Die deutsche Wirtschaft wächst, wenn auch nur ein wenig. Die Inflation sinkt, wenn auch nur langsam. Niemand musste im Winter frieren, dem Berliner Flughafen ging nicht das Kerosin aus, der Verkehr in Ostdeutschland brach nicht zusammen, weil Benzin aus der Raffinerie in Schwedt fehlte. BASF musste die Produktion im Stammwerk Ludwigshafen nicht anhalten. Die Massenabwanderung der deutschen Industrie fand nicht statt. Es gibt zwar viele Probleme im Gefolge des russischen Kriegs gegen die Ukraine, aber nichts von den vielen Unkenrufen ist eingetroffen. Widerlegt sind die Krawallpolitiker der AfD und der sächsische Ministerpräsident und CDU-Vize Michael Kretschmer, BASF-Chef Martin Brudermüller und die anderen Lautsprecher der deutschen Industrie, viele eilige Kommentatoren in den Medien auch.
Wer sich unter den Unkenrufern ein bisschen intellektuelle Redlichkeit bewahrt hat, müsste eigentlich ein kleines Wort der Selbstkritik fallen lassen. Stattdessen aber unken die üblichen Verdächtigen jetzt: „Ja, aber was da noch an Langzeitfolgen auf uns zukommt!“ Das ist natürlich nicht ganz falsch, die hohen Energiepreise nach dem Abschied vom billigen Erdgas drücken die deutsche Industrie. Gleichzeitig locken die USA mit Sonderkonditionen aller Art und niedrigen Energiekosten Investitionen aus Deutschland an. Manches, was sich früher in der deutschen Industrie rechnete, rechnet sich jetzt kaum noch. In ein paar Jahren sieht die Wirtschaftsstruktur anders aus als heute. So weit, so schlecht.
Deutsche Marktwirtschaft bewährt sich
Aber das ändert nichts daran, dass sich die deutsche Marktwirtschaft in der Krise nach dem Überfall auf die Ukraine bewährt hat. Wieder einmal hat sich das System, an dem es ständig so viel zu kritisieren gibt, durch seine Flexibilität bewährt. Es ist fähig, auf externe Schocks durch eine Fülle großer und kleiner Anpassungen zu reagieren. Viele haben dazu beigetragen: Die Unternehmen der Energiewirtschaft, die industriellen und privaten Verbraucher, die Politiker. Preisanreize wirkten, soziale Folgen konnte man zum Teil abfedern, zentrale Befehle brauchte es dazu meist nicht.
Ganze Generationen von Ökonomen werden sich noch mit der Frage befassen, wie sich ein Land wie Deutschland so schnell so weit aus der fast vollständigen Abhängigkeit von Russland befreien konnte. Und wenn in Russland selbst in ferner Zukunft eine freie Diskussion über die wirtschaftlichen Folgen des Kriegs in Gang kommen sollte, dann werden sich dort viele fragen: Wie konnte Wladimir Putin die Anpassungsfähigkeit (und die Entschlossenheit) des Westens nur so stark unterschätzen?
Wurden die Folgen des Kriegs und der anschließenden Loslösung von Russland in den ersten Monaten in fast grotesker Weise überdramatisiert, so wollten viele Skeptiker sofort wissen, dass Putin der ökonomische Gewinner des Kriegs sei und die westlichen Sanktionen scheiterten. Die Realität sieht anders aus, auch wenn manche Maßnahmen nur mit erheblicher Zeitverzögerung wirken. Inzwischen können wir sagen: Wirtschaftlich hat Putin den Krieg bereits verloren und politisch sowieso. Nun müssen wir der Ukraine helfen, ihn auch militärisch zu besiegen.