Das Tor zum Castillo Son Vida auf Mallorca öffnet sich mit leisem Quietschen. Michael Preetz steuert seinen Mietwagen die Auffahrt hinauf zu dem Fünfsternehotel, einem umgebauten Schloss, das in den Hügeln über Palma thront. Es ist ein Abend Mitte Januar. Der Manager des Fußballbundesligisten Hertha BSC kommt von einem Testspiel der Berliner in ihrem Wintertrainingslager, Sieg im Elfmeterschießen gegen den Zweitligisten RCD Mallorca. Nun parkt Preetz seinen Opel Zafira, in den er seine langen Beine für die Rückfahrt ins Mannschaftshotel gequetscht hat, neben dem Eingang. Eine Woche lang hat sich der Hertha-Tross hier einquartiert: die Mannschaft, das Trainerteam, Ärzte und Physiotherapeuten, der Leiter der Nachwuchsakademie. Ebenfalls eingeflogen sind der Vereinspräsident und Preetz’ drei Kollegen aus der Geschäftsleitung der Hertha BSC GmbH & Co KGaA, jenes Unternehmens mit zuletzt knapp 100 Mio. Euro Umsatz, in das der Club sein Bundesligateam ausgegliedert hat. Auf Mallorca wollen die Trainer die Spieler fit für die Rückrunde machen – und die Chefs ihre Fußballfirma „fit für die Zukunft“.
So nennt Preetz die Agenda für die Sitzungen, zu denen sich die Hertha-Führung trifft, wenn gerade kein Training oder Testspiel ansteht. Nach einer dieser Runden sitzt Preetz in Jeans und Trainingsjacke mit Sponsorenlogo in der holzvertäfelten Bar des Teamhotels, hinter sich eine Terrasse mit Postkartenblick über die Bucht von Palma. Seit 2009 trägt der 50-jährige Ex-Stürmer bei den Berlinern den Titel „Geschäftsführer Sport, Kommunikation und Medien“. Seitdem ist Preetz so etwas wie das Gesicht des Vereins: Bei den Abstiegen 2010 und 2012, aber auch bei den direkten Wiederaufstiegen und den Erfolgen der letzten beiden Jahre, in denen Hertha mit vergleichsweise schmalem Personaletat um die Europa-League-Plätze mitgespielt hat. Die rund 40 Mio. Euro, die Preetz pro Saison für Spielergehälter ausgeben kann, würden beim FC Bayern gerade einmal für die drei teuersten Stars reichen.
Mit der Mannschaft fährt der Manager gleich zum Sightseeing herunter nach Palma. Aber vorher redet er über die großen Projekte des Clubs, der in diesem Jahr 125 Jahre alt wird: über die Suche nach einem zweiten Investor, der möglichst eine dreistellige Millionensumme in den Verein pumpen soll. Über die Pläne für ein neues Stadion. Wie sich der Club im In- und Ausland offensiver vermarkten will. „All das brauchen wir, wenn wir den wirtschaftlichen Abstand zu den Top sechs in der Bundesliga verkürzen wollen“, sagt Preetz.
Nicht nur bei Hertha BSC bemühen sich die Clubmanager um neue Erlösquellen. Die Bundesliga rüstet auf, angetrieben von den übermächtigen Fußballkonzernen aus München und Dortmund, die dank Dutzender Millionen aus der Champions League ein Mehrfaches des Umsatzes von Bundesliga-Mittelständlern wie Hertha machen. Mehr Stars, teurere Transfers, höhere Gehälter: Für den Rest der Liga wird es immer schwerer, mit den Top-Teams mitzuhalten. Auch andere Vereine wie Werder Bremen sind deshalb auf der Suche nach finanzstarken Investoren – nicht nur in Deutschland, auch in China oder Nordamerika. Beim VfB Stuttgart ist in diesem Sommer der Autobauer Daimler mit mehr als 40 Mio. Euro eingestiegen. Doch in keiner anderen Branche haben es Investoren hierzulande so schwer wie im Profifußball. Eine Sonderregel – 50+1-Regel genannt – verhindert, dass sie bei einem Club die Kontrolle übernehmen können. Bei vielen Fans sind sie verhasst als Kapitalisten, die den Fußball kaputt machen – auch weil man viele Beispiele von eigensinnigen Investoren kennt, die sich in Transfers und Trainerfragen einmischen und für Unruhe im Verein sorgen. So wie der Logistikmilliardär Klaus-Michael Kühne beim HSV oder der jordanische Unternehmer Hasan Ismaik, der den Traditionsclub 1860 München ins Chaos gestürzt hat. Es gibt aber auch das Beispiel Hertha. Es zeigt, was ein Investor einem Verein bringen kann, wenn beide Partner es richtig anstellen.
„Das ist ein seriöses Modell“
Hertha BSC hat bereits einen Investor, Kohlberg Kravis Roberts (KKR) aus New York. Vor dem Einstieg des Finanzkonzerns hatten die Berliner in der Krise gesteckt – erst wirtschaftlich, dann auch sportlich. Die Abstiege verschärften die Finanznot und verfestigten das chronische Imageproblem des Clubs – auch in der eigenen Stadt: arm, aber nicht einmal sexy. Anfang 2014 investierte KKR 61,2 Mio. Euro, unter anderem für einen Anteil von knapp zehn Prozent an der Hertha BSC GmbH & Co KGaA. Für die Amerikaner, die sich in Deutschland zuvor an Konzernen wie MTU, Wincor Nixdorf oder WMF beteiligt hatten, ist es bis heute das einzige Engagement im Profisport. Für den hoch verschuldeten Verein war der Einstieg einer der bekanntesten Private-Equity-Firma der Welt ein Überraschungscoup. Und die Basis für einen Turnaround, der sich auch auf dem Platz auszahlt. „Ohne KKR würden wir heute nicht da stehen, wo wir sind“, sagt Werner Gegenbauer, der Hertha-Präsident – wirtschaftlich und sportlich, aber auch, weil Spieler und Sponsoren wüssten: „Da kann sich wieder was entwickeln.“ In der Branche gilt die Partnerschaft von Hertha und Hochfinanz als Musterbeispiel. „Das ist ein seriöses Modell“, sagt ein anderer Clubchef. Was die Ligakollegen besonders bemerkenswert finden: Nach dem Einstieg hat man von KKR nie wieder ein Wort gehört. Und das bei einer Private-Equity-Firma, die seit dem „Heuschrecken“-Vergleich des früheren SPD-Vorsitzenden Franz Müntefering als rücksichtsloser Firmenjäger gilt: ein Investor, der bei einem kriselnden Unternehmen einsteigt, es knallhart saniert und dann möglichst schnell wieder verkauft, um zügig Kasse zu machen.
Berliner Olympiastadion, 26. Spieltag der Bundesliga, ein Freitagabend Ende März. Hertha BSC empfängt die TSG 1899 Hoffenheim. Der Tabellenfünfte gegen den -vierten. Für die Partie eingeflogen ist ein Mann, der während des Spiels auf der Ehrentribüne neben der Clubführung sitzt: Horst Julius Pudwill. Der deutsche Milliardär aus Hongkong ist Eigentümer des Heimgerätekonzerns Techtronic Industries mit fast 6 Mrd. Dollar Umsatz und weltbekannten Marken wie Hoover und AEG. Im Schlepptau hat Pudwill ein paar Chinesen und Thailänder mit Hertha-Schals – Leute mit viel Geld, die gerade in Europa von Spiel zu Spiel jetten und nun in der „Ehrenhalle“, dem edelsten VIP-Bereich im Olympiastadion, bei Roastbeef und Rotwein auf den Anpfiff warten. Auch in Asien haben sie davon gehört, dass die Berliner einen zweiten Investor suchen. Pudwill und seine Begleiter gehören zu den Leuten, bei denen es ein Verein wie Hertha ohne den KKR-Deal wohl schwer hätte, mit ihnen ins Geschäft zu kommen. Aber schon wenige Monate nach dem spektakulärem Deal Anfang 2014 kaufte der gebürtige Niedersachse, eigentlich Fan von Hannover 96, Hertha-Genussscheine für 6 Mio. Euro. Ohne detaillierte Prüfung – weil er KKR-Mitgründer Henry Kravis aus dem Business Council der US-Regierung kennt und dem Urteil von dessen Investmentexperten vertraut. „Hertha hat großes Potenzial. Der Verein ist absolut unterbewertet“, sagt Pudwill. Gerade international lasse sich Hertha als Hauptstadtclub noch viel mehr vermarkten, „Berlin wird ja immer interessanter“. Seit Sommer 2014 hat Pudwill sein Engagement bei den Berlinern noch ausgeweitet. Er sitzt im Aufsichtsrat, sein Konzern ist nun Großsponsor. Darüber hinaus finanziert Pudwill einen eigenen Hertha-TV-Sender, der im Sommer starten soll und für den er einen ehemaligen ProSieben-Geschäftsführer verpflichtet hat. Die Gewinne teilt sich Pudwill mit dem Verein.
Investorensuche in China
„Wenn Sie eine Due Diligence mit KKR überlebt haben, dann ist das ein Gütesiegel“, sagt Hertha-Präsident Gegenbauer über die Buchprüfung, die der Investor vor seinem Einstieg durchgeführt hat. Erst wenige Tage vor dem Hoffenheim-Spiel ist der Vereinschef wieder zusammen mit Sportgeschäftsführer Preetz und Finanzchef Ingo Schiller durch China getourt. Vier Termine bei potenziellen Partnern – darunter der Finanzinvestor Fosun aus Schanghai. Kontakte gibt es auch zu Interessenten aus den USA, etwa mit einer Familie, der ein großes Footballteam in der Profiliga NFL gehört. Nicht selten helfen die Netzwerke und der Ruf von KKR, die Termine zu bekommen. Der zweite Investor, sagt Gegenbauer, solle möglichst so sein wie KKR als börsennotiertes Unternehmen: transparent und berechenbar, „keine Einzelperson, die emotional reagiert“. Im Verein träumen sie davon, mit dem Anteilsverkauf eine Summe von 100 Mio. plus x einzunehmen. Mit einem großen Deal würde sich der Club völlig neue Spielräume verschaffen, um in die Mannschaft zu investieren – so wie andere Vereine, die sich mit dem Kapital externer Gesellschafter vollgepumpt haben: der FC Bayern mit seinen Aktionären Adidas, Audi und Allianz; der börsennotierte BVB; Firmenclubs wie Leipzig, Wolfsburg und Leverkusen. Ein internationaler Investor, zumal aus China, könnte aber auch der gesamten Bundesliga helfen, den Rückstand auf andere europäische Ligen im Ausland zu verkleinern. Bislang investierten die Chinesen lieber in England, Spanien und Italien - unter anderem auch wegen der deutschen 50+1-Regel.
Ein Büroturm am Berliner Tiergarten, wenige Wochen nach dem Trainingslager. In einem Konferenzraum der Großkanzlei CMS Hasche Sigle steht Herthas Finanzgeschäftsführer Schiller im blauen Anzug und mit Headset vor zwei Dutzend Stuhlreihen mit Männern, die fast alle Krawatten tragen. In der Hauptstadt läuft gerade die Super Return, ein Pflichttermin der globalen Finanzinvestorenszene. Parallel dazu hat das European Finance Forum, ein Zusammenschluss von Bankern, Verbandslobbyisten und Anwälten, den Fußballmanager als Gastredner eingeladen. Schillers Thema: „Hertha BSC – Zwischen Sportverein und Private Equity“. Zum ersten Mal musste der Gastgeber für einen Vortrag die Anmeldeliste vorzeitig schließen. Wie bei der Bilanzpräsentation klickt sich Schiller durch Zahlen und Grafiken: Umsatz, Verbindlichkeiten, Eigenkapital, TV-Rechte, Sponsoring. Fast 40 Folien, alle versehen mit dem Clubbranding, mit dem das Hertha-Management den 1892 gegründeten Verein als ältestes Start-up der Stadt vermarktet: „Berlin seit 1892“ und „We try. We fail. We win.“ Schiller nennt das einen „provokanten Claim“, der sich nicht an „traditionelle Fangruppen in der Eckkneipe“ richte, sondern an neue Businesspartner aus der Digital- und Start-up-Branche – in einer Stadt, in der es nicht so viele finanzstarke Konzerne gibt wie in München, Stuttgart oder Hamburg. Auch Betriebswirt Schiller, 52, einer der dienstältesten Finanzchefs der Bundesliga, hat bei Hertha schon viele Höhen und Tiefen erlebt. Die wilde Zeit Anfang des Jahrtausends, als der Verein im Europapokal spielte, aber unter Preetz’ Vorgänger Dieter Hoeneß in der Nachwende-Euphorie ein zu großes Rad drehte und viel Geld mit Spielertransfers versenkte. Die chronische Finanznot, die den Club zu riskanten Kniffen greifen ließ: Marken- und Cateringrechte wurden verkauft, TV-Einnahmen verpfändet, Millionendarlehen bei Privatpersonen und Geschäftspartnern abgeschlossen. Schiller legte Zertifikate auf, mit denen sich Investoren an Spielern beteiligen und auf künftige Transfererlöse wetten konnten. Zudem emittierte Hertha als erster Bundesligist öffentliche Fananleihen. Dann kamen auch noch die Abstiege 2010 und 2012. „Wenn Sie absteigen, verlieren Sie die Hälfte Ihres Umsatzes, ohne das auf der Kostenseite kompensieren zu können“, sagt Schiller und springt zu einer Grafik, die zeigt, warum in der Firmenbilanz vor der Finanzspritze von KKR zeitweise die Worte „bilanzielle Überschuldung“ auftauchten: 40 Mio. Euro Schulden, 8,3 Mio. Euro negatives Eigenkapital. Vor der Insolvenz retteten den Club damals nur die stillen Reserven: Spieler, deren Wert in der Unternehmensbilanz deutlich niedriger angesetzt war als der aktuelle Marktwert.
Als im Frühling 2013 der Wiederaufstieg feststand, holte die Hertha-Führung ihre Pläne für einen Investor aus der Schublade und ließ über die auf Sport spezialisierte Investmentboutique IM 1872 aus Genf ein „Term Sheet“ mit den Konditionen einer Beteiligung am Markt anbieten. Lang blieb es ruhig. Am Ende wollten gleich drei Finanzinvestoren einsteigen – auch Wunschpartner KKR, der an Weihnachten seinen Letter of Intent schickte. Schon Anfang Januar begann die Due Diligence, die den Unternehmenswert auf 220,6 Mio. Euro taxierte. Wenig später floss das Geld: neben rund 18 Mio. Euro für 9,7 Prozent der Anteile eine „Signing Fee“ von 7 Mio. Euro und 36 Mio. Euro als Vorschuss für künftige Einnahmen. Laufzeit: mindestens sieben Jahre. Für KKR gibt es die Option, auf 33,3 Prozent aufzustocken. An dem Tag, an dem das Geld auf dem Hertha-Konto einging, machte Schiller mit seinen Kollegen ein paar Flaschen Bier auf. Heute kann Schiller bei Vorträgen wie vor der Berliner Finanzcommunity einen Turnaround präsentieren. Die Schulden sind halbiert, das Eigenkapital beträgt fast 20 Mio. Euro – nur das Jahresergebnis war zuletzt noch negativ. Mit den KKR-Millionen hat der Club Vermarktungsrechte zurückgekauft, spart sich viel Geld für Zinsen und kann nun komplett vom anhaltenden Boom der Liga profitieren. Seit Jahren wächst der Umsatz in der Bundesliga im Schnitt mehr als zehn Prozent pro Saison – bis auf 3,2 Mrd. Euro in der Saison 2015/16. „Das sind Wachstumsraten, wie wir sie im Moment nicht einmal in China erleben“, schwärmt Schiller. Und nun kommt auch noch der neue TV-Vertrag, den die Deutsche Fußball Liga im Sommer 2016 für die 36 Proficlubs abgeschlossen hat. Er garantiert Erlöse aus den Übertragungsrechten für TV, Radio und Internet, die nach knapp 900 Mio. Euro in der Saison 2016/17 bis zur Saison 2020/21 auf 1,6 Mrd. Euro hochschnellen. Für Hertha kann Finanzchef Schiller sogar ein „überproportionales Wachstum“ einkalkulieren, weil die Berliner dank der besseren Ergebnisse auf dem Platz auch in der TV-Geldrangliste der DFL aufholen. In der Saison 2017/2018 wird der Verein mehr als 50 Mio. Euro kassieren – 20 Mio. Euro mehr als in der abgelaufenen Spielzeit. Und zwar netto und ohne jedes Risiko.
Wettbewerbsnachteil Stadion
Aber auch für KKR lohnt sich das ungewöhnliche Investment – trotz der Größenordnung, mit der sich Private Equity normalerweise nicht abgibt. „Wir haben deutliches Potenzial gesehen, den Verein national und international stärker zu etablieren“, sagt Christian Ollig, der KKR-Director, der von London aus die deutschen Investments steuert. Damals habe man ein „signifikantes Steigerungspotenzial“ bei den TV- und Mediarechten ausgemacht. Nicht zuletzt dank des Booms bei den Fernseheinnahmen dürfte die Bewertung der Berliner Fußballfirma heute schon bei weit mehr als 300 Mio. Euro liegen. Hinzu kommt für KKR der Werbewert eines Engagements in der Fußball-Bundesliga, einem der größten Schaufenster der Republik – auch als Signal an den deutschen Mittelstand, dass man sich nicht nur für Milliardenübernahmen interessiert. Und dass man auch anders kann, als unangenehme Schlagzeilen zu produzieren. Tatsächlich ist es nach dem Überraschungscoup Anfang 2014 erstaunlich ruhig geworden. Selbst bei den Fans, die anfangs noch ein „Heuschrecken“-Plakat in die Ostkurve hängten, war der Einstieg des ersten Finanzinvestors in die Liga schnell kein Thema mehr. Im Unternehmen selbst führte KKR professionellere Reportingstrukturen ein, lieferte Analysetools und half mit Know-how bei Finanzierungsfragen und seinem globalen Netzwerk – etwa bei der Suche nach neuen Sponsoren. Finanzchef Schiller spricht heute von einem „Lernsprung“. Nach einem Jahr zog sich der mächtige Europachef Johannes Huth, der eines der beiden KKR-Mandate im Hertha-Aufsichtsrat anfangs selbst wahrgenommen hatte, aus dem Gremium zurück. Inzwischen sitzt dort Ollig. Huth reichen zwei Treffen im Jahr mit Präsident Gegenbauer.
Noch zweieinhalb Stunden bis zum Anpfiff des Spiels gegen den FC Bayern. In einer warmen Jacke des Hertha-Ausrüsters läuft Thomas Herrich durch das leere Olympiastadion. In der Hertha-Geschäftsleitung ist Herrich, ein ehemaliger Manager des Sportvermarkters Sportfive, seit Jahren für Marketing, Organisation und Sicherheit zuständig und Prokurist. Bei Heimspielen hat er immer eine Weste mit der Aufschrift „Veranstaltungsleiter“ dabei und den Generalschlüssel für die Arena, den er einmal den „80 000-Euro-Schlüssel“ genannt hat. Gerade hat der Logistikchef schon ein Sicherheitsbriefing für einen Teil der Ordner hinter sich. In der Vorsaison gab es bei dem Spiel gegen die Bayern Probleme. Bei den Spielen im Olympiastadion steht Herrich nicht nur permanent im Kontakt mit der Polizei, die vor der Tribüne eine eigene Stadionwache unterhält – mit 25 Zellenplätzen. Er hat auch das letzte Kommando über bis zu 2 500 Leute, vom Ordner bis zur VIP-Hostess, und über die Platzierung von Herthas Corporate Design im Stadion. Den Slogan „We try. We fail. We win“ sieht man auch bei diesem Spiel überall in der Arena: auf der Laufbahn, den Werbebanden und auf den Servietten im VIP-Bereich. Nur auf der Ehrentribüne, auf der später Uli Hoeneß und die anderen Bayern-Bosse sitzen werden, fehlt das Clubbranding. Der Denkmalschutz. „Das ist ein tolles Stadion, keine Frage“, sagt Herrich, als er die Haupttribüne hinaufsteigt, die später voll besetzt sein wird. „Wäre es immer so wie heute, hätten wir auch kein Problem.“ Doch gegen die meisten Gegner kommen nicht 75 000 Zuschauer wie gegen Bayern oder den BVB, sondern nur 40 000 bis 50 000. Bei der Stadionauslastung liegt Hertha auf dem letzten Platz in der Liga. Bis heute ist das geschichtsträchtige Olympiastadion ein geeigneter Ort, wenn in Berlin DFB-Pokalfinals oder Papstbesuche stattfinden. Aber für Hertha ist die Spielstätte, die als einzige in der Liga noch über eine Laufbahn verfügt, im Alltag des modernen Bundesligageschäfts mittlerweile zu einem ernsthaften Standortnachteil geworden: Zu groß, zu viel Abstand zwischen Rängen und Rasen, viel zu viele teure VIP-Plätze, die sich gegen Gegner wie den FC Augsburg oder den SC Freiburg nicht verkaufen lassen. Und für die Nutzung der Arena zahlt der Club bis zum Ende des Mietvertrags 2025 mehr als 5 Mio. Euro pro Saison an das Land Berlin als Eigentümer – während die Konkurrenz, die längst in ihren eigenen Stadien spielt, die Namensrechte für einen Millionenbetrag an einen Sponsor zu verkaufen kann. „An allen anderen Bundesliga-Standorten, die ein neues Stadion gebaut haben, haben sich die Einnahmensituation und die Zuschauerzahlen verbessert“, sagt Hertha-Manager Preetz.
Schon seit Jahren wird deshalb auch bei Hertha über den Bau einer eigenen Arena gesprochen. Doch erst seit dem Investment von KKR gibt es Spielraum für so ein 150 bis 200 Mio. Euro teures Großprojekt. Hinzu kommen die niedrigen Zinsen. Finanziert werden soll die Arena für 55 000 Zuschauer zu 100 Prozent privat – über Eigenkapital und Darlehen, einen Verkauf der Namensrechte und möglicherweise eine weitere Fananleihe. Denkbar ist auch, dass sich der erhoffte zweite Investor beteiligt. Nun muss der Verein nur noch den Berliner Senat überzeugen, dass er am Wunschstandort neben dem alten Stadion bauen darf. Oder er muss hinter die Stadtgrenze nach Ludwigsfelde ausweichen – obwohl einige Fans schon heute gegen einen Umzug nach Brandenburg auf die Barrikaden gehen. Und zuletzt kam auch eine dritte Option hinzu: ein Umbau des Olympiastadions zu einer fußballtauglicheren Arena mit Tribünen, die näher am Rasen sind – wobei auch hier der Denkmalschutz die Planungen nicht leichter macht. Das Gelände, auf dem nach dem Wunsch der Hertha-Führung das Stadion bis 2025 entstehen soll, ist heute der Trainingsplatz der Profis, direkt gegenüber der Geschäftsstelle. Davor hängt ein riesiges Plakat mit Fotos der Spieler und dem Vereinsslogan. Es erinnert die rund 250 Mitarbeiter immer daran, dass sich das Unternehmen aus der Old-Economy-Branche Profifußball nun als Start-up versteht. Wie bei großen Stahlherstellern oder Energiekonzernen, die schneller und digitaler werden wollen, gibt es auch bei Hertha jetzt einen „Change-Prozess“ und ein kleines Büro in einem Coworkingspace in Berlin-Mitte. Die Jour-Fixe-Sitzungen der Geschäftsleitung am Montag finden nun in einer verglasten Lounge mit Sofas statt, die für die Mitarbeiter von außen einsehbar ist. Als Coach, der das Unternehmen auf digital trimmen soll, kam Anfang 2016 Paul Keuter, der zuvor die globale Sportstrategie beim Kurznachrichtendienst Twitter geleitet hatte. Bis heute ist Keuter der einzige Digitalchef der Bundesliga, der direkt in der Geschäftsleitung sitzt. Zudem verantwortet der 42-Jährige Herthas neue Start-up-Markenstrategie, für die er von einigen Fans persönlich angegriffen und von Marketingstrategen gelobt wurde. Erstmals holte er mit Jung von Matt/Sports aus Hamburg eine richtige Werbeagentur ins Haus. Bis dahin hatte Hertha kaum Geld für Marketing ausgegeben.
Agenda 2025: Die Zukunft soll Berlin gehören
Als Keuter bei den Berlinern anfing, sagte er intern: „Die Leute finden Hertha oft nicht sympathisch. Und fast noch schlimmer: Viele sind gegenüber unserem Club völlig gleichgültig.“ Mit seinem neuen Social-Media-Chef vom 1. FC Köln führte er auf Facebook und Twitter einen neuen, selbstironischen Ton ein. Trainer Pál Dárdai drängte er dazu, regelmäßig zu twittern – als erster Trainer der Liga. Zuletzt verzeichnet Hertha auf seinen Social-Media-Kanälen höhere Zuwachsraten als der FC Bayern oder der BVB, auch wenn andere Clubs in absoluten Zahlen deutlich mehr Follower haben. In einem ersten Schritt sollen nun noch mehr Fans erreicht werden als bislang. Später will Keuter diese Reichweite dann zu Geld machen, etwa indem sie an Sponsoren verkauft wird. „Das Ziel muss sein, mehr Erlöse zu generieren, um am Ende natürlich auch mehr in die Mannschaft investieren zu können“, sagt Keuter. Schon lange hat sich die Clubführung mit der Frage beschäftigt, wo in der Bundesliga und in der Stadt mit ihren unzähligen Unterhaltungsangeboten die Nische für den Verein ist. Das Imageproblem sei bei Hertha ein Thema, „solange ich laufen kann“, sagt Preetz in seinem Eckbüro in der Geschäftsstelle, in dem auf einem Schrank auch die Torjägerkanone aus der Saison 1998/99 steht. „Wir haben uns schon länger gefragt: Wofür steht Berlin, was macht die Stadt einzigartig?“ Nach dem Aufstieg 2013 setzten sich Preetz, Schiller und Herrich deshalb zusammen und schrieben parallel zur Investorensuche ein Strategiepapier für eine neue Hertha. Der Titel: „Agenda 2025“.
Auf einer Folie hielten sie fest, welche sportlichen und finanziellen Ziele der Verein verfolgt. Und die „Hebel“, mit denen er sie erreichen will: Sponsoring, TV- und Zuschauereinnahmen, Jugendarbeit, Transferüberschüsse. Ein paar Folien weiter steht fett: „Unsere Ambitionen zu erreichen, heißt, etliche Clubs hinter uns zu lassen.“ Darunter zu sehen sind die Wappen der Bundesligisten und Traditionsvereine, sortiert in verschiedene Kategorien: „Kandidaten für die Meisterschaft“, „Internationales Geschäft“, „Mittelfeld“ und „Froh, dabei zu sein“. Für 2020 ist das Wappen der Berliner noch unter „Mittelfeld“ gelistet. In der Spalte für 2025 taucht Hertha als erster Anwärter unter „Internationales Geschäft“ auf – nach den Meisterschaftskandidaten Bayern, Dortmund und Leipzig. Um das zu erreichen, brauche der Club mehr Geld, sagt Preetz. „Ohne finanzielle Hilfe von außen ist es nicht möglich, die Lücke zu den Spitzenclubs auf Dauer zu verringern oder sogar zu schließen.“