Anzeige

Kolumne APO des Establishments

Das Problem einer großen Koalition ist nicht, dass es keine Opposition mehr gäbe. Sondern, dass die nur noch von links kommt. Von Ines Zöttl
Ines Zöttl
Ines Zöttl schreibt jeden Mittwoch über internationale Wirtschafts- und Politikthemen.
© Trevor Good

Gregor Gysi freut sich drauf. Bald wird der Fraktionschef der Linken einen der wichtigsten Jobs in der deutschen Politik übernehmen: Wenn SPD und CDU/CSU eine Koalitionsregierung bilden, fällt Gysi die Rolle des Oppositionsführers im Bundestag zu. Eine Große Koalition ist trotz der Streitereien beim zweiten Sondierungstermin immer noch die wahrscheinlichste Variante. Zwar wurde auch die Linke bei der Bundestagswahl gerupft und stellt nur ein gutes Zehntel der Abgeordneten – aber einen mehr als die Grünen, mit denen sie gemeinsam die Oppositionsbänke drücken wird. Im Rund des Plenarsaals werden beide in ein schmales Tortenstück gepresst sein, das man keinem Konditor abkaufen würde.

Gysi wird seinen Job gut machen. Betrachtet man es rein funktional, sicherlich sogar besser als der bisherige Oppositionsführer Frank-Walter Steinmeier. Der ist ein trockenes Brötchen, dem SPD-Chef Sigmar Gabriel oft genug die Butter abgekratzt hat. Gysi dagegen ist konkurrenzlos, was die Wirkung in der Öffentlichkeit angeht, und rhetorisch brillant. Der Linken-Spitzenmann wird bei jedem Auftritt im Bundestag mit schmissigen Zitaten und fernsehgerechtem Auftritt glänzen.

Das Problem ist also nicht, dass es keine Opposition mehr in Deutschland gibt. Das Problem ist: Es gibt nur noch eine von links. Die dann auch noch mit einer Regierung wetteifert, deren Teilnehmer selbst um die Wette verteilen wollen. Darf’s eine Mütterrente sein oder gleich noch eine Lebensleistungsrente drauf? Sollen ein paar Milliarden zusätzlich in den Straßenbau oder in die Schulen, oder besser doppelt so viel für beides? Wollen wir den Mindestlohn als zusammengenähter Patchwork-Teppich oder flächendeckend aus der Strickmaschine ausrollen?

Mutige Reformen sind tabu

Dass Angela Merkel in ihrer mutmaßlich letzten Amtszeit eine weitere 180-Grad-Wende zurück zur Radikalreformerin des Leipziger Parteitages 2003 vollzieht, ist wohl auszuschließen. Also wird dies die sozialdemokratischste Regierung sein, die Deutschland je hatte: Denn die SPD wird nicht den Fehler wiederholen, den sie aus ihrer Sicht in der ersten Runde mit Merkel begangen hat: das Vaterland vor die Partei zu stellen. Sie wird diesmal darauf acht geben, sich stets links von CDU und CSU zu positionieren. Mutige Reformprojekte wie die Rente mit 67 sind damit tabu.

Und von der linken Seitenlinie des Spielfeldes aus wird die Opposition die neue Regierung mit Sprechchören anfeuern: mehr, mehr, mehr! Mehr Mindestlohn, mehr Umverteilung, mehr Gerechtigkeit, mehr Steuererhöhungen. Denn nicht nur in der Regierung, auch in der Opposition dürfte der Streit in den kommenden Jahren darum gehen, wer der Allersozialste ist. Das Verschwinden der FDP aus dem Bundestag hat den Grünen theoretisch die Möglichkeit eröffnet, das brachliegende liberale Feld zu bestellen. Mit der Wahl ihrer neuen Fraktionsspitze haben sie sich dagegen entschieden. Deutschland kennt keine Parteien mehr, nur noch Linke.

Wirtschaft scheut den Konflikt

Das kann niemand gefallen. „Alternativlos“ ist ein Traum für Politiker und ein Albtraum für die Demokratie. Die Mehrheit der Deutschen mag für den Mindestlohn sein: Aber sie sollte es nicht sein, ohne die Gegenargumente wenigstens gehört zu haben. Künftig aber ist im Bundestag keiner mehr da, der sie vortragen könnte.

Liberale Opposition muss dann außerparlamentarisch stattfinden. Doch auch da sieht es mau aus. Die FDP wird nicht über Nacht aus der eigenen Asche neu erstehen. Die Rolle der APO gegen Verteilen, Regulieren und Staatsgläubigkeit müsste die Wirtschaft selbst übernehmen, die Unternehmen und ihre Verbände. Doch die Unternehmen scheuen den Auftritt. Und Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt ist gleich mit unter die Decke der Großen Koalition gekrabbelt. Nur sie könne die großen Herausforderungen der Zeit lösen, hat er erklärt, noch bevor die Koalitionsverhandlungen begonnen haben. Auf Steuererhöhungen, Mindestlohn, Betreuungsgeld und Mütterrente solle man doch aber bitte verzichten, bat er dann noch. Hat da noch jemand zugehört?

Opposition muss man wohl auch erst üben.

Weitere Kolumnen von Ines Zöttl: Auf der Couch mit dsem Teufel, Koalition der Willigen, und Ich bin ein Syrer

E-Mail: Zoettl.Ines@capital.de

Neueste Artikel