CO2-Grenzwerte Warum den Autobauern Milliardenstrafen drohen

Die neuen CO2-Grenzwerte bedrohen die Profitabilität der Hersteller
Die neuen CO2-Grenzwerte bedrohen die Profitabilität der Hersteller
© Neri Vill / Pixabay
In einigen Monaten gelten die neuen CO2-Grenzwerte, Autobauer haben sie lange unterschätzt. Nun drohen Milliardenkosten und Strafzahlungen. Die Gewinnmargen, die die Branche gewöhnt ist, dürften Vergangenheit sein

Sechs Monate noch, dann gilt sie, die 95. Jene Zahl, die Europas Autobauer derzeit so sehr unter Stress setzt wie kein Abgasskandal und kein Angreifer aus dem Silicon Valley. 95 Gramm CO2 dürfen die in Europa neu zugelassenen Autos ab 2020 durchschnittlich pro gefahrenen Kilometer noch ausstoßen , ansonsten drohen drakonische Strafen. Und die sind nicht gerade unwahrscheinlich, 2018 lag der CO2-Ausstoß im Schnitt bei 120,5 Gramm – der höchste Wert seit vier Jahren. Auf über 33 Mrd. Euro taxieren Experten des Analysehauses Evercore ISI die Summe, die Hersteller zahlen müssen, sollten sie in den kommenden Monaten nicht eine dramatische Wende schaffen. Die Zahl klingt absurd hoch, deckt sich aber mit den Erwartungen von VW-Chef Herbert Diess: Auch er nannte jüngst die Summe von 30 Mrd. Euro.

Im Jahr 2013 erhielt jeder Hersteller ein individuelles CO2-Ziel, das die von ihm neu verkauften Autos ab dem nächsten Jahr nicht überschreiten dürfen. Für Hersteller kleiner Autos liegt das Limit etwas niedriger, für die Hersteller großer Karossen höher – im Schnitt sind es 95 Gramm. Reißen Hersteller ihre Grenze, müssen sie ab 2021 ansonsten pro Auto und zu viel emittiertes Gramm CO2 jedes Jahr 95 Euro Strafe zahlen. Allein für VW summieren sich die Strafen auf der Basis heutiger Modelle und Zulassungszahlen laut Evercore auf etwa 8,6 Mrd. Euro.

Die Hersteller werden in erheblichem Maße auf Marge verzichten müssen. Ich sehe nicht, wie man da auf absehbare Zeit rauskommt
Arndt Ellinghorst

Ganz so viel wird es zwar nicht sein, doch die Alternative ist kaum billiger: Aus Angst vor einem Imagedesaster wollen alle Hersteller Strafzahlungen vermeiden und haben eine ungeheuer teure Modell- und Vertriebsoffensive gestartet.

Hastig pressen sie neue Modelle in den Markt, mit denen sie ihre Werte drücken können, ändern ihre Preispolitik und nutzen Schlupflöcher, die ihnen das Gesetz lässt. Unterm Strich sind die Investitionen in sparsamere Autos und die Rabatte für die neuen Modelle aber kaum geringer als die drohenden Strafen. Die Modelloffensive wird die Autobauer große Teile ihres Gewinns kosten, und zwar auf Dauer, wie Evercore-Analyst Arndt Ellinghorst glaubt: „Die Hersteller werden in erheblichem Maße auf Marge verzichten müssen. Ich sehe nicht, wie man da auf absehbare Zeit rauskommt.“

Viele Debatten um Tempolimits und die Zukunft des Verbrennungsmotors in Deutschland wirken dagegen seltsam entkoppelt. Faktisch wird man die Autos der Zukunft nicht mehr so schnell fahren können, Volvo hat schon angekündigt, das Tempo seiner Autos ab 2020 bei 180 Stundenkilometern zu kappen. Und bei den 95 Gramm CO2 pro Kilometer und Auto wird es nicht bleiben. Ab 2025 gelten durchschnittlich 81 Gramm, ab 2030 59 Gramm. Das ist das Enddatum.

Denn mit Verbrennern werden sich diese Ziele nicht erreichen lassen, das Optimierungsversprechen der Hersteller für konventionelle Motoren hat sich als Illusion erwiesen. Rechnungen der Großbank UBS zeigen, dass sich speziell Daimler und BMW seit 2016 und 2017 rasant von den gesetzlichen Zielen entfernen. Den Konzernen wird gerade die Abkehr vom Diesel und der Trend zu größeren Autos zum Verhängnis.

CO2-Grenzwerte lösen Panik aus

BMW und Daimler werfen jetzt alles ins Feld. Sie setzen auf sogenannte Plug-in-Hybride: Autos die ganz konventionell mit Verbrenner fahren. Aber zusätzlich haben sie eine Elektromaschine an Bord, die sie theoretisch einige Kilometer bewegt. Die „Supercredits“, die die Branche einst in die EU-Vorschrift hineinlobbyierte, privilegieren diese Technik. Viele Plug-ins dürfen Hersteller doppelt zählen und Verbrenner so herausrechnen. Dazu kommt in Deutschland seit diesem Jahr der halbierte Steuersatz für Plug-ins als Dienstwagen – selbst wenn sie in der Praxis immer mit Verbrenner fahren. Der CO2-Effekt der Plug-ins besteht nämlich oft nur auf Papier, sie profitieren von einer Verzerrung bei der Abgasmessung. Zehn neue Modelle schiebt allein BMW bis Ende 2020 in den Markt.

Ob sich die Hersteller damit einen Gefallen tun, ist dennoch fraglich. Ab 2022 werden laut UBS Plug-ins wieder verschwinden, weil die „Supercredits“ auslaufen. Die Kosten aber sind immens: Ellinghorst setzt bei BMW 3000 bis 7000 Euro per Auto an, bestenfalls einen Teil davon könnten die Münchener umwälzen. „Ich kann mir bei dem Ansatz von BMW und Mercedes nicht vorstellen, dass das ausreicht“, sagt er. Die Margenversprechen beider Firmen seien nicht realisierbar, schreibt auch UBS-Mann Patrick Hummel.

Alle suchen Auswege. Fiat Chrysler macht einen Deal mit Tesla, um mit dessen E-Modellen eigene Werte kleinzurechnen. Auch der gescheiterte Fusionsversuch mit Renault war durch die 95-Gramm-CO2-Grenzwerte-Panik motiviert. Realistischer scheint Analysten der VW-Ansatz, massiv auf Batterieautos zu setzen. „Mit ihrer aggressiven Strategie haben sie auf lange Sicht den besten Stand“, urteilt die UBS. „VW hat deutliche Vorteile durch den Skaleneffekt“, sagt Ellinghorst. „Ob deren Rechnung aufgeht, wird sich daran entscheiden, ob die Autos rechtzeitig fertig sind.“

Der Analyst rät Herstellern, den Abschied vom Verbrenner nicht mehr aufzuschieben. Ellinghorst hat auch schon ein Vorbild vor Augen, aus der Finanzbranche: Die Verbrennertechnik sollten die Autobauer auslagern, sagt der Experte, am besten in eine Art Bad Bank.

Profitabilitätskiller
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Der Beitrag ist in Capital 07/2019 erschienen. Interesse an Capital? Hier geht es zum Abo-Shop , wo Sie die Print-Ausgabe bestellen können. Unsere Digital-Ausgabe gibt es bei iTunes und GooglePlay

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