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Timo Pache Der Preis der Unabhängigkeit

Intel-CEO Gelsinger und Kanzler Scholz schütteln die Hände im Bundeskanzleramt
Teurer Handschlag: Intel-CEO Gelsinger und Kanzler Scholz (hintere Reihe) sowie Intel-Vorstandsmitglied Esfarjani und Staatssekretär Kukies besiegeln mit ihren Unterschriften die Milliardensubventionen für die Chipfabrik in Magdeburg
© Kira Hofmann/photothek / IMAGO
Zehn Milliarden als staatlicher Zuschuss für eine Chipfabrik sind viel Geld – und nur ein Vorgeschmack auf das, was Deutschland und Europa bevorsteht

Eines kann man Olaf Scholz nicht absprechen – ein Gespür für Timing und Symbole. Wenige Stunden bevor die halbe chinesische Staatsspitze in Berlin landete, empfing Scholz in dieser Woche den Chef des US-Chipkonzerns Intel, Pat Gelsinger, im Kanzleramt. Während Scholz und Gelsinger für die Fotografen eifrig Hände schüttelten, unterschrieben Intel-Manager Keyvan Esfarjani und Scholz-Manager Jörg Kukies eine Vereinbarung zum Bau der heiß ersehnten Intel-Chipfabrik in der Nähe von Magdeburg.

Damit kam bei Gelsingers Besuch immerhin mehr heraus als bei der Visite der Chinesen – auch wenn es bei beiden ziemlich geheimnisvoll zuging. Bestand die Pressekonferenz von Scholz und Chinas neuem Ministerpräsidenten Li Qiang nur aus zwei länglichen Statements ohne anschließende Fragen, so gab es bei Scholz und Gelsinger überhaupt keine Worte, sondern nur schöne Bilder. Und auch auf hartnäckige Nachfragen wollte ein Regierungssprecher nicht mehr sagen als: Ja, die Chipfabrik kommt, und sie ist wichtig für den Standort Deutschland.

Gespür für Timing und Gespür für Kommunikation fallen also nicht immer zusammen. Die Diskrepanz zwischen schönen Bildern und dem, was daraus folgt, wirkt allerdings umso verstörender, als Scholz der Bau der Chipfabrik in Magdeburg fast 10 Mrd. Euro wert ist – zehn Milliarden für 3.000 Jobs. Oder, um die Rechnung etwas vorteilhafter zu machen, für 10.000 Jobs, wenn man die möglichen Zulieferer noch dazu nimmt. Aber es bleibt wirklich ungewöhnlich viel Geld für eine private Fabrik. Und das sollte erklärt werden.    

Denn namhafte Kritiker waren gleich zur Stelle. „Fragwürdig“ nannte etwa Clemens Fuest, Präsident des renommierten Münchner Ifo-Instituts, die hohe staatliche Förderung. Zehn Milliarden mal eben so für einen US-Konzern ohne jegliche öffentliche Diskussion, wenn anderswo, bei der Bahn-Sanierung ebenso wie etwa an den Schulen, das Geld knapp ist: Das kann man begründen, aber man muss es auch begründen.

Für Scholz und die Regierung geht es bei dem Projekt nicht um zusätzliche Jobs in einer strukturschwachen Region. Sondern um Unabhängigkeit. Unabhängigkeit von Lieferketten aus Asien nach Europa, vor allem aus China und Taiwan, die bis vor wenigen Jahren als sicher galten und es heute nicht mehr sind. Der Schaden, der aus fehlenden Mikrochiplieferungen an die deutsche Industrie und vor allem die hiesigen Autohersteller während der Corona-Pandemie entstand, war wahrscheinlich bereits größer als der staatliche Zuschuss heute für Intel. Wie groß wäre er erst, sollte China in den kommenden Jahren tatsächlich Taiwan angreifen?

Wie soll das weitergehen?

Angesichts dieses Risikos kann die Fertigung in Magdeburg gar nicht früh genug starten. Das war die unterschwellige Botschaft des Termins mit Gelsinger wenige Stunden vor dem Eintreffen der chinesischen Delegation in Deutschland: Wir machen uns unabhängig, auch wenn es teuer wird – wir trauen Euren Beteuerungen nicht mehr. Manchmal sagen Bilder mehr als lange Erklärungen. Dennoch müssen zehn Milliarden Steuergeld besser erklärt werden. 

Zumal sich nun eine zweite Frage stellt: Wie soll das weitergehen? Die Chipindustrie ist ja längst nicht der einzige Wirtschaftszweig, in dem das Land und ganz Europa in den vergangenen drei Jahren eine gefährliche Abhängigkeit vom guten Willen ausländischer Handelspartner erkannt haben: Beim Gas haben wir diese Abhängigkeit notgedrungen bereits überwunden (allerdings ersetzen wir sie beim Flüssiggas auch schnell durch neue Abhängigkeiten). Beim Mobilfunkstandard 5G sind wir gerade erst dabei (der politisch verfügte Ausbau von Huawei-Komponenten aus dem europäischen Netz wird ebenso Milliarden kosten). Bei der Produktion von Lithium-Batterien für E-Autos stehen wir ähnlich wie bei den Mikrochips noch relativ am Anfang – und beim Wiederaufbau einer europäischen Solarindustrie, die in den kommenden Jahren die Energieversorgung in Europa absichern soll, sind wir über erste Versprechen noch nicht hinaus.

Das Beispiel Intel zeigt jedoch schon jetzt: Die Entflechtung von China – oder wie man in Berlin heute sagt: das De-Risking – wird viel Geld kosten. Die zehn Milliarden sind erst der Anfang, wenn man europäische oder US-Industrieunternehmen dazu bringen will, hierzulande entgegen aller Kostennachteile wieder eine Produktion hochzuziehen. Die Engpässe beim Gas, bei den Mikrochips oder noch früher bei den Impfstoffen in der Pandemie haben jedoch gezeigt, dass es sinnvoll ist.

Umso wichtiger wäre allerdings ein abgestimmtes Vorgehen in Europa, gemeinsame Standards und Förderkriterien unter den Mitgliedstaaten der EU und ein geordneter Prozess, wo welche Töpfe genutzt werden. Sonst fangen in den kommenden Monaten auch noch die EU-Staaten untereinander einen Überbietungswettbewerb an, wer am meisten Geld für die Ansiedlung einer Fabrik offeriert.

Das Beispiel Intel wird Schule machen

Doch nicht einmal innerhalb der Ampelkoalition in Berlin ist man so weit: Während der Kanzler und sein Wirtschaftsminister Robert Habeck bei Intel offenbar bereit waren, noch mal einen Batzen Geld draufzulegen (so wurden aus den ursprünglich vereinbarten 6,8 Mrd. Euro für Intel am Ende 9,9 Mrd. Euro), lehnten die FDP und Finanzminister Christian Lindner dies zunächst ab. Aushelfen musste schließlich ein Griff in den Klima- und Transformationsfonds, der eigentlich mal für andere Dinge als den Aufbau einer Mikrochipproduktion geschaffen worden war. Angesichts der desolaten Umfragewerte für SPD, FDP und Grüne im Moment konnte die Ampel ein Scheitern der Fabrik bei Magdeburg nicht mehr riskieren, das wusste sicher auch der US-Konzern.

Nun kann man sagen: Wichtig ist, was am Ende rauskommt. Doch das Beispiel wird Schule machen, andere Unternehmen werden das in ihre Kalküle aufnehmen. Um sich im neuen Kräftemessen zwischen China und den USA zu behaupten, müssen sich die Bundesregierung und die EU-Kommission besser wappnen, so viel steht nach dieser Woche fest. Andernfalls wird man jetzt im Monatstakt erpresst werden.  

Oder es wird ausgehen wie es sich in der Solarbranche andeutet: Statt schnell und gezielt europäische Produzenten zu fördern, werden sich chinesische Hersteller, die heute dank üppiger staatlicher Subventionen den Weltmarkt und die gesamte Lieferkette beherrschen, anbieten, eine Produktion in Europa hochzuziehen. Dies berichtete diese Woche das „Handelsblatt“. Denn auch die Chinesen haben verstanden, was in Europa jetzt zu holen ist. Unabhängigkeit in Schlüsseltechnologien wäre das jedoch nicht.

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