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Debatte Draghis Signale

Es war ein Paukenschlag mit Vorlauf, den EZB-Chef Draghi verkündete. Er entzückt die Märkte und spaltet die Ökonomen.
EzB-Chef Mario Draghi: Unterstellungen aus Deutschland
EZB-Chef Mario Draghi polarisiert mit seiner Entscheidung
© Getty Images

Großes wurde erwartet von der EZB-Ratssitzung am 5. Juni. Die Zentralbanker hatten mit entsprechenden Signalen im Vorfeld hohe Erwartungen geweckt. Gewohnt nüchtern verkündete die EZB dann ihre Entscheidung:

„Auf der heutigen Sitzung hat der EZB-Rat die folgenden geldpolitischen Beschlüsse gefasst:

1. Der Zinssatz für die Hauptrefinanzierungsgeschäfte des Eurosystems wird um 10 Basispunkte auf 0,15 % gesenkt. Dies gilt erstmals für das am 11. Juni 2014 abzuwickelnde Geschäft.

2. Der Zinssatz für die Spitzenrefinanzierungsfazilität wird mit Wirkung vom 11. Juni 2014 um 35 Basispunkte auf 0,40 % gesenkt.

3. Der Zinssatz für die Einlagefazilität wird mit Wirkung vom 11. Juni 2014 um 10 Basispunkte auf -0,10 % gesenkt. Einzelheiten zur Umsetzung des negativen Zinssatzes für die Einlagefazilität werden heute um 15.30 Uhr MEZ in einer gesonderten Pressemitteilung bekannt gegeben.“

Es folgt dann noch der Hinweis auf die Pressekonferenz von EZB-Präsident Mario Draghi, in der er die Entscheidungen erläutern wird. Aber schon nach dieser Mitteilung ist klar, dass die Banken künftig Strafzinsen zahlen müssen, wenn sie Geld bei der Zentralbank parken. Die EZB will sie damit dazu bewegen, wieder mehr Kredite an Unternehmen zu vergeben. Dadurch wiederum soll die schleppende Erholung in der Eurozone mehr Schwung bekommen.

Kredite für südeuropäische Firmen

Die EZB-Entscheidungen waren zwar an den Märkten erwartet worden, trotzdem schossen die Aktienindizes nach oben. Der Dax nahm zeitweise die Hürde von 10.000 Punkten.

Für Rückenwind sorgte auch Draghis Ankündigung eines neuen Programms mit dem Ziel, südeuropäische Firmen mit Liquidität sprich Krediten zu versorgen. Damit soll die Wirtschaft in den Krisenländern angekurbelt werden. Die entsprechende Langfristtender haben eine Laufzeit bis 2018. Nach 24 Monaten können die Targeted Longer-Term Refinancing Operations (TLTROs) erstmals zurückgezahlt werden. Das Volumen des Programms bezifferte Draghi auf 400 Mrd. Euro.

Kampf gegen niedrige Inflation

Der EZB-Chef bekräftigte auch das Ziel der Zentralbank die Inflation wieder an die Marke von zwei Prozent zu führen. Wörtlich sagte er:

„Together, the measures will contribute to a return of inflation rates to levels closer to 2%. Inflation expectations for the euro area over the medium to long term continue to be firmly anchored in line with our aim of maintaining inflation rates below, but close to, 2%. Looking ahead, the Governing Council is strongly determined to safeguard this anchoring. Concerning our forward guidance, the key ECB interest rates will remain at present levels for an extended period of time in view of the current outlook for inflation.“

Die Prognosen für die Teuerungsrate reduzierte die EZB auf 0,7 Prozent für 2014 und 1,1 Prozent für 2015. Draghi betonte, die Zentralbank sei bereit, weitere unkonventionelle Maßnahmen zu ergreifen, um den Risiken einer langanhaltenden niedrigen Inflation zu begegnen.

„Moreover, if required, we will act swiftly with further monetary policy easing. The Governing Council is unanimous in its commitment to using also unconventional instruments within its mandate should it become necessary to further address risks of too prolonged a period of low inflation.“

Fratzscher kontra Sinn

Die Reaktionen auf die EZB-Maßnahmen fielen unterschiedlich aus. Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin), etwa verteidigt die Entscheidung als Auftakt zu einer neuen Strategie der EZB:

Allerdings räumt Fratzscher auch ein, dass die EZB ein Risiko eingehe. Nichts zu tun, sei aber noch riskanter:

„Sie ist zum Handeln gezwungen, da sie ihr primäres Mandat der Preisstabilität zur Zeit deutlich verfehlt. Eine expansivere Geldpolitik ist in einer solchen Situation die bessere von zwei riskanten Strategien.“

Ein Risiko der expansiven Geldpolitik der EZB sei die Bildung von Blasen und Verwerfungen an Finanz- und Immobilienmärkten. Im Immobiliensektor in Deutschland sehe das DIW aber noch keine Blasen.

Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn lehnt die EZB-Beschlüsse dagegen rundheraus ab:

„Das ist der verzweifelte Versuch, mit noch billigerem Geld und Strafzinsen auf Einlagen die Kapitalströme nach Südeuropa umzuleiten und so dort die Wirtschaft anzukurbeln. Das kann deshalb nicht funktionieren, weil dort vorher die Wettbewerbsfähigkeit verbessert werden müsste durch Reformen des Arbeitsmarktes. Die Zeche zahlen jetzt alle jene, die Geld langfristig anlegen, also die Sparer und die Besitzer von Lebensversicherungen.“

Für Capital-Kolumnist Christian Kirchner ist die EZB nicht hauptverantwortlich für die niedrigen Sparzinsen hierzulande. Das sei ein Ablenkungsmanöver. Es gebe eine Reihe von hausgemachten Gründen für die deutsche Anlagenmisere. Beispielsweise schafften es Banken offenbar nicht mehr, ihre Kunden für rentablere Geldanlageformen als das Sparbuch zu begeistern.

Und wie geht es beim Dax weiter?

Finanzmarktprofis sehen das Überschreiten der 10.000-Punkte-Marke nüchtern. Für Karsten Stroh von J.P. Morgan Asset Management ist die Marke nicht entscheidend für die weitere Entwicklung.

„Für viele Anleger mag das Überschreiten von 10.000 Punkten psychologisch wichtig sein, für uns als Asset Manager ist es jedoch nur bedingt ein echter Meilenstein. Wir betrachten ganz nüchtern die Bewertungen und da zeigt sich, dass die deutschen Blue Chips im historischen Vergleich nicht mehr ganz günstig, aber eben auch noch nicht wirklich teuer sind.“

Nach Ansicht der Experten hat der deutsche Leitindex noch Luft nach oben. Christian von Engelbrechten, Fondsmanager des Fidelity Germany Fund, erwartet den Dax bis Sommer 2015 bei 11.000 Punkten. So weite lehnen sich andere nicht aus dem Fenster. Klaus Schrüfer von Santander Asset Management Deutschland erinnert sogar an Unwägbarkeiten, die die ganze Euphorie empfindlich dämpfen könnten:

„Störfeuer kann vor allem von einer weiteren Eskalation der Ukraine-Krise kommen, die die Finanzmärkte gegenwärtig weitgehend ausblenden.“

Die Marke von 10.000 Punkten konnte der Dax am Donnerstag nicht halten.

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