika zeigt die Vergänglichkeit von Vorurteilen. Es zeigt, wie innerhalb etwas mehr als einem Jahrzehnt aus scheinbar hoffnungslosen ökonomischen Problemfällen tatsächlich Vorbild-Reformer werden können. Übrigens gilt das auch für Deutschland. 1999 waren wir noch der „kranke Mann des Euro“. Heute haben sich die Dinge gedreht. Auch darauf hätte nicht jeder vor zehn Jahren gewettet. Zu den letzten Kolumnen von Martin Kaelble: Apfel statt Zuckerbrause, Keine Zeit zum Ausruhen, Kanzlerin und Demografie ist Indiens Trumpf
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