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Thema Freihandel in der Vertrauenskrise

Der NSA-Skandal überschattet die anstehende Gespräche zwischen der EU und der USA über einen gemeinsamen Wirtschaftsraum. Für die EU-Kommission ist klar: Beim Datenschutz gibt es keine Kompromisse.
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Es sollte ein großes Fest der transatlantischen Harmonie werden. Nun beginnen die Gespräche der EU und der USA über eine Freihandelszone im Dissens. Die Enthüllungen über die Spionageaktivitäten des US-Geheimdienstes NSA haben vielen in Europa den Appetit auf das Projekt verdorben. Führende Politiker – von Frankreichs Präsident Francois Hollande bis zu den europäischen Grünen – dachten laut darüber nach, die erste Gesprächsrunde in letzter Minute abzusagen.

Am Ende stellte die Europäische Kommission am Dienstag klar: Es wird verhandelt. Die angeblichen Spionageangriffe auf die EU, ihre Bürger und ihre Mitgliedstaaten sollten den lange geplanten Auftakt der Handelsgespräche nicht beeinträchtigen. Die Kommission mahnte allerdings, dass die Diskussionen nur auf der Basis von „Vertrauen, Transparenz und Klarheit“ zum Erfolg führen könnten.

Das Thema Datenschutz wird in allen Köpfen sein, wenn die Unterhändler sich ab kommenden Montag in Washington treffen – auch wenn es offiziell keine Verhandlungsgruppe gibt, die sich damit beschäftigt.

Keine Aufweichung des europäischen Datenschutzes

Der Schutz der Privatsphäre war schon vor dem aktuellen Skandal eines der großen transatlantischen Reizthemen. Amerikanische Technologieunternehmen und Finanzinstitute fordern den Abbau von Handelshindernissen im „grenzüberschreitenden Datenverkehr“. Die geplante Verschärfung der Europäischen Datenschutzrichtlinie ist ihnen ein Dorn im Auge.

Die EU hat dagegen kein Interesse, ihre strengen Regeln in den Handelsgesprächen zur Disposition zu stellen – und will dies nach dem NSA-Skandal erst Recht nicht tun. Denn nun haben die Europäer das Gefühl, dass ihnen nicht nur Google und Facebook, sondern auch die amerikanische Regierung hinterherstellen.

„Wir werden in diesem Abkommen nicht über Datenschutz verhandeln“, ließ das EU-Verhandlungsteam vergangene Woche via Twitter wissen. Das war zu einem Zeitpunkt als noch nicht bekannt war, dass die NSA angeblich Büros von EU-Behörden in Brüssel sowie der Delegation in Washington ausgehorcht hatte.

Auch wenn beide Seiten das Reizthema Datenschutz ausklammern, fürchten Skeptiker, dass die Spionagevorwürfe gegen die US-Regierung die Gespräche belasten werden. „Wir können nicht über einen transatlantischen Marktplatz verhandeln, wenn es den geringsten Verdacht gibt, dass unsere Partner die Büros der europäischen Verhandlungsführer abhorchen“, warnte EU-Justizkommissarin Viviane Reding am Sonntag.

Freihandel in beiderseitigem Interesse

Unter den Interessengruppen, die für das Projekt kämpfen, macht sich Sorge breit. Der Direktor des Trans-Atlantic Business Council Tim Bennett glaubt, dass alle Beteiligten sich der Dringlichkeit des Projektes bewusst seien. Eine Liberalisierung könnte auf beiden Seiten des Atlantiks Jobs und Wachstum schaffen, ist das am meisten genannte Argument für ein „Transatlantic Trade and Investment Agreement“ (TTIP), das den größten Wirtschaftsraum der Welt schaffen würde.

Nach den Berechnungen einer Studie im Auftrag der Europäischen Kommission würde das TTIP-Abkommen der EU jährlich ein zusätzliches Wachstum im Wert von 119 Mrd. Euro bescheren, das Plus für die USA läge bei 95 Mrd. Euro.

Da die Zölle zwischen der EU und den USA bereits niedrig sind, wird der Fokus auf dem Abbau nicht-tarifärer Hindernisse liegen, die den Unternehmen hohe Kosten aufbürden. Außerdem wollen beide Seiten gemeinsame Normen für den globalen Handel entwickeln – von Standards für neue Technologien bis hin zu Regeln für den Schutz geistigen Eigentums.

Bennett hofft, dass die monatelange detaillierte Vorarbeit für die Gespräche nicht umsonst war. Egal, ob es um die Harmonisierung technischer Standards in der Autoindustrie gehe oder um die gegenseitige Anerkennung pharmazeutischer Tests: „Die Unterhändler sind so gut vorbereitet, dass sie schon in der ersten Runde substanziell verhandeln und Positionspapiere austauschen können“, glaubt er. Er fügt allerdings hinzu: „Ich hoffe, dass die jüngsten Nachrichten das bereits aufgebaute Vertrauen nicht beschädigt haben.“

Sabine Muscat schreibt aus Washington über die US-Politik und das transatlantische Verhältnis. Sie war früher Washington-Korrespondentin der "Financial Times Deutschland".

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