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Kommentar Feigheit vor dem Freund

Wir predigen Zivilcourage, Bürgerrechte und Transparenz. Und dann lassen wir ohne Zögern einen Menschen im Stich, der der Welt einen Dienst erwiesen hat. Von Ines Zöttl
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Whistleblower aller Länder, hört das Signal. Ihr erfüllt eine wichtige Aufgabe für Institutionen, Unternehmen, Gesellschaft. Ihr beschmutzt das Nest, und in der Regel kommt Ihr selbst dabei nicht ganz sauber raus: Denn der Verrat von Interna ist eine knifflige Sache. Es gibt ja Gründe, auch berechtigte, warum Dinge nicht an die Öffentlichkeit gelangen sollen. Für Unternehmen geht es um Wettbewerb, für Menschen um Persönlichkeitsrechte, für Staaten um ihre Sicherheit und Handlungsfähigkeit. Nicht immer muss jeder alles wissen. Ihr verstoßt mindestens gegen Regeln, im schlechtesten Fall gegen das Gesetz. Doch im besten Fall war es das wert: Weil das, was Ihr da ausplaudert, raus ans Licht musste.

Der Fall Edward Snowden ist dieser beste Fall. Oder hat man jemand in Deutschland in den vergangenen Wochen sagen hören, seine Enthüllungen wären besser unter der Decke geblieben? Schockiert waren alle, entsetzt, empört, besorgt, bis rauf zur Kanzlerin. Aber nicht etwa über Snowdens verräterischen Geheimnisverrat, sondern über die Spähaktionen des großen Bündnisfreundes USA. Nun müsse man aber mal mit dem netten Herrn Obama ein ernstes Wörtchen reden, hieß es. Die ganz Mutigen forderten gar, die Verhandlungen über das Transatlantische Freihandelsabkommen auszusetzen.

Ines Zöttl
Ines Zöttl
© Trevor Good

Und dann, als das Asylgesuch des Herrn Snowden in Berlin eintraf, da wurde wieder gekuscht. Natürlich hat sich die Regierung diese Entscheidung nicht leicht gemacht. Mehrere Stunden hat es gedauert, bis die Absage verbreitet wurde. Die „Wahrung politischer Interessen“ nach Paragraf 22 des Aufenthaltsgesetzes erfordert aber leider, dass wir Herrn Snowden diesen Aufenthalt verweigern.

Wir sind tief betroffen von der Sache. Aber wieso sollten ausgerechnet wir den Mann aufnehmen, wir sind doch nur eine ganz kleine Mittelmacht und auch kein anderer Staat traut sich, die mächtigen USA zu reizen. Zivilcourage ist keine deutsche Staatsräson. Hier herrscht vorderhand Recht und Ordnung, und die machen die Ablehnung des Aufenthaltsbegehrens von Herrn Snowden geradezu zwingend. Da gibt es leider, leider gar keinen Spielraum, wir würden ja gerne, aber das Recht ist doch für alle gleich und wenn wir damit erst einmal anfangen. Ein Präzedenzfall wäre geschaffen, am Ende gilt Deutschland noch als Zufluchtsort für Verfolgte.

Einen solchen Ruf kann sich der Exportweltmeister nicht leisten. Auch Überflugrechte beschränken wir natürlich nur entsprechend der geltenden Regeln, ach nein, das waren ja nicht wir, sondern die andern. Uff.

Whistleblower, aller Länder, hört das Signal. Lasst es sein. Duckt Euch. Vergesst das Geschwätz von Transparenz, Verantwortung, persönlichem Mut. Überbringer schlechter Nachrichten werden geköpft, Überbringer von Geheimnissen in die USA überstellt. Macht es nicht richtig, dann macht Ihr auch nichts falsch. Es muss ja nicht jeder alles wissen.

Mehr zum Thema: Das Internet ist kaputt und Freihandel in der Vertrauenskrise

Fotos: © Reuters; Trevor Good

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