Herr Steinbach, Sie verklagen gerade als Privatperson das mächtigste Ölkartell der Welt, die Opec – und zwar, weil sie ist, wozu sie einst gegründet wurde: Ein Kartell. Die Opec hat das doch nie verheimlicht. Wie kam Ihnen also jetzt die Idee, vor dem Landgericht Berlin zu klagen?
ARMIN STEINBACH: Das Thema beschäftigt mich schon eine ganze Weile. Ich habe mir bereits 2008 als Rechtsanwalt bei einer amerikanischen Großkanzlei die Frage gestellt, wie man etwas gegen dieses Kartell unternehmen kann. Damals habe ich begonnen, eine Klageschrift aufzusetzen und vor zehn Jahren zum ersten Mal eine Klage gegen die Opec erhoben.
Und was ist daraus geworden?
Zunächst: Damals war ich Referent im Wirtschaftsministerium. Das ist wichtig für den weiteren Weg. Das Landgericht Berlin hat die Klage nämlich zunächst angenommen und der Opec zugestellt. Die Opec hat dann beim Auswärtigen Amt angerufen und gefragt, warum denn ein deutscher Beamter die Opec verklagt. Das könne doch nicht sein. Nach einigen hin und her habe ich die Klage dann zurückgezogen.
Warum?
Mir wurde damals kein formaler Druck von meinem Dienstherren gemacht. Das wäre ja noch schöner gewesen. Es wurde aber deutlich, dass ich möglicherweise einen Reputationsschaden für meinen Dienstherren verursache.
Seit 2021 sind Sie Wirtschaftsprofessor an der HEC Paris, befinden sich also nicht mehr im Staatsdienst. War das der Moment, wo Sie wieder an die Klage gedacht haben?
Ja, genau – außerdem habe ich meine Zulassung als Rechtsanwalt wiedererlangt. Deshalb habe ich meine Klage von damals vor genau dem selben Gericht wieder erhoben. Auch dieses Mal hat das Gericht entschieden, die Klage zuzulassen.
Worauf fußt denn ihre Klage?
Ich bin der Meinung, dass das Kartell überhöhte Preise durchsetzt und dadurch enorm große Schäden für die Verbraucherinnen und Verbraucher erzeugt. Das ist angesichts des Ukrainekriegs und der stark gestiegenen Energiepreise besonders dramatisch – wenn man zudem bedenkt, dass die Opec sich zuletzt gegen eine höhere Ölforderung ausgesprochen hat. Damit heizt sie die Preise weiter an, was ohne diese Kartellpraxissicher nicht möglich wäre.
Die Streitsumme ist interessant. Sie verklagen die Opec auf genau 50 Euro. Wie kommt diese Summe zustande?
Ich mache meinen Schaden geltend, der mir durch den Einkauf von Benzin und Heizöl entstanden ist. Natürlich ist der Schaden in der Realität deutlich höher. Die 50 Euro kommen aus zwei Gründen zustande: Zum einen geht es mir im Kern um die Sache. Ich will keine Gewinne machen, sondern gegen das Kartell vorgehen. Zum anderen muss ich damit rechnen, dass die Opec und die dahinterstehenden Unternehmen keine Kosten scheuen werden, und die teuersten Anwälte nehmen und kostspielige Gutachten in Auftrag geben. Ich sehe mich also einem hohen Kostenrisiko gegenüber. Indem ich den Streitwert gering halte, reduziere ich das Risiko, dass die Unternehmen enorme Kosten auf mich abwälzen können.
Sie haben doch bestimmt viele Unterstützer für eine solche Klage …
Vielleicht, aber ich betreibe diese Klage ganz allein und habe keine finanziellen Unterstützer. Ich mache das alles mit meinem Privatvermögen.
Wie sieht der normale Prozessweg in diesem Fall aus?
Das Landgericht Berlin ist die erste Instanz für mich. Bis dort eine Entscheidung getroffen ist, können bei Kartellsachen auch mal Jahre vergehen. Wenn eine Entscheidung getroffen ist, kann Berufung beim Oberlandesgericht eingelegt werden. Nach dieser Entscheidung besteht nur noch die Möglichkeit der Revision durch den Bundesgerichtshof.
Ist das nicht eine Frage, die europarechtlich geklärt werden müsste?
Ja, im Kern geht es beim Kartellrecht um europäisches Recht. Jede Instanz hat daher auch die Möglichkeit, den Europäischen Gerichtshof in Luxemburg mit einzubinden. Wenn sich ein deutsches Gericht beispielsweise nicht sicher ist, wie es europäisches Recht auszulegen hat, kann es eine Frage an den Europäischen Gerichtshof stellen. Da würde es dann eine Vorabentscheidung geben, die zurück an das deutsche Gericht gegeben würde.
Was macht es eigentlich für einen Unterschied, wenn die Opec auch juristisch als Kartell bezeichnet wird?
Daraus würden sich zwei Konsequenzen ergeben: Zum einen könnte dann jeder Verbraucher die Opec und die dahinterstehenden Unternehmen auf Schadenersatz verklagen. Die Folge wäre eine Klagewelle mit milliardenschweren Streitwerten. Das zweite wäre, dass sich die Europäische Kommission mit der Opec beschäftigen muss. Eigentlich muss sie Kartelle unterbinden oder zumindest zügeln. Das tut sie bislang aber bei der Opec nicht, weil sie sich politisch nicht die Finger verbrennen will.
Kann das wirklich zu einem Fall der Opec führen?
Wenn die Opec mit einer milliardenschweren Klagewelle konfrontiert ist, kann ich mir nicht vorstellen, dass das Kartell aufrecht gehalten werden kann. Die Opec würde permanent weiter Schaden erzeugen, den sie ausgleichen müsste.
Die Opec besteht doch aus einzelnen Staaten und deren Staatsunternehmen: Wer müsste den Schaden denn überhaupt bezahlen, wenn ich nicht einmal weiß, aus welchem Land mein gerade getanktes Benzin kommt?
Das ist eine sehr wichtige Frage. Meine Klagegegner sind sowohl die Opec mit Sitz in Wien als auch gesamtschuldnerisch die Ölunternehmen der OPEC-Mitgliedsstaaten. Die 50 Euro könnte ich mir im Erfolgsfall entweder von der Opec oder den Unternehmen holen. Dazu muss man wissen, dass die Opec-Staaten Unternehmen haben, die normalerweise zu 100 Prozent in staatlicher Hand sind – wie zum Beispiel Saudi Arabien mit Saudi Aramco, dem wertvollsten Unternehmen der Welt. Dabei ist es natürlich leichter gegen ein Unternehmen zu vollstrecken. Und dass Saudi-Arabien nicht zulässt, dass dort jemand gegen Saudi-Aramco vollstreckt, ist auch klar. Das heißt, ich müsste mir einen Vermögenswert dieses Unternehmens in Europa suchen, zum Beispiel eine Raffinerie.
Der Staat könnte die Gewinne der Mineralölkonzerne auch abschöpfen – das ist jedenfalls eine Idee, die immer mal wieder diskutiert wurde. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck will auch an das Kartellrecht ran, und es „mit Klauen und Zähnen“ ausstatten. Es soll zum Beispiel einfacher werden, Kartellrechtsverstöße nachzuweisen. Würde Ihre Klage im Erfolgsfall diesen Kartellrechtsverstoß nachweisen, so dass Gewinne bald abgeschöpft werden könnten? Das wäre doch auch eine elegante Möglichkeit …
Ja und nein. Es zielt in eine ähnliche Richtung, aber über unterschiedliche Kanäle. Beim Vorhaben von Herrn Habeck geht es um die Zugriffsmöglichkeiten der nationalen Kartellbehörde auf die Mineralölunternehmen, die den Tankstellenpreis bestimmen – also wie das Bundeskartellamt ein Kartell auf dieser Ebene nachweisen kann. Bei mir geht es um die gerichtliche Feststellung eines Kartells auf Ebene des Rohölmarktes, also auf der vorgelagerten Stufe. Es läuft aber in beiden Fällen darauf hinaus, die Verbraucher dadurch zu entlasten, dass Kartellpraktiken unterbunden werden.
Ist Ihnen das Bundeskartellamt bei der Verfolgung nicht energisch genug?
Ich würde keiner deutschen Behörde den schwarzen Peter zuschieben. Der Fehler liegt beim bewussten Wegschauen der Europäischen Kommission.
Mit einem Streit könnte die Europäische Kommission doch auch die Ölversorgung gefährden. Ihre Klage könnte im Erfolgsfall das Gleiche auslösen, meinen Rechtsexperten. Was sagen Sie dazu?
Man kann spekulieren, wie die Opec reagieren wird. Ich will gar nicht ausschließen, dass sie zu Sanktionen greifen könnte. Und trotzdem meine ich, dass der Status quo nicht die Lösung sein kann. Wir brauchen eine Diskussion auf höchster Ebene, ob wir uns so ein Kartell leisten können. Außerdem wäre es im Sinne des Klimaschutzes wichtig.
Das müssen Sie erklären …
Mittel- bis langfristig haben die Opec-Staaten gerade keinen Anreiz von fossilen auf erneuerbare Energien umzustellen. Sie können ihre Kartellgewinne einfach weiter einfahren. Und solange sie das können, solange wir das Kartell nicht brechen, werden sie den Ausstieg aus den Fossilen nicht entschieden angehen.
Die Opec zu brechen wird praktisch schwierig werden. Was halten Sie denn von der Idee, ein Nachfragekartell zu bilden – also eine Art Gegengewicht?
Ich verstehe den Wunsch, aber es würde mehr Probleme als Lösungen schaffen. Zum einen geht es das eigentliche Problem nicht an – und das ist die Angebotsknappheit. Und zweitens würde es wohl zu unerwünschten Ausweichreaktionen kommen – dass die Opec-Staaten einfach in andere Länder verkaufen, die mehr zahlen.
Viele Transportwege lassen sich nicht von heute auf morgen umstellen. Wird dieser zweite Effekt nicht also überschätzt?
Es stimmt, dass die Transportinfrastruktur teilweise rigide ist. Aber schauen wir uns zum Beispiel Flüssiggas an, das über große Tanker überall in der Welt verteilt wird – da hätte ein Nachfragekartell ziemlich unmittelbare Folgen. Wir sollten das definitiv nicht unterschätzen.
Abschließend: Wenn Sie einen Wunsch an das Kartellrecht hätten. Was würden Sie reformieren?
Ich habe da nicht einmal juristische Wünsche. Was wir brauchen, ist eine unpolitische Europäische Kommission – in dem Sinne unpolitisch, dass sie dem bestehenden Recht zur Durchsetzung verhilft und ihr Mandat ernst nimmt, Schaden vom Verbraucher abzuwenden.