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Schuldenstaaten Investoren entdecken Griechenland wieder

Lange Zeit haben Investoren einen Bogen um Griechenland gemacht, jetzt entdecken sie das Land wieder
Lange Zeit haben Investoren einen Bogen um Griechenland gemacht, jetzt entdecken sie das Land wieder
© sepp spiegl / IMAGO
Rezession und Haushaltskrise: Deutschlands Ansehen unter Investoren hat gelitten. Fondsmanager wenden sich stattdessen den einstigen Schuldensündern der Eurozone zu. Gefragt sind unter anderem griechische Schuldtitel 

Etwa ein Jahrzehnt nach Beginn der Eurokrise findet auf dem Anleihemarkt ein schleichender Rollentausch statt. Viele der einstigen Sorgenkinder der Gemeinschaftswährung sind durch jahrelange Sparpolitik inzwischen zu Haushaltsmusterschülern geworden. In den bisherigen Stabilitätsankern wie Deutschland und Frankreich sind die Aussichten durch selbstgemachte Wachstums- und Haushaltskrisen dagegen mau. Griechenland, Portugal und Spanien laufen den Kernstaaten der Eurozone auf dem Anleihemarkt daher zunehmend den Rang ab.

Wie die Finanzagentur Bloomberg berichtet, decken sich etwa die Fondsmanager von JP Morgan oder Neuberger Berman zunehmend mit den Schuldtiteln von Spanien, Portugal oder Griechenland ein. Analysten rechnen damit, dass die Peripherieländer auch im kommenden Jahr die deutlich bessere Figur machen als die Gründungsmitglieder im Zentrum der Gemeinschaftswährung.

Die Welt der Profi-Investoren steht damit zunehmend Kopf: Galt der Kern der Eurozone jahrelang als verlässlich und stabil, und die Ränder der Währungsunion als wackelig, kehren sich die Verhältnisse nun immer mehr um. Nicht die einstigen Schuldensünder im Süden müssen sich rechtfertigen. Sondern die Wachstumsbremsen in den Geberländern.

Vom Stabilitätsanker zur Wachstumsbremse

Allen voran in Deutschland: Hier sind die Aussichten so schlecht wie lange nicht  und wie kaum anderswo auf dem ganzen Kontinent. Im dritten Quartal ist die Wirtschaft in die Rezession gerutscht, für das Gesamtjahr rechnet die EU-Kommission mit einem Minus von 0,3 Prozent. Nur in Österreich, Schweden, Ungarn, Irland und im Baltikum wird ein noch größerer Einbruch erwartet. Mit dem Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts schießt sich Berlin noch zusätzlich ins Knie.

In den einstigen Schuldenstaaten läuft es dagegen blendend: In Spanien und Griechenland wird die Wirtschaft in diesem Jahr voraussichtlich um 2,4 Prozent wachsen, in Portugal um 2,2 Prozent und selbst in Italien um 0,7 Prozent. Und während die EU-Kommission bei ihrem jährlichen Haushaltscheck grünes Licht für die Etatpläne von Griechenland, Irland und Spanien im kommenden Jahr gegeben hat, sind Deutschland und Frankreich durchgefallen. Paris bekam sogar schon im Sommer den ausdrücklichen Rüffel, im kommenden Jahr höchstens 2,3 Prozent mehr auszugeben als in diesem Jahr  was die Macron-Regierung bislang geflissentlich ignoriert.

Die Marktverschiebung lässt sich vor allem an den Renditen der früheren Wackelkandidaten ablesen. Der Abstand zwischen den Zehnjahresanleihen aus Deutschland und Griechenland liegt inzwischen bei grade mal noch 1,2 Prozent  zu Hochzeiten der Schuldenkrise waren es über zehn Prozent. Bei Spanien beträgt der Aufschlag noch knapp 1 Prozent, bei Portugal sogar nur 0,6 Prozent. Die kleineren Euro-Staaten haben ihre Budgetzahlen deutlich verbessert und ihr positiver Ausblick zeigt sich in den europäischen Anleihemärkten, zitiert Bloomberg einen Analysten der Société Générale.

Schubladen für Euro-Anleihen gibt es so nicht mehr

Für die Commerzbank etwa sind die Veränderungen so gravierend und nachhaltig, dass das alte Rasterdenken in der Eurozone ausgedient hat. Die traditionelle Ländereinordnung auf den Märkten ist zerbrochen, zitiert Bloomberg den Coba-Zinsstrategen Michael Leister. Die Fundamentaldaten rechtfertigen die lange etablierte Unterscheidung in Kernstaaten, Semi-Peripherie und Randstaaten nicht mehr.

An den strukturellen Schuldenniveaus und damit langfristigen Risiken ändert die Konvergenz der Renditeabschläge vorerst freilich nichts. Obwohl sich Athens Schuldenquote momentan im schnellsten Tempo der ganzen Eurozone verringert, türmt sich Griechenlands Schuldenberg weiterhin auf gigantische 161 Prozent der Wirtschaftsleistung auf. Bei Deutschland sind es dagegen gerade mal rund 65 Prozent.

Dennoch kann der stetige Wandel die Rechnung vieler Investoren verändern. Denn drei Viertel der griechischen Staatsschulden werden von den EU-Rettungsschirmen gehalten. Das macht sie inzwischen zur fast so sicheren Bank wie Deutschland. Solange die einstigen Randstaaten auf Reform- und Wachstumskurs bleiben, dürfte der Appetit der Investoren für ihre Anleihen daher nicht nachlassen. Für etwas mehr Rendite werfen sie ihre alten Denkmuster offenbar gerne über Bord.

Der Beitrag ist zuerst bei ntv.de erschienen

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