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China In China kehrt die Liebe zum Betongold zurück

Ein Geschäftsviertel in Peking 
Ein Geschäftsviertel in Peking 
© IMAGO / Imaginechina-Tuchong
China wird auf dem Volkskongress am Wochenende voraussichtlich in alte Gewohnheiten zurückfallen und den Immobilienmarkt befeuern, um Wachstum zu schaffen. Doch Investitionen in noch mehr Beton werden nur die Schuldenberge weiter steigen lassen

Dieser Artikel liegt Capital.de im Zuge einer Kooperation mit dem China.Table Professional Briefing vor – zuerst veröffentlicht hatte ihn China.Table am 2.März 2023.

Noch vor einem Jahr hatte die chinesische Führung Bauunternehmer und Investoren gewarnt: „Keine Exzesse mehr.“ Staats- und Parteichef Xi Jinping höchstpersönlich maßregelte sie: „Häuser sind zum Wohnen da, nicht zum Spekulieren.“ Doch von der vermeintlichen Wende hin zu Mäßigung am Immobilienmarkt ist schon jetzt nichts mehr zu spüren. Die Regierung fällt in alte Muster zurück. Sie facht das Strohfeuer am Hausmarkt wieder an. 

Am Sonntag startet mit dem Nationalen Volkskongress nun die wirtschaftspolitische Schlüsselveranstaltung des Jahres. Der scheidende Premierminister Li Keqiang wird ein Wachstumsziel für 2023 und die Prioritäten für die Wirtschaftssteuerung bekannt geben. Von den Warnungen an die Baubranche wird dann außer bekannten Phrasen nicht mehr allzu viel übrig sein. Schon jetzt zeichnet sich ab: Um Wachstum zu schaffen, wird die kommunistische Führung in alte Gewohnheiten zurückfallen – und vor allem wieder auf die Förderung des Immobiliensektors setzen.

Dauerkrise am Immobilienmarkt 

Dabei waren Xis Warnungen berechtigt. Seit Jahren schlittert China von einer Immobilienkrise zur nächsten. Mal explodierten die Wohnungspreise, weil Investoren sie in die Höhe trieben. Dann kam es zu spektakulären Pleiten von Bauunternehmen. Insbesondere die Zahlungsunfähigkeit des Marktführers Evergrande im vergangenen Jahr sorgte für ein wahres Beben. Mit umgerechnet 300 Mrd. Euro war der Immobilienriese mit dem Bau und der Spekulation von ganzen Satellitenstädten in die Miesen geraten und hatte sich damit so hoch verschuldet wie kein anderes Unternehmen auf der Welt. 

Mit den sogenannten „drei roten Linien“, die die Regierung erließ, wollte die Regierung diesem Gebaren ein Ende setzen. Bauträger sollten strengere finanzielle Auflagen erfüllen. Und auch die Banken durften nicht mehr so großzügig Kredite vergeben, wie es lange Zeit möglich war. Doch die Immobilienverkäufe brachen daraufhin massiv ein und mit ihnen die Konjunktur. 

Die roten Linien sind vergessen 

Nun macht die Regierung einen Rückzieher und hat genau die Bestimmungen aufgeweicht, die eigentlich für mehr Disziplin im Bausektor sorgen sollten. Mehr noch: Seit Ende des vergangenen Jahres pumpt sie über die Staatsbanken wieder Milliarden in den Sektor. „Niemand schert sich mehr um die drei roten Linien“, sagt Alicia Garcia Herrero, Chefökonomin für Asien-Pazifik bei der französischen Investmentbank Natixis in Hongkong. 

Hausverkäufe seien 2022 zum schlechtesten Zeitpunkt um fast 40 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitpunkt zurückgegangen. Jetzt liege das Minus bei 5 Prozent. Die Ökonomin rechnet daher damit, dass sich der Bausektor 2023 erholen werde – und damit zunächst einmal die chinesische Wirtschaft insgesamt.

Einkaufsmanger-Index steigt kräftig 

Der Vorgang wirkt wie ein Rückfall in den Konsum einer stimulierenden Droge, nachdem die Entzugserscheinungen einsetzen. Zusammen mit dem Ende der Covid-Einschränkungen verfehlt das nicht den erwünschten Effekt. Der Einkaufsmanagerindex für die Industrie, ein wichtiges Konjunkturbarometer, stieg im Februar um 2,5 auf 52,6 Punkte.

Der Index erreichte damit den höchsten Wert seit fast 13 Jahren, wie das Statistikamt am Mittwoch zu einer monatlichen Unternehmensumfrage mitteilte. „Die Daten deuten auf einen starken Start der chinesischen Wirtschaft ins Jahr 2023 hin“, sagte Commerzbank-Ökonom Tommy Wu. Der Internationale Währungsfonds (IWF) rechnet mit einem Wirtschaftswachstum von 5,2 Prozent in diesem Jahr. 

Ökonomen sehen erhebliche Risiken 

Doch die guten Zahlen beruhen auch auf einem statistischen Effekt. Sie gehen von einer niedrigen Basis aus. Chinas Wirtschaft hatte im letzten Pandemiejahr nicht zuletzt unter den völlig überzogenen Zero-Covid-Regeln gelitten. Sie wuchs nur noch um magere drei Prozent, nach 2020 – im ersten Pandemiejahr – das geringste Wachstum seit Beginn der Wirtschaftsreformen vor 40 Jahren verzeichnet wurde. 

Der IWF sieht trotz dieser stärkeren Wachstumsprognose für das laufende Jahr denn auch weiter erhebliche Risiken für die wirtschaftliche Entwicklung. Es sei weiterhin wichtig, das Vertrauen in den Immobilienmarkt wiederherzustellen. Strukturreformen sollten mittelfristig den Immobilienmarkt gesundschrumpfen.  

Strukturreformen bleiben aus 

Doch die ernst gemeinten Reformen lassen nun noch auf sich warten. Vielmehr setzt die Führung auf ein Rezept, das in den 1990er- und Nullerjahren noch enormes Wachstum schaffte und ganz wesentlich zu dem gleichmäßigen Wachstum beigetragen hat: bauen, bauen, bauen. 

Doch inzwischen gibt es im Land so viele Autobahnen, Brücken und Hochhäuser, dass ein Festhalten an diesem Rezept zum Scheitern verurteilt ist. Denn noch mehr Beton in der Landschaft bringt in einer hochmodernen Volkswirtschaft bei weitem nicht mehr so viel wie in der Aufbauphase. 

Der Nutzen der Investitionen nimmt rapide ab. Die erste und zweite große Brücke etwa in der Fünfmillionen-Metropole Nanjing sorgte auf beiden Seiten des mächtigen Jangtse-Flusses noch für jede Menge Entwicklung und Wirtschaftswachstum. Die vierte Brücke hingegen schon sehr viel weniger. Und das lässt sich auf ganz China übertragen. Je mehr Straßen, Brücken, Wolkenkratzer und Kohlekraftwerke es im Land gibt, desto weniger Wachstum erzeugt die Regierung mit jedem eingesetzten Yuan. Nachhaltig ist diese Strategie ohnehin schon längst nicht mehr.

Kreditvolumen schwillt weiter an 

 Das Problem: Die Bautätigkeit erfolgt in der Regel auf Pump. Früher galt die Hoffnung einer Zukunft, in der die Wirtschaft weiter gewachsen und die Preise gestiegen sind, sodass sich die Kredite leicht zurückzahlen lassen. Ein „Gesundschrumpfen“ der Baubranche, wie es der IWF empfiehlt, ist nicht ohne allgemeine Verwerfungen möglich. 

Erhebliche Teile von Chinas Wirtschaft hängt am Immobiliensektor. Inklusive nachgelagerter Industrien wie die Produktion von Stahl und Zement macht sie bis zu ein Drittel der Wirtschaftskraft aus. Hinzu kommt, dass es in China an einem vertrauenswürdigen Aktienmarkt fehlt und auch das Sozialversicherungssystem wenig entwickelt ist. Viele Chines:innen kennen zur finanziellen Absicherung nichts anderes als Betongold. Dazu kommt die Verflechtung des Finanzsektors mit dem Bau.

Weil bei fallenden Preisen wiederum viele um ihr Vermögen fürchten und soziale Unruhen drohen, scheint es vordergründig für die Parteikader der naheliegendste Schritt zu sein, erneut Milliarden in die Hand zu nehmen, den Immobiliensektor entsprechend zu päppeln. 

Führung klammert am Immobiliensektor 

Hinzu kommt ein noch sehr viel gravierenderes Problem, das den Immobilienmarkt auch langfristig belasten wird: Chinas Demografie-Krise. Chinas Bevölkerung ist im vergangenen Jahr erstmals geschrumpft – und zwar fast zehn Jahre früher als die Bevölkerung prognostiziert hatte. Die Fertilitätsrate liegt nach Angaben des US-chinesischen Demografie-Experten Yi Fuxian bei unter 1,0. Pro Frau sind 2,1 Kinder erforderlich, um die Einwohnerzahl eines Landes auf gleichem Niveau zu halten. „In China wird jede Generation nur noch halb so groß sein wie die vorige“, sagt Yi. 

Dass es zu dieser Schrumpfung kommen würde – damit hatten Experten und Regierung wegen der strengen Ein-Kind-Politik zwar gerechnet. Doch nicht, dass der Kipppunkt jetzt schon eintritt. Yi führt das geringere Wirtschaftswachstum daher keineswegs nur auf die strengen Covid-Maßnahmen der letzten Jahre zurück. „Die Wirtschaft wächst langsamer, weil die Bevölkerung schrumpft.“ Und der Immobiliensektor werde von dieser Entwicklung am schlimmsten betroffen sein. 

Belastung auch für Weltwirtschaft 

Wenn bei den Beton-Investitionen einmal endgültig das Ende der Fahnenstange erreicht ist, werden das auch die deutsche und die Weltwirtschaft zu spüren bekommen. Der Anteil Chinas am globalen Bruttoinlandsprodukt liegt bei knapp 19 Prozent. China ist nicht nur die größte Exportnation, sondern mit Importen von rund 2,7 Bio. US-Dollar (im Jahr 2021) nach den USA der größte Importeur. Insbesondere für den deutschen Maschinenbau war Chinas Baubranche ein bedeutender Abnehmer. 

Die Milliarden, mit denen die chinesische Führung den Bausektor künstlich nach oben puscht, wären im ökologischen Umbau besser angelegt. Doch für so einen Politikwechsel brauchen die Kader mehr Mut. Bisher profitierten besonders die Genossen auf Provinz- und Lokalebene selbst am meisten vom Bausektor über den Verkauf von Land. Auch das ein Bereich, der dringend Strukturreformen benötigte – vor denen sich die Führung aber ziert.

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