Vom starken Wirtschaftswachstum in China profitiert zweifellos auch das übrige Asien. Tatsächlich hat die starke chinesische Nachfrage das exportgestützte Wachstum seiner Handelspartner während der meisten Zeit der letzten drei Jahrzehnte mitgetragen. Doch nun, angesichts eines Abschwungs und erheblicher Abwärtsrisiken in China, muss das restliche Asien seine übermäßige Abhängigkeit von exportorientierten Entwicklungsstrategien aufgeben und sich bemühen, ein stabiles und zugleich nachhaltiges inländisches und regionales Wachstum sicherzustellen.
Chinas aus Immobilienblasen, Schattenbankensystem und kommunaler Verschuldung herrührende Anfälligkeiten und Risiken haben Besorgnis über eine Krise nicht nur in der Volksrepublik, sondern auch in den benachbarten asiatischen Ländern ausgelöst. Tatsächlich prognostizieren einige inzwischen eine chinesische Banken- oder Fiskalkatastrophe; andere sagen eine langfristige Stagnation voraus, die den verlorenen Jahrzehnten Japans gleichkäme.
Diese Szenarien einer „harten Landung“ sind Extrempositionen. Doch der Weg voran ist voller Schlaglöcher und Unsicherheiten. Niemand kann garantieren, dass Ministerpräsident Li Keqiangs Versuche, eine Entschuldung und Strukturreformen herbeizuführen, erfolgreich sein werden. Zudem könnten externe Erschütterungen, Fehler in den politischen Strategien und politische Instabilität selbst die besten Pläne durcheinanderbringen.
Auf jeden Fall ist Chinas steiles Wachstum nicht aufrechtzuerhalten. Selbst wenn das Land eine „weiche Landung“ bewerkstelligt, wird sich das jährliche Produktionswachstum in den kommenden Jahrzehnten auf fünf bis sechs Prozent verlangsamen. Die allgemein anerkannten Wachstumstheorien prognostizieren eine „Konvergenz“ beim BIP pro Kopf: Ein schnell wachsendes Land wird letztlich Schwierigkeiten bekommen, seine hohen Raten bei der Mobilisierung von Arbeitskräften, der Kapitalakkumulation und beim technologischen Fortschritt aufrechtzuerhalten.
Chinas Schwäche bedroht asiatische Länder
In China ist die Zufuhr von Arbeitskräften infolge abnehmender Geburtenraten und einer alternden Bevölkerung gesunken. Niedrigere Renditen werden die Investitionsraten senken. Vielleicht ist China in der Lage, durch politische Reformen sein Produktivitätswachstum zu steigern. Doch angesichts seiner relativ geringen Innovationsfähigkeit wird es sich schwer tun, bei den Zukunftstechnologien Anschluss zu finden.
Chinas unweigerliche Wachstumsverlangsamung bedroht, zusammen mit dem hohen Risiko von Extremverlusten, die Wachstumsstabilität in den zunehmend vernetzten asiatischen Volkswirtschaften. Auf den innerasiatischen Handelt entfällt inzwischen mehr als die Hälfte des Gesamthandelsumsatzes des Kontinents. Zudem tragen Direktinvestitionen und Zahlungsströme zur wirtschaftlichen Interdependenz bei.
Der Anstieg im innerasiatischen Handel spiegelt Chinas zentrale Rolle in den ostasiatischen Produktionsnetzen wider. Zwischen 2001 und 2011 hat sich Chinas Anteil an den südkoreanischen Exporten von zwölf Prozent auf 24 Prozent verdoppelt, und sein Anteil an den japanischen Exporten wuchs sogar noch schneller, von acht Prozent auf 20 Prozent. Infolgedessen hat sich China zu Südkoreas größtem Exportmarkt entwickelt, und zu Japans zweitgrößtem. Es ist zudem der größte Handelspartner aller zehn Mitglieder der Gemeinschaft südostasiatischer Länder (ASEAN).
Große Abhängigkeit von China
Die sich vertiefende Handels- und Finanzintegration der asiatischen Volkswirtschaften macht diese zunehmend anfälliger für Wachstumserschütterungen aus China, wobei die Exporteure von Rohstoffen und Anlagegütern besonders gefährdet sind. Tatsächlich zeigt eine Studie der Asiatischen Entwicklungsbank, dass von China ausgehende Erschütterungen größere und länger anhaltende Auswirkungen auf die Produktionsleistung der einzelnen asiatischen Volkswirtschaften haben als globale Erschütterungen, da ein Anstieg um ein Prozent des chinesischen BIP die Wirtschaftsleistung der ostasiatischen Schwellenländer um etwa 0,6 Prozent ansteigen ließ.
Was die Investitionstätigkeit angeht, so prognostiziert der Internationale Währungsfonds, dass eine Störung des chinesischen Investitionsbooms auch seine Handelspartner in Mitleidenschaft ziehen wird. Ein Rückgang der chinesischen Investitionsrate um einen Prozentpunkt verringert laut Schätzungen die Wachstumsrate des taiwanesischen BIP um 0,9 Prozentpunkte und die Koreas um 0,6 Prozentpunkte.
Falls China seine Volkswirtschaft erfolgreich neu ausrichten und auf ein konsumgestütztes Wachstum umstellen kann, könnten seine Handelspartner enorm von einem riesigen Einzelhandelsmarkt profitieren. Doch solange Chinas Importanteil am Endkonsum niedrig bleibt, dürften die direkten Gewinne der Konsumgüterexporteure niedrig bleiben.
Die asiatischen Volkswirtschaften müssen bei der Vorbereitung auf den kommenden Konjunkturabschwung in China und dem Versuch, die Risiken einer Destabilisierung der Region zu verringern, die Binnennachfrage stärken und ihre übermäßige Abhängigkeit von Exporten nach China verringern. Anders ausgedrückt: Ein nachhaltiges Wachstum erfordert, dass alle von China abhängigen Volkswirtschaften Asiens ihre beiden Hauptwachstumsmotoren neu ausbalancieren.
Stärkung der regionalen Koordinierung
Doch es muss noch eine zweite Reformfront eröffnet werden, die auf die Stärkung der regionalen Koordinierung abzielt. Da wirtschaftliche Erschütterungen sich heute aufgrund verbreiterter Handels- und Finanzkanäle schneller ausbreiten als je zuvor, müssen alle asiatischen Länder ein solides gesamtwirtschaftliches Umfeld aufrechterhalten.
Vielleicht am wichtigsten ist angesichts der vertieften regionalen Integration eine engere Zusammenarbeit bei der gesamtwirtschaftlichen und finanziellen Überwachung, so wie sie die Chiang-Mai-Initiative zur Multilateralisierung vorsieht. Die asiatischen Länder müssen in der Lage sein, untereinander gut koordinierte, ehrliche Überprüfungen vorzunehmen, um die Risikowahrscheinlichkeit zu verringern und sich bildende Anfälligkeiten zu erkennen.
Das langfristige Wachstumspotenzial Chinas – und auch des übrigen sich entwickelnden Asiens – ist nicht vorgegeben. Seine Maximierung erfordert nicht nur, dass einzelne Länder ihre Schwächen in Angriff nehmen und ihre Wachstumsquellen neu ausbalancieren, sondern auch, dass sie jene regionalen Institutionen aufbauen und stärken, die zur Steuerung der wirtschaftlichen Integration erforderlich sind.
Aus dem Englischen von Jan Doolan
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