Es ist Mitte Oktober, also höchste Zeit, sich gedanklich mit dem Jahresende zu beschäftigen. Denn sonst geht es einem wieder so, dass urplötzlich Weihnachten vor der Tür steht und man nicht genügend Geschenke eingekauft hat. Der SPD-Vorsitzende ist in dieser Hinsicht vorbildlich. „Weihnachten muss es auch mal gut sein“, hat Sigmar Gabriel nach dem Parteikonvent vom Sonntag gesagt. Er will uns zum Fest der Liebe eine neue Regierung bescheren. Das ist ein wunderbares Geschenk für die Bürger dieses Landes. Jedenfalls für diejenigen, die nicht die SPD gewählt haben. Den anderen wäre es ja lieber, sie dürften sich noch weit bis ins nächste Jahr hinein grämen, dass sie Deutschland regieren müssen. Für die ist das so, als bekommen sie ein Paar selbstgestrickte Socken zu Weihnachten.
Ich gebe zu, dass ich zuerst etwas erschrocken war. NOCH BIS WEIHNACHTEN????!!!!! OH HIMMEL HILF! Die Bundestagswahl war am 22. September, also vor einen Monat. Seitdem wurde der Plot entschlossen vorangetrieben, ist aber nicht recht vorangekommen. Hannelore Kraft und Alexander Dobrindt sind sich näher gekommen. Julia Klöckner hat denen, die das bis dahin nicht mitgekriegt haben, weil sie nicht auf Twitter sind, 4271 Mal (gefühlt war es öfter) erklärt, dass die Union die Wahl gewonnen hat. Staatsbürgerlich fasziniert hat mich die Aussage, dass sich für eine Koalition beide Seiten bewegen müssen, weil Kompromisse zur Demokratie gehören. Deswegen dachte ich kurz, das kann nicht lange dauern. Aber irgendwas hab ich da wohl immer noch nicht richtig verstanden.
Jetzt geht’s aber looos! Erst eins, dann zwei, dann drei, dann vier – dann steht der Mindestlohn vor der Tür! Also Frieden, Freiheit, Gerechtigkeit, Wohlstand, Chancengleichheit, Völkerverständigung. Es wird natürlich dauern, bis ausgehandelt wurde, ob dieser Mindestlohn 8,50 Euro oder 8,50 Euro sein wird. Zwar bin ich sicher, dass eine klare Zwei-Drittel-Mehrheit der Bürger, wenn man sie nachts um drei wachrütteln würde, schon jetzt rufen würde: 8,50 Euro! Allein schon, um dann in Ruhe weiterschlafen zu dürfen. Weil aber das ZDF-Politbarometer anders als die Parteien zur Achtung der Menschenrechte verpflichtet ist, kann ich das nicht umfragemäßig untermauern.
Habt Erbarmen mit uns!
Ich sehe deswegen ein, dass meine Ungeduld unangebracht ist. Die SPD hat es wirklich verdient, sich noch wochenlang über ein Unglück greinend die Haare zu raufen, das ihr völlig unverschuldet zugestoßen ist. Wie hätte sie denn ahnen können, dass das so ausgehen kann, als sie sich entschieden hat, zur Bundestagswahl anzutreten? Nicht genug damit, dass eine 150 Jahre alte Partei mit weiteren knapp drei Prozent belastet wird. Jetzt verlangt man auch noch von ihr, dass sie das ernst meint. Wo kämen wir denn hin, wenn in der freien Wirtschaft jeder, der sich auf einen Job bewirbt, den auch antritt? Heerscharen von Personalberatern würden über Nacht zu Hartz-IV-Opfern.
Wie überholt diese Elfenbeinturm-Idee ist, dass in einer Parteiendemokratie Parteien sich an der Regierung beteiligen, haben inzwischen auch die Grünen verstanden. Und sie sind dabei, die CDU/CSU zu bekehren. Jedenfalls herrschte in der höchst gelungenen Sondierungsrunde von Schwarz-Grün Einigkeit: Hauptsache, wir haben darüber gesprochen. Lassen wir's dabei.
Es ist bald Weihnachten, ich habe einen Wunsch. Liebe Parteien, bitte, bitte verlasst uns nicht. Jahrelang haben wir Wähler so getan, als seien wir politikverdrossen. Aber das haben wir doch nur so gesagt, damit Ihr Euch mehr anstrengt. Im September sind schon viel mehr von uns zur Wahl gegangen, weil wir gemerkt haben, dass Ihr verärgert über uns seid. Ihr könnt doch jetzt nicht einfach den Spieß umdrehen.
Weitere Kolumnen von Ines Zöttl: APO des Establishments, Auf der Couch mit dsem Teufel, Koalition der Willigen, und Ich bin ein Syrer
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