Anzeige

Horst von Buttlar Warum wir in diesen Zeiten Moonshots und Meilensteine brauchen

Amerikanischen Wissenschaftlern ist ein Durchbruch auf dem Weg zur Entwicklung eines Kernfusionsreaktors gelungen
Amerikanischen Wissenschaftlern ist ein Durchbruch auf dem Weg zur Entwicklung eines Kernfusionsreaktors gelungen
© IMAGO / Cover-Images
In den USA ist ein Durchbruch bei der Kernfusion gelungen. Und auch wenn der Einsatz der Technologie noch in weiter Ferne liegt, macht der Fortschritt Hoffnung – erst recht in diesen Krisenzeiten

Sonnenfeuer.

Allein das Wort löst etwas aus, wenn man es hört. Klingt es nicht wunderbar? Die Energie der Sonne kontrolliert nutzen, unerschöpflich, sauber, sicher. Ein Stück des göttlichen Kosmos auf die Erde holen und hier entfachen.

Die Kernfusion, so der profane Name, gilt seit Jahrzehnten als der ewige Traum der Menschheit, als die Lösung aller Energieprobleme. Offenbar sind wir diesem Traum diese Woche ein gutes Stück nähergekommen. In den USA haben Wissenschaftler Atomkerne verschmolzen und dabei erstmals mehr Energie gewonnen als verbraucht wurde.

Ich nehme alles, was Hoffnung macht!

Von einem „historischen Durchbruch“ sprachen Politiker und Wissenschaftler. US-Energieministerin Jennifer Granholm sagte: „Einfach ausgedrückt ist dies eine der beeindruckendsten wissenschaftlichen Leistungen des 21. Jahrhunderts.“

Schon bald wurde diskutiert, ob diese Worte nicht zu groß und trügerisch sind, ob der Durchbruch wirklich ein Durchbruch – und nicht nur ein Meilenstein ist. In Zeiten, in denen die Hoffnung rar gesät ist, würde ich sagen: Ich nehme alles, was Hoffnung macht! Ich nehme alles, was Zukunft verspricht und nach Lösungen sucht.

Ja, ich glaube sogar, dass in diesen Zeiten der Hoffnung auf Lösungen und Lösbarkeit von Problemen eine elementare Rolle zukommt. Moonshots tun jeder Gesellschaft gut, sie beflügeln und inspirieren; zumal in Tagen, an denen wir auf Füllstände von Gasspeichern starren und die einzige Gewissheit die staatliche Abschlagszahlung von Gas und Strom erscheint.

Es ist interessant, warum bei solchen Ereignissen an vielen Stellen sofort Erwartungen gedämpft werden, vor allem in Deutschland. Schon nach der Meldung kommt die Einschränkung, der Spiegelstrich: „– eine Lösung für die Energiewende ist die Kernfusion aber nicht“. Da schwingt dann immer die Angst mit, dass wir falsche Hoffnungen hegen. Dass ja nicht der Ausbau der Windkraft ins Stocken gerät. (Der stockt ohnehin, mit oder ohne Durchbruch.)

Der gleiche Vorgang wie in der Sonne

Es ist völlig klar, dass auch mit dem Experiment in Kalifornien die Menschheit noch Jahre, wenn nicht Jahrzehnte entfernt ist, diese Technologie im Alltag gezielt nutzen oder gar skalieren zu können. Es ist aber genauso klar, dass wir ab 2030 technologische Durchbrüche brauchen, um uns vom fossilen Zeitalter zu verabschieden – das steht sogar in den Szenarien des Weltklimarates. Wir brauchen Errungenschaften und Meilensteine bei Wasserstofftechnologien, synthetischen Kraftstoffen, CO2-Abscheidung – und eben der Kernfusion.

Die Kernfusion gilt im Gegensatz zur Kernspaltung als saubere, unbegrenzte und effiziente Energiequelle, zumal kein radioaktiver Müll anfällt. Ein Gramm des Brennstoffs könnte theoretisch 90.000 Kilowattstunden Energie liefern – so viel wie elf Tonnen Kohle. Bei der Verschmelzung von Wasserstoffkernen, die extreme Hitze und viel Energie benötigt, entsteht nur Helium, es ist der gleiche Vorgang wie in der Sonne oder anderen Sternen.

In dem Experiment am Lawrence Livermore National Laboratory nutzen die Forscher hochkonzentrierte Laserstrahlen. Es ist ein anderes Verfahren als das im europäischen Fusionsreaktor ITER, einem Mammutprojekt von 35 Ländern. Hier wird Plasma in einer Vakuumkammer von tonnenschweren Magneten eingeschlossen und auf bis zu 150 Millionen Grad erhitzt. ITER ist noch Jahre im Bau, und auch hier stehen Forscher bisher vor der Herausforderung, dass man mehr Energie reinstecken muss als gewonnen wird. Und bisher gelang es den Wissenschaftlern auch nur für sehr kurze Zeit, „die Sonne zu entfachen“.

Die Amerikaner an der National Ignition Facility nutzen, vereinfacht gesagt, das Prinzip der Wasserstoffbombe. In der Versuchsanlage schießen Hochleistungslaser auf eine kleine Kapsel, die mit zwei verschiedenen Wasserstoffisotopen gefüllt ist. Dadurch entsteht ein Plasma von 140 Millionen Grad Celsius, das implodiert und die Wasserstoffkerne zu Heliumkernen verschmilzt. Vor einem Jahr war es den Amerikanern erstmals gelungen, auf diesem Weg Wasserstoffkerne zu verschmelzen. Nun haben sie erstmals mehr Energie gewonnen, als hineingesteckt werden musste. Und deshalb sehen viele Wissenschaftler dieses Jahr zu Recht als Wendepunkt in der Fusionstechnologie.

Es führt kein Weg am Ausbau der erneuerbaren Energien vorbei

Es ist klar, dass der Traum, die Sonne auf die Erde zu holen, bisher nur im Labor stattfindet. Und deshalb ist die Kernfusion keine Lösung für die Aufgaben, die bis 2030 vor uns liegen. Da haben jene Klimaschützer recht, bei denen oft eine leichte Panik mitschwingt, dass neue Technologien vermeintlich einfache Lösungen verheißen und manche Menschen zum Schluss kommen: Ach super, dann müssen wir uns den ganzen Stress mit Windkraft, Wärmepumpen und Wasserstoff ja nicht antun.

Das ist tatsächlich ein Trugschluss. Der Ausbau von Wind- und Solarkraft, die Installation von Millionen Wärmepumpen und Ladesäulen bis 2030 muss in jedem Fall erfolgen. Es die große Aufgabe für diese Dekade – wir leben quasi in einem Schlüsseljahrzehnt für den Ausbau der erneuerbaren Energien. Und in einem Jahrzehnt der Effizienz: Die Weltwirtschaft, die bis 2030 um 40 Prozent gewachsen sein dürfte, muss laut den Szenarien der Internationalen Energieagentur (IEA) bis dahin mit sieben Prozent weniger Energie auskommen.

Auch hier gibt es Fortschritte und Hoffnungszeichen: Vergangene Woche meldete die IEA, dass die Energiekrise einen „beispiellosen Aufschwung für erneuerbare Energien ausgelöst“ habe. In den kommenden fünf Jahren werde sich die Gesamtkapazität weltweit fast verdoppeln, die Solarenergie werde bei diesem Tempo Kohle als größte Stromerzeugungsquelle ablösen.

Die massiven Investitionen in Technologien wie die Kernfusion sind aber genauso wichtig. In den USA stecken Regierung und Investoren dreistellige Millionensummen in neue Projekte. In den kommenden zehn Jahren sollen im ganzen Land Pilotkraftwerke hochgezogen werden. Der US-Kongress hat über 700 Mio. Dollar bewilligt, im „Inflation Reduction Act“ von Joe Biden sind weitere Summen vorgesehen. Weltweit haben Firmen und Start-ups im Bereich der Kernfusion rund 4,7 Mrd. Dollar eingesammelt. Von 33 Unternehmen, die an Kernfusionstechnologien arbeiten, sitzen 21 in den USA.

Europa sollte sich hier nicht abhängen lassen, und nicht nur auf ITER setzen. Zumal es auch in Deutschland hoffnungsfrohe Projekte und Start-ups gibt, darunter Marvel Fusion aus München und Focused Energy aus Darmstadt (eine Analyse dazu lesen Sie hier.) Marvel Fusion hat schon über 2000 Experimente durchgeführt, bekommt aber viel weniger Kapital als amerikanische Konkurrenten wie Commonwealth Fusion oder Helion, die in Finanzierungsrunden gut 2 Mrd. Dollar gewinnen konnten.

Was ist die Lehre vom Durchbruch diese Woche? Wir kennen das berühmte Wort von dem kleinen Schritt für einen Mensch und dem großen für die Menschheit. Diese Woche wurde offenbar ein großer Schritt für die Menschheit getan, aber auf einem Weg, auf dem noch viele große Schritte zu gehen sind. Freuen wir uns erstmals über diesen Schritt – denn unsere Probleme mögen uns bisweilen groß erscheinen. Die Fähigkeit des Menschen, diese Probleme zu lösen, ist es aber auch.

Mehr zum Thema

Neueste Artikel

VG-Wort Pixel