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Pflanzenschutzmittel Heute ist der Tag der Entscheidung: Stoppt die EU Glyphosat?

Einsatz von Pflanzenschutzmittel auf einem bayerischen Getreidefeld
Einsatz von Pflanzenschutzmittel auf einem bayerischen Getreidefeld
© IMAGO / blickwinkel
Die Zulassung für das umstrittene Pflanzenschutzmittel Glyphosat läuft aus. An diesem Freitag entscheiden die EU-Mitgliedstaaten klären, ob sie verlängert wird. Darum geht es

Inhaltsverzeichnis

Was schlägt die Kommission genau vor?

Die Kommission ist dafür, dass Glyphosat noch zehn Jahre lang auf unseren Feldern eingesetzt werden darf, also bis zum 15. Dezember 2033. Allerdings knüpft sie ihre Empfehlung an gewisse Bedingungen.

Beispielsweise darf Glyphosat nur als Pflanzenschutzmittel eingesetzt werden. Die Zulassung gilt ausschließlich für den professionellen Gebrauch. Außerdem müssen die Mitgliedsstaaten auf den Schutz des Grundwassers und der Oberflächengewässer achten, beispielsweise dort, wo die Gewässer zur Gewinnung von Trinkwasser genutzt werden.

Auch gelten gewisse Auflagen, wie oft und in welchen Mengen Glyphosat eingesetzt werden darf. So soll gewährleistet werden, dass pflanzenfressende Säugetiere keinen Schaden erleiden. Für sie ist Glyphosat nämlich giftig. Die Kommission hält die Mitgliedstaaten ferner dazu an, auf die Auswirkungen von Glyphosat auf die Artenvielfalt zu achten, allerdings nennt sie hierzu keine konkrete Auflagen.

Wie kommt die Kommission auf diese Empfehlung?

Die Entscheidung über die Neuzulassung von Glyphosat ist verschiedene Phasen durchlaufen. Erst haben Experten aus vier EU-Mitgliedstaaten, die sogenannte Bewertungsgruppe für Glyphosat, eine Einschätzung abgegeben. Diese fiel positiv aus.

Die Experten schrieben etwa, dass es kein chronisches oder akutes Risiko für den Verbraucher durch die Behandlungen von Kulturen mit Glyphosat gäbe. Anschließend hat die Europäische Chemikalienagentur ECHA den Wirkstoff von Glyphosat geprüft. Sie kam zum Schluss, dass dieser nicht krebserregend, fortpflanzungsgefährdend oder giftig für das Nervensystem sei.

Zuletzt hat die EU-Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA sich mit Glyphosat befasst und gab am 6 Juli eine positive Risikoeinschätzung für die Verlängerung von Glyphosat ab. Der Vorschlag der Europäischen Kommission fußt insbesondere auf dem Bericht der EFSA.

Was sagt die Behörde für Lebensmittelsicherheit?

Die EFSA sagt in ihrer Risikoeinschätzung nicht, dass Glyphosat vollkommen unbedenklich ist. Sie schreibt, es gäbe es keine „kritischen Problembereiche“, die das Verbot des Herbizids rechtfertigen würden. Allerdings macht die Behörde auf Datenlücken in Bezug auf die Wirkung des Pflanzenschutzmittels aufmerksam.

Diese betreffen beispielsweise die ernährungsbedingten Gefahren von Glyphosat, die Frage, ob Glyphosat für Amphibien giftig ist oder wie sich das Mittel auf Artenvielfalt und Biodiversität auswirkt. Die Behörde bemängelt außerdem, dass ihr nicht genug Studien darüber vorliegen, ob und inwiefern Glyphosat das Nervensystem schädigt. Und: Die Behörde kommt zum Schluss, dass Glyphosat bei 12 von 23 Anwendungen giftig für Säugetiere ist. Diese Anwendungen verbietet die EU-Kommission in ihrem Vorschlag denn auch.

Ist die Einschätzung zuverlässig?

Das Zulassungsverfahren der EU ist nicht unumstritten. So hat die Lebensmittelbehörde EFSA keine eigenen Studien zur Gefahrenabschätzung von Glyphosat vorgenommen. Die Experten haben allerdings mehr als 1500 Studien und 12.000 wissenschaftliche Artikel zu Glyphosat untersucht. Die Einschätzung der EFSA beruht auf sogenanntem Peer Review, also einer wissenschaftlichen Prüfung dieser Studien und Artikel.

Zudem untersucht die EU nur den Wirkstoff von Glyphosat, nicht aber das Gemisch, welches letztlich zum Einsatz kommt. So kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Wirkstoff in Kombination mit anderen Stoffen anders, womöglich giftiger, agiert.

Auch entscheiden die Antragsteller, also die Hersteller von Glyphosat, welche Studien sie bei der EFSA einreichen. Außerdem überprüft nicht die Behörde für Lebensmittelsicherheit, ob die Studienlage komplett ist – diese Aufgabe liegt bei den Mitgliedstaaten. Was konfus klingt, ist es auch: So haben Wissenschaftler der Universität Stockholm vor Kurzem herausgefunden, dass der EFSA in vielen Fällen weniger Studien vorgelegt werden als der US-amerikanischen Zulassungsbehörde EPA. Unter den fehlenden Studien waren auch solche, die Glyphosat betreffen.

Ist Glyphosat denn nun krebserregend?

Das ist nicht ganz klar, denn die Meinungen der Wissenschaftler gehen auseinander. Laut der Europäischen Chemikalienagentur ist eine Einstufung von Glyphosat als „krebserregend“ nicht angebracht. Sie hält lediglich fest, dass das Mittel schwere Augenschädigungen hervorrufen kann.

Ein Gremium der Weltgesundheitsorganisation WHO sah das 2015 anders. Damals hatte die Krebsagentur der WHO Glyphosat als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestuft. Ein Jahr später sagten Forscher der WHO und der Welternährungsorganisation FAO bei einem gemeinsamen Treffen dann wiederum, dass Glyphosat bei Menschen wahrscheinlich doch nicht krebserregend sei.

In den USA hat Bayer allerdings mehrere Milliarden für Vergleiche ausgegeben, um Klagen beizulegen, bei denen es um Krebserkrankungen in Verbindung mit dem Herbizid Roundup (Wirkstoff Glyphosat) geht.

Was sind die Fronten bei der Abstimmung?

Wichtig zu wissen: Es gilt die qualifizierte Mehrheit. Damit die Verlängerung rechtskräftig wird, müssen mindestens 15 von 27 Mitgliedstaaten dafür stimmen. Gleichzeitig müssen die Befürworter insgesamt mindestens 65 Prozent der Gesamtbevölkerung der EU ausmachen. In einem letzten Schritt entscheiden dann die nationalen Zulassungsbehörden über den Einsatz von Glyphosat in ihrem Land.

Ob die Mitgliedstaaten an diesem Freitag eine qualifizierte Mehrheit für Glyphosat erreichen, ist noch nicht klar. Bei einer Testabstimmung am Donnerstag kam keine Mehrheit zustande, weder für noch gegen die Zulassung. Das liegt daran, dass sich viele Staaten enthalten. Luxemburg etwa galt bisher als klarer Gegner einer Verlängerung. Dort wurde am Wochenende aber die aktuelle blau-rot-grüne Koalition abgewählt. Daher will sich Luxemburg enthalten.

Auch Frankreich wird sich womöglich enthalten. Zwar sind die Franzosen mit dem Vorschlag der Kommission nicht einverstanden und befürworten lediglich eine Verlängerung für weitere sieben Jahre, dennoch werden sie sich der Verlängerung nicht entgegenstellen. Klar ist bisher nur, wer ziemlich sicher gegen die Verlängerung stimmt: Österreich, die Niederlande, Belgien und Bulgarien.

Was macht Deutschland?

Laut Koalitionsabkommen müsste Deutschland eigentlich gegen eine Verlängerung stimmen. Die sieht nämlich ein Verbot des Pflanzenschutzmittels in Deutschland ab 2024 vor. Dennoch wird sich Berlin wohl enthalten, denn die Koalition ist sich nicht einig. Die FDP ist für eine Verlängerung, SPD und Grüne dagegen.

Kann das Europaparlament die Verlängerung stoppen?

Da es sich bei der Entscheidung zur Glyphosatverlängerung um einen sogenannten Durchführungsakt handelt, hat das Europäische Parlament kein wirkliches Mitspracherecht. Es kann und wird sich zwar in einer Entschließung gegen die Verlängerung aussprechen. Eine solche Entschließung hat aber nur Symbolcharakter.

Was passiert, wenn es keine qualifizierte Mehrheit gibt?

Kommt keine qualifizierte Mehrheit für oder gegen die Neuzulassung von Glyphosat zusammen, so muss sich ein Berufungsausschuss mit der Frage befassen. Dann würde in wenigen Wochen auf höherer Verwaltungsebene final abgestimmt werden. Wenn sich der Berufungsausschuss gegen den Vorschlag der Kommission stellt, muss diese sich nach dieser Entscheidung richten.

Dieser Text erschien zuerst auf stern.de

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