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Bernd Ziesemer Die Mühen des Rückzugs aus Russland

Bernd Ziesemer
Bernd Ziesemer
© Martin Kress
Offiziell beenden immer mehr deutsche Konzerne ihre Geschäfte im Reich Putins. Aber Hintertüren bleiben offen

Im Februar lieferten deutsche Konzerne Waren im Wert von rund 800 Mio. Euro nach Russland – 60 Prozent weniger als im gleichen Monat des Vorjahres als Wladimir Putins Truppen in der Ukraine einfielen. Aber immer noch ein gehöriger Batzen in der deutschen Ausfuhrstatistik. Viele deutsche Unternehmen sind nach wie vor in Russland sehr aktiv.

Grob gesagt teilen sie sich in vier Gruppen: Erstens Hersteller von medizinischen Geräten und Medikamenten wie Stada oder Fresenius, die sich offiziell aus rein ethischen Gründen gegen einen Rückzug sperren, die russischen Umsätze aber auch ganz gern mitnehmen. Zweitens Unternehmen wie die Handelskette Globus oder der Süßwarenhersteller Storck, denen Putins Kriegsverbrechen völlig egal sind, solange die Gewinne stimmen. Drittens Konzerne wie der Gipsplattenhersteller Knauf, die zwar ihre Neuinvestitionen in Russland eingestellt haben, aber so bald wie irgend möglich zum Business as usual zurück möchten. Und viertens schließlich die Firmen, die gern aus Russland raus möchten, aber die hohen Kosten und großen Mühen des Abschieds scheuen.

Zur letzteren Gruppe zählen sich die deutschen Autohersteller und ihre vielen kleinen und großen Zulieferer. Sie hielten nach dem russischen Überfall ihre Bänder schnell an und verkündeten schon vor Monaten ihre Absicht, sich ganz aus dem Land zurückzuziehen. Vollzug konnten sie aber bisher nicht melden. Wenn stimmt, was die Frankfurter Allgemeine Zeitung am letzten Freitag meldete, rückt das Enddatum jetzt jedoch nahe. Allerdings halten sich so gut wie alle Unternehmen der Branche eine Hintertür offen: Sie können ihre Fabriken und ihre Vertriebszentren in einigen Jahren zurückkaufen, wenn sie wollen. Den sehr lukrativen Markt der vergangenen Jahre wollen sie nicht ganz aufgeben, man kann das betriebswirtschaftlich gut verstehen.

Russland droht das Chaos

Aber wie soll ein Szenario aussehen, dass einen Neustart in Russland ermöglicht? Solange der Krieg tobt, gibt es kein Zurück. Und solange Putin Russland regiert, wohl auch nicht. Nach einem Sturz Putins sollte auch niemand mit Zuständen rechnen, die Bedingungen für eine Wiederaufnahme des Geschäfts ermöglichen. Alles spricht eher dafür, dass Russland erst einmal ins Chaos stürzt, wenn der Diktator kippt. Und neue blutige Kämpfe um die Verteilung des Reichtums ausbrechen wie in den frühen 90er-Jahren. Das Szenario stabiler Rahmenbedingungen für Investoren, gar eines demokratischen Russlands mit einer funktionierenden Marktwirtschaft, ist so wahrscheinlich wie alkoholfreier Wodka in Moskauer Kneipen.

Anders als im Fall Chinas ist so gut wie kein deutsches Industrieunternehmen auf den Absatzmarkt Russland angewiesen. Die Autohersteller schon gar nicht. Putin hat sich auch in dieser Hinsicht geirrt. Am schwersten aber wiegt sein Irrtum auf der russischen Exportseite: Die Ausfuhren nach Deutschland lagen im Februar gut 90 Prozent unter dem Wert im Monat des Überfalls auf die Ukraine. Nur noch 300 Mio. Euro Einnahmen konnte sich Putin aus Deutschland gutschreiben – ein historisch einmaliger Einbruch in den Handelsbeziehungen zweier Länder, die früher als Beispiel für enge Partnerschaft galten. Deutschlands Exporteure sollten sich die deutschen Importeure zum Vorbild nehmen – und endgültig Schluss mit Russland machen.

Bernd Ziesemer

ist Capital-Kolumnist. Der Wirtschaftsjournalist war von 2002 bis 2010 Chefredakteur des Handelsblattes. Anschließend war er bis 2014 Geschäftsführer der Corporate-Publishing-Sparte des Verlags Hoffmann und Campe. Ziesemers Kolumne erscheint regelmäßig auf Capital.de. Hier können Sie ihm auf Twitter folgen.

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