Anzeige
Anzeige

Ukrainekrieg Kremlgegner Chodorkowski: „Es gibt keinen guten Ausgang für Putin“

Michail Chodorkowski
Der russische Kremlgegner und frühere Oligarch Michail Chodorkowski
© Sven Hoppe / picture alliance/dpa
Der Ex-Oligarch und Kremlgegner Michail Chodorkowski glaubt an ein Ende des Regimes von Wladimir Putin in Moskau. Die Frage sei nur, wann es dazu komme

Russlands Präsident Wladimir Putin hat viele Feinde, einige sitzen in Präsidentenzimmern, viele in Schützengräben und eine ganze Reihe auch im Gefängnis. Sein wohl ältester, erfahrenster und einst auch mächtigster Gegner aber besuchte in diesen Tagen Berlin: Michail Chodorkowski, früherer Chef des russischen Ölkonzerns Yukos, Ex-Oligarch, Ex-Häftling und lange Zeit reichster Mann Russlands. Seit zehn Jahren bereits lebt Chodorkowski außerhalb seines Heimatlandes, eine Rückkehr ist seit dem russischen Überfall auf die Ukraine noch undenkbarer geworden als zuvor. Der einstige Magnat hat zehn Jahre im Gefängnis gesessen, es ist eine Erfahrung, die reicht für ein Leben.

Was also denkt dieser Mann, der – deutlich fülliger geworden – an diesem sonnigen Apriltag im kleinen Besprechungsraum des Berliner Zentrums Liberale Moderne Platz nimmt? Welche Zukunft erwartet er für sein Land, für die Ukraine, für Putin? Ein kurzes Lächeln, ein leises „Hallo“, und dann macht Chodorkowski eine einfache Rechnung auf: Das Regime in Moskau hält die eigenen Bürger derzeit mit Sozialleistungen, Rüstungsaufträgen für Provinzbetriebe und Geldgeschenken bei Laune. „Für dieses Almosen-Regime reicht das Geld noch ungefähr zwei Jahre“, sagt der einstige Unternehmer. „Nach historischen Erfahrungen wird auch das Volk nach etwa zwei Jahren kriegsmüde werden. Und davon ist bereits ein Jahr rum.“

Und dann? „Putin muss irgendwie den Krieg beenden, oder es wird für ihn im Land riskant werden“, sagt Chodorkowski. Ein Kriegsende ohne erkennbaren Sieg aber werde ebenso zum Problem für den russischen Staatschef. „Es gibt keinen guten Ausgang für Putin.“ Die Sanktionen der USA und der EU hätten dazu beigetragen, dass der Einfluss des Kremls in Deutschland stark zurückgegangen sei, die Einnahmen aus dem Energiegeschäft abschmölzen und immer weniger technische Vorprodukte ins Land kämen. „Natürlich funktionieren die Sanktionen“, sagt Chodorkowski mit Blick auf die europäische Debatte.

Waffenhilfe für Ukraine zu zögerlich

Nun könnte man das alles als verhalten optimistischen Blick deuten. Allerdings kennt der Kremlgegner, der immer noch viele Kontakte in Moskau hat, auch die aktuellen Umfragen in Russland und kann die Stimmung in der Bevölkerung einschätzen. In seiner Wahlheimat London betreiben er und sein Team eine ganze Reihe von Projekten, in denen Informationen über die Lage in Russland gesammelt werden. „Die Unterstützung für den Krieg nimmt derzeit eher zu“, sagt er. „Die Menschen sind sehr empfänglich für die Narrative der Propaganda. Es sei naiv zu glauben, dass sich die Bevölkerung mit friedlichen Mitteln gegen den Kreml erheben könne. „Die Situation ist nicht stabil“, sagt Chodorkowski. „Aber endgültig destabilisieren würde sie sich erst durch eine militärische Niederlage oder den Tod Putins.“

Ein Problem aus seiner Sicht: Der Westen sei zu zögerlich bei der Waffenhilfe für die Ukraine. „Wenn die Waffen, die heute bereitgestellt werden, schon zu Beginn des Krieges da gewesen wären, dann wäre das Ganze schon längst vorbei.“ Hinzu komme, dass die Einnahmen aus dem Rohstoffverkäufen zwar zurückgingen, aber eben auch nicht komplett auf null gegangen seien.

Der einstige Ölunternehmer outet sich als Fan der Idee, sich von Kohlenwasserstoffen endgültig zu verabschieden, vor allem aus politischen Gründen. „Ich bin ein großer Freund der Energiewende“, sagt Chodorkowski – weil nur diese den oft diktatorisch regierten Lieferländern den Boden unter den Füßen wegziehe. „Da geht es nicht nur um die Beziehung zu Putin, sondern ganz allgemein um die Beziehung zwischen Demokratien und Autokratien.“

Der ehemalige Yukos-Chef als entschiedener Gegner von Öl und Gas: Es ist eine ungewöhnliche Volte, die dieser Mann mit der randlosen Brille in den vergangenen 20 Jahren hingelegt hat. Aber er ist ja auch nicht der einzige, dessen Blick auf die Welt sich geändert hat. Auch Chodorkowski hat eine Zeitenwende erlebt.

Mehr zum Thema

Neueste Artikel

VG-Wort Pixel