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Kommentar Das taumelnde Riesenreich

Der große China-Crash ist ausgeblieben. Trotzdem befindet sich die Wirtschaft des Landes in einer schlechten Verfassung. Reformen sind überfällig. Von Ruth Fend
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Wer sich gern in Untergangsfantasien suhlt, der ist diese Woche enttäuscht worden. Einen Moment lang sah es so aus, als könnte sich in China ein Film mit hohem Blockbuster-Potenzial abspielen. Als ginge den größten Banken der Welt plötzlich das Geld aus, als könnte die wohl größte Immobilienblase der Welt mit lautem Knall platzen. Doch nachdem Chinas Interbanken-Zins auf über zwölf Prozent hochgeschossen war, ruderte die Notenbank diese Woche plötzlich zurück. In Mario-Draghi-Manier verkündete die People’s Bank of China, bedingungslos Anleihen aufzukaufen, wenn nötig.

Chinas „Lehman-Moment“ ist ausgeblieben. Ist deshalb Entwarnung angesagt? Mitnichten.

Was genau sich in den vergangenen zwei Wochen in Chinas undurchsichtigem Bankensektor abgespielt hat, ist nach wie vor nicht ganz nachvollziehbar. Zu saisonalen und technischen Faktoren kam offenbar hinzu, dass die Zentralbank eine Art Stresstest in Echtzeit durchführen und die Staatsbanken warnen wollte: Wirtschaftet innerhalb der euch vorgeschriebenen Grenzen. Wenn ihr mehr Geld verleiht, als eure Quote erlaubt, schießen wir (diesmal) nichts nach.

Wie der darauf folgende Liquiditätsengpass zeigt, ist der Bankensektor durch die Prüfung gerasselt. Doch selbst, wenn der große Knall ausbleibt, zeichnet sich für die Weltwirtschaft längst ein anderes Horrorszenario ab: Die Wachstumslokomotive China verlangsamt ihre Fahrt nicht nur, sie kommt mehr oder weniger zum Stehen.

Wachstum bricht ein

Unerschütterliche China-Bullen halten dagegen, dass ein Wachstum von 7,5 Prozent, wie es die Regierung selbst für 2013 ausgegeben hat, doch kein Drama ist. Das Problem ist, dass manche externen Analysen, die sich nicht mit Chinas offizieller Statistik abgeben schon jetzt eher ein Nullwachstum sehen – und dass die Argumente der Optimisten darauf hinauslaufen, dass China eben anders ist als andere Volkswirtschaften. Das stimmt zwar in Teilen. Aber selbst ein gigantisches Land, das wirtschaftlich noch immer einen Aufholprozess durchläuft, kann sich nicht sämtlichen volkswirtschaftlichen Gesetzen entziehen.

Eines der Argumente gegen einen Finanzcrash lautet, dass China eine Panik abwenden kann, weil der Bankensektor bereits verstaatlicht ist. Panische und irrationale Investoren können ihm weniger anhaben. Richtig ist, dass ein Crash in der Volksrepublik sicher nicht von den Launen internationalen Kapitals ausgehen wird, weil die Chinesen sich nicht im Ausland verschuldet haben. Ebenso kann man davon ausgehen, dass die Zentralregierung notfalls versuchen wird, die horrend hohen Schulden der Lokalregierungen zu absorbieren, wenn massenweise Kredite faul werden.

Peking ist aber nicht so allmächtig ist, wie viele im Westen glauben. Provinzen, Städte, Distrikte und Dörfer haben in China schätzungsweise Schulden zwischen 1000 und 2000 Mrd. Yuan angehäuft, das entspricht 20 bis 40 Prozent der gesamten chinesischen Wirtschaftskraft. Der Verweis auf die Billionen schweren Devisenreserven etwa ist wenig hilfreich: Das ist Geld, das der Staat im Inland nicht ausgeben kann, ohne in gleichem Maße die Inflation anzuheizen.

Theoretisch kann Peking einen Absturz verhindern, indem die Regierung dafür sorgt, dass Kredite eben nicht faul, sondern endlos verlängert werden – und genau das war bisher auch die Strategie. Sie hat aber einen Preis: Geld wird dann nur noch dafür ausgegeben, Zombie-Banken und Zombie-Staatsunternehmen am Leben zu halten, anstatt in Bereiche zu investieren, die langfristig für neues Wachstum sorgen könnten.

Ende der 90er-Jahre stand China schon einmal vor einem ähnlichen Problem wie heute: Der Kampf gegen die Asienkrise hatte dafür gesorgt, dass offiziell 30 Prozent, inoffiziellen Schätzungen zufolge sogar 50 Prozent aller Kredite faul waren. Von einem ähnlichen Niveau gehen heute auch viele Experten aus. Der Unterschied zu damals ist, dass China diese Kredite mithilfe seines rapiden Wachstums aufwischen konnte. Die Weltwirtschaft boomte, und in China selbst setzte die Regierung radikale Wirtschaftsreformen um, die das Wachstum ebenfalls beschleunigten. Der Beitritt zur WTO gab einen weiteren Schub.

Von all dem ist heute nichts mehr zu sehen. Und die Instrumente der Vergangenheit werden immer wirkungsloser: Wie der Think Tank Conference Board berechnet hat, ist die Produktivität von neuen Krediten schon deutlich gesunken. Sprich, mit immer mehr Krediten lässt sich immer weniger Wachstum generieren. Fitch zufolge beliefen sich die Anleihen von Banken und dem informellen Schattenfinanzsektor 2012 zusammen bereits auf 198 Prozent des GDP. 2008 lagen sie noch bei 125 Prozent.

Leer stehende Luxusbauten

Schuld ist ausgerechnet das im Westen einst so gepriesene massive Stimuluspaket von über 9500 Mrd. Renminbi im Zuge der Finanzkrise. Eigentlich ist es den notorisch undisziplinierten Lokalregierungen seit Mitte der 90er-Jahre untersagt, selbst Anleihen auszugeben. Seit 2008 hat Peking aber zugelassen, dass sie externe Investmentvehikel gründen, die an ihrer Stelle Anleihen ausgeben – ganz wie die IKB es einst mit ihren Finanzvehikeln in Irland getan hat. Unterlegt wurden die Kredite fast immer mit Land, das dank der Infrastrukturprojekte im Wert in astronomische Höhen geschossen ist – ebenso wie die Immobilien, in die ganz China seitdem investiert hat.

Die Folgen der Fehlinvestitionen lassen sich im ganzen Land besichtigen: Sie stehen in jeder Provinz in Form von glitzernden Finanzzentren, wo keine Finanzindustrie ist und in leer stehenden Luxusapartments, die zwar spekulierende Besitzer haben, aber keine Bewohner. Nicht, dass in China zu viel gebaut worden wäre: Der Bedarf an zusätzlichen Wohneinheiten wird auf 10 Millionen pro Jahr geschätzt. Aber China hat am Bedarf vorbeigebaut: Diejenigen, die wirklich Häuser bräuchten, können sich die neuen Apartments nicht leisten. In Shanghai ist der Preis für eine Durchschnittswohnung 45 Mal so hoch wie ein durchschnittliches Jahresgehalt. In Manhattan liegt dieser Wert nur bei acht.

Ebenso bekommen trotz des Kreditbooms diejenigen am staatlichen Bankenmarkt keine Darlehen, die der Wirtschaft die meisten Jobs und Impulse geben: Privatunternehmer. Das ist der Grund, warum sich so viele informelle und unüberschaubare Ponzi-Systeme gebildet haben. Dieses Geflecht wieder zu entwirren, ohne die Wirtschaft komplett abzuwürgen, ist die Mammutaufgabe.

Was zu tun wäre, ist längst bekannt und wird auch in Chinas akademischen und politischen Kreisen ausgiebig diskutiert: Neben vielem anderem müssten die Zinssätze und Energiepreise liberalisiert und die Macht der Staatsunternehmen beschnitten werden. Nur passiert ist bisher nichts.

Schon Ende letzten Jahres schimpfte der sonst als China-Bulle bekannte Arthur Kroeber von der Consultingfirma GK Dragonomics, er sehe keinerlei politischen Willen, die nötigen Reformen auch umzusetzen – weder in der alten noch in der neuen politischen Führung. Die Zentralbank hat nun zwar ein richtiges Alarmsignal abgegeben. Aber die internen Fürstentümer, deren kurzfristigen Interessen tiefgehenden Reformen im Weg stehen, sind heute viel mächtiger als zu Beginn der Asienkrise. Und womöglich sind die Probleme in der chinesischen Wirtschaft ohnehin schon zu groß geworden, als dass das System kurzfristige Schocks durch notwendige Reformen noch verträgt. Untergangspropheten dürfen sich ruhig weiter gruseln.

Ruth Fend ist Capital-Autorin. Sie hat schon für die eingestellte Financial Times Deutschland aus China berichtet.

Foto: © Getty Images/Bloomberg

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