Die erste Hürde ist genommen. Nach einem Kompromiss in letzter Minute steht das Verhandlungsmandat der Europäischen Kommission, rechtzeitig vor dem G8-Gipfel in Nordirland und dem Deutschland-Besuch des US-Präsidenten. Barack Obama kann kommen – und angeblich will er in seiner Rede vor dem Brandenburger Tor neue Impulse für die transatlantischen Beziehungen setzen.
Zu diesen Impulsen zählt auch das Projekt mit dem sperrigen Namen "Transatlantic Trade and Investment Partnership" und der ulkig klingenden Abkürzung TTIP. Es soll Wachstum und Effizienz auf beiden Seiten des Atlantiks steigern – etwa durch eine Harmonisierung der Sicherheitsstandards im Automobilsektor.
Aber die eifrigsten Befürworter – darunter die Bundesregierung von Kanzlerin Angela Merkel – haben weit mehr im Sinn als einen Handelsvertrag: Europäer und Amerikaner sollen sich in dem Abkommen ihrer gemeinsamen Werte versichern. Vereint in einem Wirtschaftsraum der westlichen Demokratien wollen sie verhindern, dass weniger demokratische Konkurrenten (China!) künftig die Standards diktieren.
Konflikt über Datenschutz
Das sind hehre Ziele. Wie kompatibel europäische und amerikanische Werte am Ende tatsächlich sind – und wo sie sich unterscheiden - wird sich allerdings erst in den Verhandlungen zeigen. Denn bei Themen wie öffentlicher Gesundheit, Datenschutz oder Umweltregulierung stößt die Einigkeit schnell an ihre Grenzen.
Apropos Datenschutz: Es ist noch gar nicht abzusehen, inwieweit der aktuelle Skandal um die globalen Abhöraktivitäten des US-Geheimdienstes NSA die transatlantischen Handelsgespräche belasten wird. Klar ist nur: Die USA werden bei diesem Thema in der Defensive sein.
Es ist eine Sache, ob das Abkommen strenge Transparenzregeln für Staatskonzerne postuliert. Eine solche Passage hätte in erster Linie das Ziel, Modellcharakter für andere Länder (China!) zu entfalten, in denen der Staatssektor dominiert.
Eine andere Sache ist es aber, wenn amerikanische Farmer auf die Öffnung des europäischen Marktes für hormonbehandeltes Rindfleisch und genmanipulierte Lebensmittel dringen oder wenn die EU Kohlendioxidabgaben für Fluglinien beschließt und Frankreich seine Medienkultur vor zu viel Hollywood schützen will.
Die Grenzen zwischen echten Handelsbarrieren und moralisch begründetem Schutz von Bürgern oder Umwelt verschwimmen bei diesen Themen. In Washington (und auch in London und Berlin) mag man schmunzeln über die sturen Franzosen, die mit ihrer Forderung, den Mediensektor aus den Gesprächen auszuschließen, fast das europäische Mandat zu Fall gebracht hätten. Aber es gibt nun mal nicht wenige Franzosen, die ihre eigene Sprache und Kultur durch Hollywood bedroht sehen.
Es mag keine gesicherten Beweise dafür geben, dass Wachstumshormone im Rindfleisch oder in Chlorwasser gereinigtes Hühnerfleisch dem Verbraucher schaden. Dies betonen US-Produzenten und amerikanische Verhandlungsführer immer wieder, wenn es um diese Fragen geht. Dennoch ist vielen Europäern unwohl bei dem Gedanken an „Hormon-Rinder“ und „Chlor-Hühner“ - frühere transatlantische Handelsgespräche sind regelmäßig an ihnen gescheitert.
"Es sind echte Sorgen"
"Die Sorgen der Menschen basieren nicht auf Protektionismus", sagte Bundeswirtschaftsminister Phillip Rösler vor kurzem bei einem Besuch in Washington. Der FDP-Politiker ist ein erklärter Freund offener Märkte und würde persönlich "hier wie dort ein halbes Hähnchen essen", wie er erklärte. Aber er gab sich realistisch, was die Sorgen seiner Mitbürger angeht: "Es sind echte Sorgen, und sie können zum Scheitern solcher Abkommen führen."
So sehr die Industrie auf beiden Seiten auch drängt – und so viele Politiker sich auch gerne mit dem politischen Erfolg schmücken würden: Es wäre ein sträflicher Fehler, die öffentliche Meinung außer Acht zu lassen. Die Europäer haben ihre Lektion auf dem harten Weg gelernt. Im letzten Jahr brachte eine öffentliche Kampagne für Freiheit im Internet in Brüssel das internationale Acta-Abkommen zu Fall, das den Schutz geistigen Eigentums auch online stärken sollte.
Vielleicht böte das TTIP ja eine Chance zu einer echten transatlantischen Debatte über all die Fragen, die Menschen hier wie dort unmittelbar im Alltag betreffen und bewegen: von Lebensmittelsicherheit und Umweltschutz bis zur Abwägung zwischen nationaler Sicherheit und dem Schutz der Privatsphäre.
Dazu aber dürfen die Verhandlungen nicht hinter verschlossenen Türen geführt werden, sondern unter möglichst breiter Beteiligung von Parlamenten und Bürgern. Damit würde immerhin ein Wert betont, für den sich westliche Demokratien stets gerne rühmen: Transparenz.
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