Beiersdorf-Chef Vincent Warnery haut einen Spruch heraus, den wohl immer noch viele deutsche Unternehmer richtig finden: „Wir bewerten Länder nicht danach, ob sie eine Demokratie sind, sondern ob es ein interessanter Markt für uns ist.“ Der Satz in einem Handelsblatt-Interview soll als Begründung herhalten, warum sich der Nivea-Konzern nicht aus Russland zurückzieht und sein Geschäft in China sogar weiter ausbaut.
Doch diese Sichtweise des Franzosen geht am Kern der Sache vorbei: Im Fall von Russland und China geht es nicht darum, ob wir es mit demokratischen Staaten zu tun haben – das waren sie noch nie (von sehr kurzen Zwischenspielen in ihrer Geschichte einmal abgesehen). Seit einigen Jahren aber verfolgen sowohl Russland als auch China eine aggressive Politik nach außen, bedrohen die Sicherheit des Westens und versuchen, die Friedensordnung mit allen Mitteln umzustürzen. Wir haben es nicht mehr mit dem Russland Boris Jelzins und dem China Deng Xiaopings zu tun.
Es gibt viele Argumente für den Handel mit Ländern, die nicht unseren westlichen Demokratievorstellungen entsprechen; aber es gibt nur sehr wenige Argumente für geopolitische Blindheit. Mit Ländern, die uns unmittelbar bedrohen, kann es keinen normalen Wirtschaftsaustausch geben wie mit befreundeten oder mit neutralen Staaten. Wir müssen im Umgang mit ihnen stets abwägen, was die jeweiligen Geschäfte für unsere eigene Sicherheit bedeuten – und für das Risikoprofil unserer Unternehmen. Genau dieser Frage weichen Manager wie Warnery mit intellektuell eher dürftigen Sprüchen gern aus. Spätestens seit dem russischen Überfall auf die Ukraine und der Errichtung der säbelrasselnden Xi-Jinping-Diktatur sollte man sie damit nicht mehr durchkommen lassen im öffentlichen Diskurs.
Sieben Gründe
Die deutschen Konzerne müssen die Gefahren des Geschäfts mit Russland und China heute ganz anders bewerten als noch vor 20 Jahren. Dafür gibt es sieben Gründe:
- Erstens halten sich diese Länder immer weniger an den fest versprochenen Schutz ausländischer Direktinvestitionen.
- Zweitens können ausländische Konzerne im Konfliktfall (zum Beispiel einem Angriff der Chinesen auf Taiwan) sehr schnell ins Kreuzfeuer von westlichen Sanktionen und Gegensanktionen geraten.
- Drittens droht schon heute ein gewaltiger Rufschaden, wenn sich Unternehmen den fortlaufenden Erpressungen dieser Länder beugen (siehe VW in der Zwangsarbeiterprovinz Xinjiang).
- Viertens müssen deutsche Konzerne mit einer weiteren Verhärtung der Auseinandersetzung zwischen diesen Staaten und den USA rechnen, die auch auf uns durchschlägt (siehe Halbleiter-Krieg).
- Fünftens betreiben China und Russland ihrerseits ein De-Coupling von westlichen Unternehmen und fördern den Aufbau eigener Konkurrenzindustrien mit allen Mitteln (auch mit Technologieraub und Markenpiraterie).
- Sechstens müssen ausländische Unternehmen mit sofortiger „Bestrafung“ rechnen, wenn sie sich nicht an alle Wohlverhaltensregeln halten, die man in diesen Ländern willkürlich aufstellt.
- Und siebtens machen die erratischen politischen Entscheidungen in China und Russland (siehe Null-Covid-Strategie) jede langfristige Planung unmöglich.
Nun kann man im Fall von Beiersdorf argumentieren, ein Konsumgüterhersteller sei von all diesen Fallstricken eben nicht so betroffen wie ein Technologiekonzern. Das stimmt. Insofern ist der Entschluss der Siemens AG, verstärkt in China neue Produktionslinien in hochsensiblen Technikbereichen aufzubauen, sehr viel kritischer zu sehen als eine neue Nivea-Fabrik. Aber kein Konzern kann heute darauf verzichten, die geopolitischen Risiken stärker zu berücksichtigen als früher. Und wenn es die Unternehmen nicht selbst aus wohlverstandenem eigenen Interesse tun, muss sie der Staat ein Stück in diese Richtung schubsen: durch die Versagung von Investitions- und Exportgarantien.