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Timo Pache Die wahren Sorgen hinter der Euro-Schwäche

Ein 5-Euro-Schein und ein 5-Dollar-Schein
Zum ersten Mal seit 20 Jahren ist ein Euro wieder genauso viel wert wie ein Dollar
© IMAGO / TheNews2
Die Abwertung des Euro ist ärgerlich für alle, die in diesen Wochen Urlaub in den USA machen. Die Probleme Europas sind jedoch andere

Wenn etwas zum ersten Mal seit 20, 30 oder 40 Jahren wieder passiert, dann ist man ja schnell mit großen Vergleichen und Begriffen dabei: Man erlebe eine „Zäsur“, heißt es dann, einen „Paradigmenwechsel“, und in diesem Frühjahr besonders beliebt: eine „Zeitenwende“. Oder, wie es Horst von Buttlar in der vergangenen Woche an dieser Stelle ausdrückte: Wir haben gerade ganz schön oft „die größte Krise seit XY“.

So war es auch diese Woche, als der Wert eines Euro auf exakt einen US-Dollar fiel. Umgehend tönte es, nun werde der Euro zur „Weichwährung“, der ganze Währungsraum stehe vor der „Liraisierung“ – ganz so wie es einst Italien machte, um mit einer billigen Lira irgendwie wettbewerbsfähig zu bleiben. Da war es wieder, das Motiv vom bitteren Abstieg Deutschlands zu einer verlotterten Quatsch-Ökonomie, noch gut bekannt aus den Jahren der Euro-Krise 2010 bis 2015.

Dabei erleben wir im ewigen Streit um die Stabilität des Euro eher eine Inflation dramatischer Sprachbilder. Die eigentlichen Probleme, die sich im schwachen Euro und im starken Dollar spiegeln, liegen woanders (was es jedoch leider nicht besser macht).

Nicht das erste Mal

Die erste wichtige Einordnung zum Außenwert des Euro lieferten die Untergangspropheten indirekt gleich selbst: Es ist eben nicht das erste Mal, dass der Euro auf den Wert eines Dollar abrutscht, sondern „das erste Mal“ seit 20 Jahren. Wir erinnern uns: In den ersten Jahren nach der Einführung war der Euro so weich wie ein Stück Butter nach drei Minuten in der Juli-Sonne. Den Tiefpunkt erreichte der Wechselkurs mit gerade einmal 82 US-Cent für einen Euro im Herbst 2002. Ich erinnere mich aber auch noch sehr gerne an einen längeren Aufenthalt in den USA keine sechs Jahre später: Damals stand der Euro im Sommer 2008 bei 1,60 Dollar, und als Europäer in den Staaten wusste man gar nicht, wohin mit seinem Glück.

Währungen haben nun mal keinen Wert an sich, sondern ihr Wert im Ausland schwankt und reflektiert andere wirtschaftliche Entwicklungen. Im Fall des Euro kommen gerade zwei Dinge zusammen: Da ist zum einen die inzwischen beträchtliche Kluft zwischen den Leitzinsen in den USA und der Eurozone. Auf der anderen Seite des Atlantiks liegt der Leitzins inzwischen bei 1,5 bis 1,75 Prozent, Tendenz: wahrscheinlich weiter stark steigend. Hier dagegen liegt der Leitzins nach wie vor bei null – und wenn die EZB ihn wie angekündigt in der nächsten Woche anhebt (erstmals (!) seit elf Jahren), dann wird er dennoch auf absehbare Zeit weit unterhalb der US-Zinsen liegen.

Und auch die unterschiedlichen Zinsen und die Geldpolitiken in den USA und Europa spiegeln nur ein noch größeres Problem, das sich wohl so schnell auch nicht beheben lässt: Die Wirtschaften in den beiden Währungsräumen entwickeln sich höchst unterschiedlich.

In den USA läuft die Wirtschaft heiß, getrieben von einem ungebrochenen Konsum der Amerikaner. Der Arbeitsmarkt ist abgeräumt, viele Stellen trotz deutlich höherer Löhne nicht zu besetzen – die Inflationsrate erreichte gerade den Wert von 9,1 Prozent.

Über Europa braut sich ein perfekter Sturm zusammen

Abgesehen von der hohen Inflation hat der Euroraum mit der US-Wirtschaft derzeit wenig gemein. Manager und Politiker bangen hierzulande der nächsten Woche entgegen, wenn sich zeigen wird, ob Russland seine Gaslieferungen nach der Wartung der Ostseepipeline Nord Stream 1 (vorerst?) wieder aufnimmt oder doch dauerhaft einstellt. Egal aber, wie es Russlands Kriegspräsident Wladimir Putin gefällt, die Gaspreise in Europa werden dauerhaft um ein Vielfaches höher liegen als es private Verbraucher und Unternehmen viele Jahre und Jahrzehnte gewöhnt waren. Im Vergleich zu den USA, die ihr Gas größtenteils selbst fördern, ist Gas in Europa derzeit sogar etwa zehnmal teurer.

Die großen Investoren an den Finanzmärkten, die jeden Tag Dutzende Milliarden hin- und herbewegen, sehen – womöglich besser als wir selbst –, dass Europas Unternehmen und Volkswirtschaften vor wirklich schwierigen Zeiten stehen. Regelmäßig lässt Capital die Stimmung der Entscheider in Deutschland ermitteln: Das Institut für Demoskopie in Allensbach befragt dazu alle sechs Monate Manager, Spitzenpolitiker und Top-Beamte in großen Behörden. Und selten war das Bild so finster wie in der Umfrage, die wir diese Woche veröffentlicht haben: 80 Prozent der Befragten erwarten einen lang anhaltenden Abschwung, der weit ins kommende Jahr reichen wird –ein Drittel sagt sogar, vor 2024 sei keine Besserung in Sicht (die wichtigsten Ergebnisse finden Sie hier).

So braut sich über Europa, Putin sei Dank, zusammen mit den nach wie vor gestörten Lieferketten, dem Materialmangel in wichtigen Branchen und den deutlich gestiegenen Preisen für alle möglichen Vorprodukte und Materialien ein perfekter Sturm zusammen: Die Wirtschaft steht am Rande einer tiefen Rezession, bei gleichzeitig sehr hohen Inflationsraten. Kein Wunder, dass in dieser Lage internationale Anleger ihr Geld lieber aus Europa abziehen und im Dollar-Raum investieren.

Einen Ausweg aus dieser Situation zu finden, wird nicht einfach sein. Das gilt für die Energiepolitik, die nun alles gleichzeitig hinkriegen muss (Wind, Solar, Kohle, Flüssiggas und vielleicht auch Atom), ebenso wie für die Geldpolitik. Weil die Inflation in Europa aber, anders als in den USA, vor allem aus den Energiepreisen kommt, können die europäischen Notenbanker anders vorgehen als ihre US-Kollegen – und sie müssen es auch. Gut möglich daher, dass nach den ersten Zinserhöhungen der EZB in diesem Sommer schon bald wieder Schluss sein wird: weil der Preisdruck nachlässt, oder weil der Kontinent im kommenden Winter andere Probleme hat.

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