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Kommentar Chinas KP träumt vom großen Wurf

Die chinesische Führung lehnt sich im Vorfeld des Parteikongresses weit aus dem Fenster. Sie kündigt beispiellose Reformen an. Von einem großen Wurf versucht sie aber vor allem sich selbst zu überzeugen. Von Ruth Fend

Eines muss man der neuen Führungsspitze von Chinas KP lassen: Sie schreckt nicht davor zurück, enorme Erwartungen an ihre eigenen Leistungen zu schüren. Xi Jinping, der vor einem Jahr als Parteichef nominiert wurde, kündigt für die kommenden Tage nicht weniger an als einen „Masterplan“ für Reformen und eine „tiefgreifende Revolution“. Auch andere Politbüro-Mitglieder sprachen von „beispiellosen“ und „durchschlagenden“ Reformen. Ganz schön starker Tobak für ein Ereignis, das einen so sperrigen Namen trägt wie „Dritte Plenarsitzung des 18. Zentralkomittees der Kommunistischen Partei Chinas“.

Tatsächlich gilt das dritte Plenartreffen des Zentralkomitees, das am Samstag beginnt, als Schlüsselmoment im fünfjährigen Parteizyklus: Treten die ranghöchsten 371 Kader das erste Mal zusammen, bestimmen sie den engsten Führungskreis. Beim zweiten Treffen regeln sie weitere Personalfragen. Und erst beim dritten Kongress, wenn die neue Führung ein Jahr Zeit hatte, ihre Macht zu konsolidieren, geht es endlich um die Inhalte. Und die lauten diesmal vor allem: Wie viel Wirtschaftsreform kann und will China?

Dass einzelne in der Partei sogar von nie da gewesenen Schritten sprechen, ist dabei umso erstaunlicher, als einige Präzedenzfälle aus der Vergangenheit schwer zu überbieten erscheinen: Beim Dritten Plenum 1978 wurde zwei Jahre nach Mao Zedongs Tod Deng Xiaoping an der Spitze installiert und begann, China für die Marktwirtschaft zu öffnen. 1993 startete beim Dritten Plenum eine Privatisierungswelle, die China fit für den WTO-Eintritt machte.

Plan 383

Vor diesem Hintergrund scheint Enttäuschung geradezu programmiert – inklusive bei Investoren, die auf Basis der Plenumsagenda schon einzelne Aktien kaufen. Niemand bestreitet den Reformbedarf in China. Es geht schließlich um nichts weniger, als ein neues Wachstumsmodell zu finden – weg von Exporten, weg von Staatsinvestitionen, die vor allem für einen nicht nachhaltigen Bauboom und finanzklamme Lokalregierungen gesorgt haben. Aber die Instrumente dafür sind inzwischen deutlich komplizierter geworden – und die Widerstände mächtiger interner Interessensgruppen gegen jedes Einzelne von ihnen größer.

Die beste Chance auf einen großen Wurf trägt einen Codenamen, der diese Komplexität treffend wiedergibt: „Plan 383“. Die Zahlen beziehen sich auf „drei Hauptkonzepte“, „acht Schlüssel-Reformen“ und „drei korrelierende Reformkombinationen.“

Auf Plan 383 ruhen aktuell alle Hoffnungen: Das Papier stammt von dem einflussreichen Regierungs-Thinktank Development and Research Centre, die als Reformer bekannte Autoren sind politische Schwergewichte. Für entsprechend viel Aufsehen hat es gesorgt, als es vergangene Woche durchs Internet geisterte. Credit-Suisse-Analyst Dong Tao nannte es gar die „wahrscheinlich ehrgeizigste wirtschaftliche Top-Down-Reforminitiative in der Geschichte der Volksrepublik.“

Wirklich? Bisher ist der Masterplan nicht mehr als eine interessante Wunschliste. Die Themen, die Plan 383 abdeckt, stehen seit Jahren auf der politischen Agenda: Aufbrechen von Staatsmonopolen, eine Reform des Finanzsektors, des Steuersystems, des Pensionswesens und der Landrechte. Was dagegen völlig fehlt, sind Antworten, wie der Rechtsstaat in China gestärkt werden kann – eine Grundvoraussetzung für die Wirksamkeit vieler Wirtschaftsreformen.

Großer Wurf oder kleine Schritte

Sollten die Empfehlungen sich tatsächlich in großer Zahl im Abschlussdokument wieder finden, wäre dennoch schon viel erreicht. Die chinesische Wirtschaft hätte die Chance, mittel- und langfristig gesund zu wachsen. Aber dass es so kommt, steht noch längst nicht fest: Plan 383 ist nur ein Vorschlag im Vorfeld von vielen.

Wenn Xi Jinping und einige seiner Kollegen jetzt soviel Wirbel machen, versuchen sie vermutlich eher, parteiintern den Druck zu erhöhen, als der Bevölkerung oder ausländischen Diplomaten berechtigte Hoffnungen zu machen.

Ein wenig auf Reformen hoffen darf, wer sich mit den machtpolitischen Entwicklungen der vergangenen Monate beschäftigt: Die Welle an Verhaftungen und Untersuchungen gegen Schwergewichte in Staatsunternehmen und Ministerien ist seit Antritt der neuen Parteispitze um Xi und Li Keqiang wuchtiger ausgefallen als von vielen erwartet. Vor allem die Macht-Clique im staatlichen Ölsektor hat Xi aufgebrochen. Nach dem holprigen Führungswechsel 2012 und den Skandalen rund um den gefallenen Starpolitiker Bo Xilai scheint Xi seine Macht schneller konsolidiert zu haben, als das viele vermutet hätten. Im besten Fall sind damit auch reformresistente Interessensgruppen zumindest geschwächt.

Wahrscheinlicher als ein großer Wurf ist, dass man sich im Dritten Plenum auf viele kleine Schritte und Teilreformen einigt. Auch dann werden die Veränderungen Jahre brauchen, bis sie umgesetzt sind – und wie das in den Provinzen und Distrikten geschieht, ist noch eine ganz andere Frage. Für Xi Jinping ist nur zu hoffen, dass auch die Geschichtsbücher so schnell nicht geschrieben werden.

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