Kommentar Daimlers Verzettelungswirtschaft

Daimler-Chef Ola Källenius spricht auf der Jahrespressekonferenz des Autobauers
Daimler-Chef Ola Källenius spricht auf der Jahrespressekonferenz des Autobauers
© Daimler
Der Daimler-Konzern ist der fragilste deutsche Autohersteller. Ausgerechnet ihm fehlt ein Fokus. Lutz Meier über die vielen Baustellen des Stuttgarter Traditionsunternehmens

Wie fromm die Hoffnungen an der Daimler-Spitze sind: „Der Sturm ist jetzt vorbei, jetzt kommt Ola Källenius.“ So kündigte der Ober-Kommunikator des Autokonzerns seinen Vorstandschef an, als dieser eine überaus bescheidene Bilanz für das abgelaufene Jahr präsentierte. Der Spruch bezog sich natürlich auf die Kapriolen des Sturmtiefs Sabine, aber er dokumentierte gleichzeitig auch die schönen Wünsche des Daimler-Managements: Wenn Källenius auf den Plan tritt, dann kehrt Ruhe ein und der Schlamassel ist vorbei.

Nur dass der Vorstandschef jede Erklärung schuldig blieb, wie die Misere für Daimler enden soll. Sicher, es wird an den Kosten gedreht. Endlich sollen jetzt auch richtige für Elektroantrieb entwickelte Autos von Mercedes auf den Markt kommen, nicht nur auf Batteriebetrieb umgebaute umständlich konstruierte Verbrenner wie bisher. Ob Daimler es damit schafft, peinliche Strafzahlungen an die EU zu vermeiden , weil der Konzern das gesetzliche CO2-Ziel reißt, will aber selbst Källenius nicht beschwören. Irgendwann, versprach der Vorstandschef, werde es auch bei Daimler übersichtlicher werden, was Abläufe, Modelle, Strukturen anbetrifft. Aber erst ab 2025. Bis dahin wird es wohl erst einmal noch komplizierter. Und damit teurer.

Dabei ist es jetzt schon ein Hauptproblem des Stuttgarter Konzerns, dass er die Kosten kaum in den Griff bekommt. E-Autos, Digitalisierung, neue Geschäftsmodelle krempeln das globale Autogeschäft um. Der Fehler von Daimler in den letzten Jahren war, dass der Konzern ungestüm in das neue Geschäft investiert hat (aber oft nicht zielgerichtet genug). Gleichzeitig hat er kaum Anstrengungen unternommen, um das traditionelle Geschäft herunterzufahren (das bei Daimler ohnehin mit traditionell sehr üppigem Aufwand betrieben wird). Das Ergebnis: Die Gewinnmarge schmilzt dahin wie Eis in der Sonne. Und dass, obwohl die Kunden den Stuttgartern ihre Autos (noch?) aus den Händen reißen. Jetzt muss Källenius beides auf einmal um so schneller anpacken und kann dabei kaum versprechen, dass es kurz- oder mittelfristig deutlich besser wird.

Angst als Übernahmekandidat zu enden

Daimler ist der fragilste deutsche Autobauer. Ihm fehlt eine stabile Aktionärsstruktur wie sie BMW und Volkswagen mit jeweils starken Hauptaktionären haben. Bei Daimler dagegen ist die Eignerstruktur zerklüftet. Wichtigste Aktionäre werden künftig mit rund zehn Prozent zwei chinesische Autobauer sein, deren Absichten undurchsichtig sind. Bislang sind die vielen anderen Börseninvestoren wenigstens überraschend treu und der Aktienkurs überraschend stabil. Doch ob das so bleibt, ist nicht sicher, zumal Källenius dem Markt nun eine unerwartet heftige Kürzung der Dividende zumutet.


Daimler Aktie


Daimler Aktie Chart
Kursanbieter: L&S RT

Daimler lebt seit Jahren mit der Angst, jederzeit Übernahmekandidat werden zu können. Oder zum Ziel von aggressiven Aktivisten-Investoren, die das Management vor sich hertreiben. Umso verwunderlicher ist, wie wenig der Vorstand tut, um sich auf solche Angriffe vorzubereiten. Immerhin weiß Källenius offenbar, dass er am Finanzmarkt ein Problem hat. Darauf deutet eine Personalie hin, die der Konzern vergangene Woche vermeldete: Er holt den Top-Branchenanalysten Max Warburton an seine Seite. Doch der neue „Leiter Spezialprojekte“ ist kein Ersatz für eine Strategie.

Obwohl Daimler der verletzlichste der Autokonzerne ist, scheint er am wenigsten verstanden zu haben, worum es heute in der Branche geht, wenn man die Investoren bei der Stange halten will: um eine klare Botschaft und ein klares Ziel. Das muss nicht für jeden Konzern das Gleiche sein. Zwar haben sie alle ähnliche Probleme: Das alte Geschäft, das noch Geld bringen muss – die künftigen Technologien, die viel kosten aber (noch) wenig bringen; die Margen, die wahrscheinlich auf lange Sicht sinken; die drohenden Strafzahlungen; oder die Abhängigkeit von China und einem kaum verlässlichen Welthandel.

Daimler fehlt eine klare Botschaft

Aber die Konkurrenten machen zumindest den Eindruck als hätten sie für sich eine klare Antwort gefunden und jeweils eine Strategie, mit der sie bei aller Unsicherheit Sicherheit und Ruhe vermitteln: Volkswagen versucht den schnellen Umstieg auf Batterieautos durchzudrücken. BMW hingegen hat alle Zukunftskapriolen (E-Auto i3, Carsharing Drive Now) weitgehend zurückgestellt und die Parole ausgegeben, mit der alten Technik zu verdienen, so lange es noch geht. Die französische Opel-Mutter PSA ist der Meister im Kostenmanagement und bekommt dafür Beifall an der Börse. Toyota punktet mit Hybrid, Wasserstoff und Skalierung. Und Källenius‘ Landsmann Haakan Samuelsson macht der Branche vor, wie man mit weniger Komplexität mehr und bessere Autos verkauft (sein Unternehmen ist zwar noch nicht an der Börse notiert, könnte es aber nach der jetzt geplanten Fusion mit Geely bald sein).

Daimler fehlt eine solche Botschaft – für Investoren, für die Branche und für die eigenen Mitarbeiter. Källenius hat bislang nur seine Botschaft ergänzt: Daimler will künftig nicht mehr nur „modernen Luxus“ liefern, sondern „nachhaltig modernen Luxus“. Aber was das für das Unternehmen bedeuten soll, ist schwer zu ermessen.

So sieht alles bei Daimler nach Verzettelung aus, die ohnehin in Stuttgart Tradition hat. Irgendwie wollen sie alles machen, aber nichts richtig. In Källenius‘ Worten klingt das so: „Wir wandern in ein peak complexity, weil wir alles von allem haben.“ Er meint die Tatsache, dass er Verbrenner und Hybrid und Mild-Hybrid und Batterie und Brennstoffzelle gleichzeitig entwickeln müsse, ohne zu merken, dass eine solche Situation klare Entscheidungen erfordert. Die sind natürlich mit dem Risiko verbunden, aufs falsche Pferd zu setzen und erfordern die Bereitschaft, dann schnell umzusteuern. Bei Daimler ist eine solche Fokussierung kaum erkennbar. Erst ab 2025 „muss man dann sehen, dass man den Blumenstrauß wieder zusammenführt“, sagt der Daimler-Chef. Kann Källenius sich wirklich noch fünf Jahre Durststrecke leisten?

Källenius kommt, der Sturm bleibt

Schließlich haben Verzettelung und üppige Strukturen Daimler schon in der Vergangenheit nicht geholfen. Forschung und Entwicklung der Stuttgarter war bei fast allen Zukunftstechnologien extrem früh dran und oft der Konkurrenz weit voraus – Batterieautos, Brennstoffzellen, Mobilitätsdienstleistungen. Auf die Straße gebracht haben diese Innovationen aber oft andere. Ein Beispiel dafür ist die traurige Geschichte des Stadtautos Smart, das 30 Jahre lang das Modell für die Mobilität der Zukunft hätte werden können – und auf dem Markt ein halbherzig verkaufter Verlustbringer wurde. Seine Entwicklung wurde jetzt von Daimler an einen chinesischen Billigautobauer verkauft.

Die Auftaktbemerkung des Daimler-Spindoctors muss somit korrigiert werden: Källenius kommt, der Sturm bleibt. Nicht einmal das müsste eine schlechte Botschaft sein. Wenn man in Stuttgart nur wüsste, wie man sich gegen einen Sturm wappnet.

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