Haben Sie während der Fußball-WM gemerkt, was passierte, wenn die Zeit ablief? Oft spielte das Verliererteam dann immer schmutziger.
Wie im Fußball ist es ein wenig auch bei den Zentralbanken. Immer wieder wird versucht, Mario Draghi zu foulen. Da waren die falschen Gerüchte, der EZB-Präsident wolle zurücktreten und als Staatspräsident nach Italien wechseln. Da war das peinliche Hin und Her um den Wirtschaftsrat der CDU und die Verleihung der Ludwig-Erhard-Gedenkmedaille. Offiziell will mit beiden Vorgängen niemand etwas zu tun haben, die Bundesbank nicht und konservative deutsche Wirtschaftspolitiker auch nicht. Und man ist geneigt, sie beim Wort zu nehmen.
Tatsache bleibt aber, dass die konservativen Romantiker der guten alten D-Mark-Zeiten und ihr Idol, Bundesbankpräsident Jens Weidmann, seit Draghis Antritt bei der EZB bei den meisten wichtigen geldpolitischen Entscheidungen auf der Verliererseite standen.
Das gilt vor allem für das sogenannte OMT-Programm. Vor zwei Jahren begann die Wende in der Euro-Krise mit einem kleinen, wirkungsvollen Satz („whatveer it takes“) von Draghi. Mit den „Outright Monetary Transactions“ kann die die EZB am Sekundärmarkt Geschäfte über kurzfristige Staatsanleihen durchführen. Sie musste bisher keinen Cent ausgeben, allein die psychologische Wirkung hat gefruchtet. Sie wird weithin als die erfolgreichste geldpolitische Maßnahme betrachtet, seit es die EZB gibt. Weidmann, viele konservative Ökonomen und Wirtschaftspolitiker waren strikt dagegen.
Zuerst wollte die Bundesbank die Inflation mit schnellem Wachstum bekämpfen
Weniger sichtbar, aber nicht weniger wichtig, war die Bremserrolle der Bundesbank im Kampf der EZB gegen die niedrige Inflation. Von Anfang an wollte die Bundesbank es bei der Inflation umgekehrt anstellen – schnelles Wachstum und nicht die Geldpolitik sollte die Inflation hochziehen. Also am besten nichts tun und warten, dass das Wachstum die Inflation ohne jegliche Intervention der Zentralbank löst.
Aber das Wachstum blieb aus, weil die niedrige Inflation die Wirtschaft mit nach unten gezogen hat. Eine niedrige Inflation steigert die Zinslast. Dadurch erhöhen Individuen und Unternehmen das Tempo, mit dem sie Schulden abbauen, da die gebremsten Preise diese immer teurer machen. Experten sagen, dass ein Schlüsselfaktor für das aktuelle Tief in den Volkswirtschaften der Eurozone ist, dass private Haushalte ihre Schulden in einem außergewöhnlich hohen Maße abbauen – zu einer Zeit, in der Europas öffentlicher Sektor spart. Diese Kombination überfordert die europäische Erholung.
Das Timing könnte für Europa nicht schlechter sein. Die rechtsextremen Anti-Euro-Parteien nehmen an Fahrt auf, wie die jüngste Europawahl gezeigt hat. Ein Rückfall in die Rezession wird ihnen zusätzlich Rückenwind verleihen. Das ist eine Katastrophe für Europa und für die Welt. Warum sollte man es Europas dunkleren Kräften bequem machen?
Dann kehrt sie von ihrer Position ab
Es stimmt natürlich, dass der Präsident der Bundesbank im Juni dem Paket der EZB zugestimmt hat, um einen Anstieg der Inflation auszulösen. Aber das war nur ein taktischer Zug, um eine mögliche künftige Lockerung in der Geldpolitik zu verhindern. Aus genau dem gleichen Grund befürwortet Weidmann jetzt auch höher Löhne in Deutschland.
In einer Umkehr ihrer bisherigen Position drängt die Bundesbank nun deutsche Gewerkschaften, in Tarifverhandlungen ehrgeiziger aufzutreten. Das Risiko einer Deflation in der Eurozone soll damit gesenkt werden.
Das ist außergewöhnlich. Weidmanns Aversion gegenüber „Quantitative Easing“ erscheint so extrem, dass er sich die keynesianischen Argumente der Kritiker Deutschlands – wie zum Beispiel des amerikanischen Finanzministeriums – zu eigen macht: Dass man mehr tun sollte, um Wachstum und Konsum durch die Bank zu steigern. Also höhere Tarifabschlüsse unterstützen.
Ich frage mich, was Angela Merkel, die Deutschlands Kritiker in diesem Punkt mutig abgewehrt hat, über Weidmanns Reputation denkt. Er scheint willens, die deutsche Wettbewerbsfähigkeit im Weltmarkt zu einem für das Wachstum heiklen Zeitpunkt zu opfern – siehe etwa die jüngsten Zahlen des ifo-Instituts.
Um eines klarzustellen: Die unter dem Schlagwort „Quantitative Easing” beschriebenen geldpolitischen Lockerungen mindern nicht die deutsche Wettbewerbsfähigkeit. Im Gegenteil: Diese sollte sich verbessern, wenn der Wechselkurs des Euro durch Anleihenkäufe sinkt.
Es ist eine vollkommen verquere Idee, dass Deutschland die Gewerkschaften zu ehrgeizigen Lohnrunden ermuntert, um die niedrige Inflation in der Eurozone zu bekämpfen. Die größte Gefahr einer noch lockereren Geldpolitik für Deutschland könnten die politischen Extreme sein, die der Bundesbankpräsident in Kauf nimmt, um Quantitative Easing zu verhindern.
Melvyn Krauss ist emeritierter Professor für Volkswirtschaft an der New York University