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Capital erklärt Was Sie über die Krise in Italien wissen müssen

Italiens Ministerpräsident Giuseppe Conte kündigte am Dienstag seinen Rücktritt an – die Krise in Italien erreicht einen neuen Höhepunkt
Italiens Ministerpräsident Giuseppe Conte kündigte am Dienstag seinen Rücktritt an – die Krise in Italien erreicht einen neuen Höhepunkt
© dpa
Die Krise in Italien spitzt sich weiter zu: Am Dienstag erklärte Ministerpräsident Giuseppe Conte seinen Rücktritt. Die populistische Koalition aus Fünf-Sterne-Bewegung und Lega ist damit beendet. Das sind die wichtigsten Fakten zur Lage in Italien

In unserer Reihe Capital erklärt geben wir einen komprimierten Überblick zu aktuellen Wirtschaftsthemen. Diesmal: „Italien: Was die Staatsverschuldung für die EU bedeutet“ – mit Redakteur Claus Hecking, der bei Capital unter anderem zu EU-Themen schreibt.

Was hat Italiens Wirtschaftspolitik mit der Regierungskrise zu tun?

Beide Regierungsparteien hatten unterschiedliche wirtschaftspolitische Vorstellungen: Die Fünf-Sterne-Bewegung forderte ein Bürgereinkommen – eine Art italienisches Hartz-IV –, die Lega plante dagegen eine „Flat Tax“ mit einem einheitlichen Steuersatz von 15 Prozent . Beide Parteien wollten außerdem eine Rentenreform umsetzen. Zusammen waren diese Ziele sehr kostenintensiv und daher schwierig zu finanzieren. Zunächst wurde deshalb das Bürgereinkommen eingeführt – unter anderem, weil die Fünf-Sterne-Bewegung die stärkere Partei war. Als die Lega dann die „Flat Tax“ umsetzen wollte, reagierte nicht nur die Fünf-Sterne-Bewegung mit Zurückhaltung. Auch die EU hatte Sorgen vor einem zu großen Haushaltsdefizit Italiens geäußert.

Worum ging es bei den geplanten Strafverfahren der Europäische Kommission gegen Italien?

Im vergangenen Jahr hatte die italienische Regierung Pläne vorgestellt, mit denen sie die Wirtschaft ankurbeln und Sozialleistungen erhöhen wollte. Das hätte aber eine immense Ausweitung des italienischen Haushaltsdefizits bedeutet. Die EU-Kommission hat daraufhin Einspruch eingelegt und mit einem Strafverfahren gedroht, sollte sich Italien weiter verschulden. Das hätte für Italien große Geldstrafen oder den Verlust von Stimmrechten innerhalb der EU bedeutet. Die Gläubiger an den Kapitalmärkten hätten auf das Verfahren mit Sicherheit sehr negativ reagiert. Auch die Renditen für Staatsanleihen wären dann noch stärker gestiegen. Das heißt: Italien hätte relativ teuer die Aufnahme neuer Schulden an den Kapitalmärkten bezahlen müssen. Zwar wurde dieser Schritt am Ende durch einen Kompromiss abgewendet , aber es ist jederzeit möglich, dass eine neue italienische Regierung diesen Streit wieder aufnimmt, weil sie sich davon Sympathien bei ihren Wählern verspricht. Die Kapitalmärkte fürchten genau das – und das zeigt sich auch an den hohen Renditen.

In Umfragen erreichte die Lega zuletzt bis zu 38 Prozent. Was würde eine Lega-Mehrheit bei Neuwahlen für Italiens Wirtschaft bedeuten?

Ob es tatsächlich zu Neuwahlen kommt, hängt vom Verhalten der italienischen Parteien und des Staatspräsidenten Sergio Mattarella ab. Sollte die Lega nach Neuwahlen aber als stärkste Kraft eine neue Regierung führen, würde sie eine Wirtschaftspolitik für ihr Klientel verfolgen. Und die „Flat Tax“ würde dabei eine tragende Rolle spielen. Da ihre angepeilten Steuersätze deutlich unter den aktuellen Steuersätzen liegen, würde die Flat Tax weniger Einnahmen für den Staat und letztlich auch ein höheres Defizit im Staatshaushalt bedeuten. Die Folge wäre wohl eine erneute Konfrontation mit der EU, womöglich ein Referendum über Italiens Verbleib in der Eurozone . Man sollte nie vergessen: die Lega ist im Kern eine euroskeptische bis eurofeindliche Partei. Vor dem Eintritt in die Regierungskoalition Mitte 2018 hatte sie bereits gefordert: „Basta Euro“ – „Genug mit dem Euro“.

Wie steht es aktuell um die italienische Wirtschaft?

Dafür, dass es der europäischen Wirtschaft in den letzten Jahren relativ gut ging, war das Wachstum in Italien enttäuschend; im ersten Quartal 2019 lag es nahezu bei null Prozent. Die italienische Produktivität ist fast so niedrig wie am Ende des vergangenen Jahrtausends. Während sich also die Wirtschaft anderer Länder wie etwa Spaniens von der Eurokrise erholt, gelingt das in Italien kaum. Das hat wiederum zur Folge, dass die Steuereinnahmen gering bleiben und die Staatsverschuldung steigt. Das ist auch an den Kapitalmärkten spürbar, wenn man etwa Italien mit Griechenland – dem großen Krisenstaat des vergangenen Jahrzehnts – vergleicht: Die Renditen für griechische Staatsanleihen sind in den letzten Monaten deutlich gefallen, die von italienischen Staatsanleihen dagegen relativ stark gestiegen. Die Anleger misstrauen Italien also fast so sehr wie Griechenland, wenn es darum geht, seine Schulden zurückzuzahlen. Das speiste sich zuletzt auch aus einem Unbehagen gegenüber der doppel-populistischen Regierungskoalition aus Fünf-Sterne-Bewegung und Lega und ihren Plänen zur Neuverschuldung.

Wie machen sich die Staatsschulden in Italien bemerkbar?

Der größte Gläubiger Italiens sind die Italiener selbst. Denn der größte Anteil der Schulden wird von italienischen Banken gehalten. Einerseits sind sie womöglich etwas geduldigere Gläubiger, andererseits ist das auch eine Schwäche. Denn wenn die italienischen Banken schwach sind, ist das auch der italienische Staat und umgekehrt. Die Italiener auf der Straße machen sich wegen der Staatsschulden bislang keine großen Sorgen. Aber: Wenn die Kapitalgeber einmal kein Vertrauen mehr darauf haben, dass Italien seine Schulden zurückzahlt, werden die Zinsen für italienische Staatsanleihen sehr stark steigen. Die Schuldenaufnahme wird für Italiens Regierung auf Dauer sehr teuer – und das kann den Staat überfordern und zum Bankrott führen. Momentan liegt dieses Szenario noch in weiter Ferne. Sollte allerdings großes Misstrauen Einzug halten wie in der Eurokrise in 2011, kann sich das Blatt noch einmal wenden– und dann werden sich auch gewöhnliche Italiener um die Staatschulden sorgen.

Wie steht es um Italien im Vergleich zum ehemaligen Krisenstaat Griechenland?

Italien hat einen ganz entscheidenden Vorteil gegenüber Griechenland: Es hat einige durchaus sehr wettbewerbsfähige Industrien, starke Marken und einige Regionen, in denen es großen Wohlstand gibt. Andererseits zeigt die aktuelle wirtschaftliche Situation eine massive Wachstumsschwäche seit Jahrzehnten. Dabei hat Italien in den vergangenen Jahren sicher davon profitiert, dass es der europäischen Wirtschaft gut ging. Wenn Europa oder die Weltwirtschaft in eine Wachstumskrise gerät, würde das Italien in seiner derzeitigen schwachen Lage daher noch einmal besonders treffen.

Was würde eine italienische Krise für die Eurozone bedeuten?

Italien ist in der Eurozone die drittgrößte Volkswirtschaft – und in absoluten Zahlen das Land mit den höchsten Staatsschulden innerhalb der Eurozone. Deshalb könnte man das Land nicht so einfach retten wie Griechenland vor einigen Jahren. Diese Rettung würde viel teurer und ob die anderen Staaten dazu bereit und dazu fähig wären, ist eine andere Frage. Ein solches Szenario hängt von ganz vielen Faktoren ab. Daher ist unklar, was mit der Eurozone passieren würde, wenn Italien vor dem Staatsbankrott stünde. Klar ist jedenfalls, dass sich an diesem Fall die Zukunft des Euros entscheiden würde.

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