„Ich habe Baschar al-Assad getroffen. Er war ziemlich cool.“ So überschrieb kürzlich Nick Taranto, Mitgründer des Start-ups plated.com, einen Beitrag für die „Huffington Post“. Darin erzählt der Amerikaner, wie er 2008 als Teilnehmer einer Studienreise von Syriens Präsident und dessen Gattin Asma empfangen wurde. Taranto schildert, wie sehr ihn das Paar damals beeindruckt habe: Assad nahm Kritik an, er war eloquent, reflektiert und (scheinbar) entschlossen zu Reformen. Und dazu noch diese elegante Frau!
Ein paar Jahre später löscht derselbe Präsident mit unvorstellbarer Brutalität seine Feinde aus und zerstört ein Land. „Wir wurden eingeseift von einem Monster“, schließt Taranto seinen Beitrag.
Vielen westlichen Beobachtern, Medienleuten, Politikern und Experten ging es ähnlich wie dem Studenten – wenige bekennen sich heute so offen zur eigenen Fehleinschätzung.
Und nun war der „Spiegel“ da. „Wie leben Sie mit dieser Schuld, Herr Assad?“, betitelt das Magazin sein Gespräch mit dem Diktator. Zutreffender wäre gewesen: „Wir haben Baschar al-Assad getroffen. Er war ziemlich cool“. Das ist kein Vorwurf an die Interviewer, sie haben getan, was sie konnten. Aber wenn es ihr Ziel war, Assad zu demaskieren, die Wahrheit zu erforschen oder auch einfach nur sein Weltbild zu erklären, sind sie gescheitert. Assad ist immer noch einfach cool: Eloquent, kritikfähig, reflektiert. Und, wie die „Spiegel“-Journalisten beschreiben, im Gespräch völlig entspannt.
Assads PR-Strategie
Interviews mit Diktatoren sind eine heikle Angelegenheit: Soll, darf man dem Bösen ein Forum geben? Die übliche Antwort von Journalisten lautet: Ja. Dahinter steht sicherlich auch Eigennutz, weil wir alle auf der Jagd nach Scoops sind, nach der Geschichte, die Geschichte macht. Wer wäre nicht gerne der erste, der Nordkoreas Diktator Kim Jong-un in die Mangel nimmt? Die Aufmerksamkeit der ganzen Welt wäre ihm sicher. Doch es ist nicht so, dass Journalisten die Gefahr verkennen, instrumentalisiert zu werden. Sie sind aber schon qua Profession überzeugt, dem durch eine kluge Gesprächsführung, durch harte, kritische Fragen begegnen zu können.
Leider klappt das in der Praxis meistens nicht. Claus Kleber, der Chef des „heute-journals“ ist am früheren iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad ebenso gescheitert wie verschiedene Interviewer an Assad (Ausschnitt aus einem CBS-Interview). Im Gegenteil scheint der Syrer den PR-Wert solcher Treffen für seine Sache erkannt zu haben: Er gibt regelmäßig Interviews, es scheint geradezu eine PR-Strategie. Während andere Diktatoren wie der frühere libysche Machthaber Muammar al-Gaddafi, die Kims oder auch Ahmadinedschad schon auf den ersten Blick verquer wirken, verkörpert Assad geradezu den rationalen westlichen Musterdiplomaten. Er schlägt das System mit seinen eigenen Waffen. Es wirkt schon fast wie Hohn, wenn er, wie der „Spiegel“ berichtet, bei der Autorisierung des Gesprächs souverän auf jede Änderung verzichtet. Zweitrangige deutsche Politiker erschrecken nach einem Interview oft über die eigenen belanglosen Sätze derart, dass sie alles noch mal neu im Stil einer Pressemitteilung formulieren.
Einen Versuch ist es wert
Es ist die Crux mit Interviews, dass sie sehr oft nicht gelingen. Aber wenn doch, dann vermitteln sie eben viel unmittelbarere, authentischere Erkenntnisse als jede andere Stilform: Denn da redet der, tritt der auf, um den es geht. Ungefiltert im besten Fall. Journalistisches Handwerk gehört zum Gelingen, gute Vorbereitung und Glück: Manchmal rutscht einem Befragten im Eifer des Gefechts etwas heraus, was er lieber nicht gesagt hätte. Manchmal verrutscht die Maske, die sich einer aufgesetzt hat.
Nicht immer, nicht einmal oft. Aber immer ist es einen Versuch wert. Auch bei Diktatoren. Zur offenen Gesellschaft gehört der Glaube, dass sich am Ende das bessere Argument durchsetzt. Dass nicht Tabus, sondern Streit Fortschritt erzeugt. Aufklärung lebt vom Wissen wollen, vom Verstehen wollen. Und die Frage ist: Was macht einen Assad zum Monster?
Der syrische Diktator hat im „Spiegel“ nichts von Interesse gesagt. Aber gelernt (oder wieder neu erfahren) hat man als Leser doch etwas: Dass auch jemand mit exzellenten Manieren ein skrupelloser Schlächter sein kann.
Weitere Kolumnen von Ines Zöttl: Koalition der Willigen, Ich bin ein Syrer, Gutes Geld und Lass die Sau raus
E-Mail: Zoettl.Ines@capital.de