Capital: Im Mai 2021 hat Meyer Burger in Thalheim seine Produktion von Solarzellen aufgenommen – als erster Massenhersteller in Europa, seitdem die Branche vor einem Jahrzehnt weitgehend nach China abgewandert ist. Welche Bedeutung hat der Standort im alten „Solar Valley“ heute für das Unternehmen?
GUNTER ERFURT: Thalheim ist nach unserer Überzeugung der mit Abstand beste Standort in Europa, um Solarzellen zu produzieren. Wir haben dort ein hervorragendes Industrieareal, das die erforderlichen Genehmigungen für die Zellproduktion ermöglicht. Zweitens gibt es hier ein großes Potenzial an Fachkräften, die einen Bezug zur Solarindustrie haben. Und drittens bin ich ein totaler Fan der Verwaltung, sowohl der Stadt Bitterfeld-Wolfen, zu der Thalheim gehört, als auch des Landkreises Anhalt-Bitterfeld, eben gerade wegen der guten Zusammenarbeit bei Genehmigungen. Das alles macht Thalheim zu einem sehr guten Ort, um die Zellproduktion auf den Gigawatt-Maßstab zu skalieren – wenn denn auch die Bundesregierung irgendwann die Dinge entsprechend bewertet.
Welche Pläne haben Sie für den Ausbau des Standorts?
Wir haben die Möglichkeit, die Zellproduktion in Thalheim auf bis zu 15 Gigawatt auszubauen. Dafür haben wir uns auch schon die nötigen Flächen gesichert. Unter anderem verfügen wir über die Option, Flächen in direkter Nachbarschaft zu unserer bestehenden Produktion neu zu bebauen. Die Entwurfsplanung dafür ist komplett fertig. De facto braucht es nur eine Unterschrift von uns – dann könnte es losgehen.
Warum warten Sie noch mit Ihrer Unterschrift?
Wir haben im Westen viel zu spät erkannt, dass die Solarenergie eine strategisch bedeutsame Technologie ist. Dagegen hat China schon vor 15 Jahren Gas gegeben, auch mit unheimlich viel Staatsgeld. Nun sind wir aktuell in einer Situation, in der die Amerikaner diese Versäumnisse korrigieren, zwar spät, aber dafür mit brachialer Entschlossenheit mithilfe ihres Inflation Reduction Act (IRA). Das führt dazu, dass von vier großen Weltregionen – Nordamerika, Europa, China und Indien – nur eine keine aktive industriepolitische Strategie für die Solarindustrie verfolgt: Das ist Europa. Entweder muss Europa hier nachziehen oder klar sagen: Wir haben kein Problem damit, bei der Solarenergie weiterhin komplett von China abhängig zu sein. Wenn die Solarindustrie einen signifikanten Beitrag für eine unabhängige und saubere Energieversorgung leisten soll, brauchen wir am Anfang staatliche Unterstützung. Aber die gibt es bis heute nicht.
Seit Sommer 2022 gab es im Bundeswirtschaftsministerium mehrere Gipfel mit der Industrie, in der Bundesregierung kursieren konkrete Konzepte für staatliche Unterstützung beim Wiederaufbau der Solarbranche. Woran hakt es?
Es gibt keinen Mangel an Diskussionen, auch mit der Industrie – zuletzt erst Ende Mai im Rahmen der Transformationsallianz beim Bundeskanzler. Dabei geht es immer auch um die Frage, wie man die Industrie strategisch unterstützt. Auch die EU-Kommission hat verstanden, dass Europa für die Energiewende eine eigenständige Solarindustrie benötigt. Einige Initiativen wie der geplante Net Zero Industry Act der Kommission gehen absolut in die richtige Richtung. Aber was leider noch fehlt, ist die Umsetzung.
Also geht es am Ende ums Geld? Sperrt sich der Finanzminister?
Industriepolitik kostet natürlich Geld, wie man gerade auch beim IRA in den USA sieht. Aber im Vergleich zu anderen Projekten in anderen Bereichen sind die Summen überschaubar. Und Investitionen in den Wideraufbau der heimischen Solarbranche haben einen doppelten Effekt. Erstens zahlen sie auf unsere Souveränität im Energiebereich ein. Zweitens baut man industrielle Strukturen auf, die massiv zur Schaffung zukunftsfähiger Arbeitsplätze beitragen – und das in Bundesländern wie Sachsen-Anhalt und Sachsen, die noch stark der Kohleindustrie hängen. Im Bundeswirtschaftsministerium und bei Minister Habeck gibt es nach meiner Wahrnehmung ein Verständnis, dass dringender Handlungsbedarf besteht. Woran es hakt, darüber kann ich nur spekulieren. Da könnten tatsächlich die offenbar schwierigen Verhandlungen über den Bundeshaushalt eine Rolle spielen.
Was heißt das für die Investitionspläne von Meyer Burger?
Wir prüfen gerade intensiv, was unsere nächsten Schritte sind. Meyer Burger ist ja schon in den USA aktiv, in Arizona bauen wir gerade eine Produktion für Solarmodule auf. Schon im nächsten Jahr werden wir in den USA mehr Kapazität aufgebaut haben als in Deutschland. Die Amerikaner rollen uns gerade wirklich den roten Teppich aus. Es ist absolut beeindruckend, in welcher Geschwindigkeit man dort voran kommt, und auf welcher Ebene man sich um ein vergleichsweise kleines Unternehmen wie Meyer Burger kümmert. Dagegen werden Hersteller von Solarmodulen in der EU aktuell sogar faktisch noch bestraft, wenn wir in Europa produzieren – indem wir auf Komponenten für die Module, die wir gar nicht in der EU beziehen können, auch noch Importzölle bezahlen müssen.
Das heißt, es geht Ihnen nur um Subventionen?
Meyer Burger ist beim Wiederaufbau der Solarindustrie in Deutschland in den vergangenen Jahren vorneweg gegangen. Von den mehr als 1 Mrd. Euro, die wir für den Aufbau unserer Standorte organisiert haben, waren gerade einmal 25 Mio. Euro staatliche Fördermittel, also 0,25 Prozent der Gesamtsumme: eine Umweltbeihilfe von 15 Mio. Euro, weil unsere Zellfertigung in Thalheim weltweit die ökologischste ist, und 10 Mio. Euro an GRW-Mitteln, also klassische Ansiedlungsförderung. Das ist auch Geld, für das wir dankbar sind. Aber im internationalen Vergleich ist es symbolisch. Trotz widrigster Marktbedingungen haben wir als Unternehmen seit 2020 massiv vorgelegt und nie gesagt: Staat, mach du mal. Wir haben private Investoren überzeugt, dass wir in Europa unsere Resilienz in der Energieversorgung stärken müssen. Jetzt ist es an der Zeit, dass die Politik mitzieht.
Was benötigen Sie denn konkret, um weiter in Europa zu investieren?
Meyer Burger ist ein börsennotiertes Unternehmen, wir stehen in einem internationalen Wettbewerb. Um es einfach zu formulieren: Die Messlatte für das, was Europa tun muss, ist der IRA der Amerikaner. Der IRA ist sehr clever gemacht, er ist einfach, verständlich und unbürokratisch. Europa ist zwar momentan der bessere Standort, um industrielle Fertigung aufzubauen, weil die Amerikaner in den vergangenen Jahrzehnten sehr viel Industrie verloren haben. Aber wenn eine staatliche Unterstützung hierzulande signifikant von der Unterstützung durch den IRA in den USA abweicht – warum sollte ein Unternehmen dann hier investieren? Das ist keine Drohung. Das ist Realwirtschaft.
Sagen Sie das auch Ihren Gesprächspartnern in der Berliner Politik?
Wir weisen transparent darauf hin, was unsere nächsten Schritte sein können. Klar ist: Wir müssen bald eine Entscheidung treffen, wo wir neue Kapazitäten aufbauen.
Ihre bisherigen Pläne sehen vor, in Thalheim noch in diesem Jahr mit dem Aufbau einer neuen Produktionslinie für Solarzellen mit einer Kapazität von zwei Gigawatt zu beginnen. Überdenken Sie jetzt auch diese Pläne?
Wir werden in den nächsten Wochen eine Grundsatzentscheidung treffen, wie wir weitermachen. Der Ausbau der Zellproduktion in Thalheim ist fertig geplant, alle nötigen Aufträge sind erteilt. Aber noch steht in der Halle kein Equipment.
Können Sie die Maschinen stattdessen auch an Ihrem Standort in Arizona aufstellen?
Nicht am Standort Arizona, dort ist kein Platz mehr. Aber an anderen Standorten in den USA ist das möglich.
Was würde das für den Standort Thalheim bedeuten?
Wir reden hier im Konjunktiv, wir haben bisher noch keine Entscheidung getroffen. Aber klar ist: Sollten wir uns künftig auf die USA zu konzentrieren, würde das nicht heißen, dass wir uns frustriert aus Europa verabschieden. Allerdings müssten wir dann natürlich unsere Investitionen und Projekte priorisieren. Denn wir haben als Unternehmen keine unendlichen Möglichkeiten, weder finanziell noch bei der Umsetzung von Projekten.
Wird Meyer Burger künftig auch in den USA Solarzellen produzieren – und nicht nur wie bislang geplant die Solarmodule?
Genau das schauen wir uns gerade an. Auslöser ist eine lang erwartete Entscheidung der US-Steuerbehörde IRS, die sie vor wenigen Wochen bekannt gegeben hat. Dabei geht es um die Möglichkeit für Solarparkentwickler, also die Käufer von Solarmodulen, noch eine besondere Förderung obendrauf zu bekommen, einen sogenannten Investment Tax Credit Adder. Den kann man aber nur bekommen, wenn auch die Solarzellen für die Module in den USA produziert werden. Diese Steuererleichterung ist natürlich für unsere US-Kunden hochgradig interessant. Deshalb ist gerade wirklich Druck auf dem Kessel bei der Frage, wie wir uns künftig aufstellen. Aber wie gesagt: Es gibt noch keine Entscheidung.
Was passiert, wenn sich in Europa politisch nichts tut?
Dann drohen massive Schäden. Es geht ja nicht nur um Meyer Burger, sondern auch um andere Unternehmen aus der Branche. Für den Wiederaufbau einer souveränen europäischen Solarindustrie brauchen wir die gesamte Wertschöpfungskette, um nicht länger von China abhängig zu sein. Europa kann froh sein, dass es mit Wacker Chemie noch einen signifikanten Spieler im Bereich Polysilizium hat. Aber auch hier ist der Wettbewerbsdruck hoch, das ist einer der Gründe, warum wir einen temporären Industriestrompreis brauchen. Ich erinnere mich gut an die Ankündigung von EU-Energiekommissarin Kadri Simson: „We need to bring solar manufacturing back to Europe, and the Commission is willing to do whatever it takes.” Das war am 31. März 2022. Seitdem warten wir auf die politischen Entscheidungen in Brüssel und Berlin. Uns rennt die Zeit davon.