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Kolumne Italien zwischen Kompromiss und Schuldenkrise

Lega-Chef Matteo Salvini repräsentiert zwar nur den kleineren Partner in der Regierung, mit seinen radikalen Sprüchen gibt er aber den Takt vor
Lega-Chef Matteo Salvini repräsentiert zwar nur den kleineren Partner in der Regierung, mit seinen radikalen Sprüchen gibt er aber den Takt vor
© dpa
Lega-Chef Salvini treibt die Regierung vor sich her, an der er selbst beteiligt ist. Platzt die Koalition in Italien könnte er selbst Regierungschef werden. Holger Schmieding über das Risiko einer Schuldenkrise in Europas viertgrößter Volkswirtschaft

Wer regiert Italien? Nahezu täglich versichern Ministerpräsident Giuseppe Conte und sein Finanzminister Giovanni Tria ihren europäischen Partnern, Rom werde sich an die europäischen Schuldenregeln halten. Gleichzeitig drohen die Chefs der beiden Regierungsparteien, Matteo Salvini von der rechtsradikalen Lega und Luigi Di Maio von den populistischen Fünf Sternen, immer wieder lautstark mit dem Gegenteil. Bei ihren kostspieligen Plänen für Italien würden sie sich keinen Deut um europäische Regeln scheren. Schließlich gehe es um die Zukunft ihres Landes. Italien zuerst.

Erklären lässt sich dieser Widerspruch durchaus. Obwohl die beiden Parteichefs jeweils auch stellvertretende Ministerpräsidenten sind, wollen sie vor allem ihre Wähler bei Laune halten. Schließlich kann es durchaus sein, dass ihre Koalition im Herbst platzt . Bei Neuwahlen könnte dann Salvini auf einen Erfolg wie bei den Europawahlen hoffen, um selbst Premierminister werden zu können. Gleichzeitig müssen die Fünf Sterne darauf achten, ihren Absturz aufzufangen. Der jeweiligen Basis starke Botschaften aufzutischen kann da helfen.

Durchhalten lässt sich dieser Widerspruch aber nicht auf Dauer. Im Herbst oder Winter kommt die Stunde der Wahrheit. Entweder rudern die radikalen Parteichefs bei ihren Haushaltsplänen zurück. Oder Italien rutscht in eine Krise ab, die das Land in seinen Grundfesten erschüttern und auch Europa insgesamt in Mitleidenschaft ziehen könnte.

Italien zahlt einen hohen Preis

Die Radikalen der Lega und der Fünf Sterne regieren bereits seit einem Jahr in Rom. Ihr bisheriges Verhalten ist recht aufschlussreich. Sie haben Italien insgesamt erheblich geschadet. Mit ihrer lautstarken Rhetorik haben sie Investoren verschreckt. Schlimmer noch: Sie haben einige Arbeitsmarktreformen zurückgenommen. Kündigungen sind für Unternehmen wieder teurer geworden, der Spielraum für Zeitverträge ist enger geworden. Dieses vorgebliche Ausweiten von Arbeitnehmerrechten lässt sich politisch zwar gut verkaufen. Aber die Folge ist fatal. Dank einiger Arbeitsmarktreformen, die vor allem der Sozialdemokrat Matteo Renzi in seiner Zeit als Premierminister vorangetrieben hatte, legte die italienische Beschäftigung von 2013 bis Mitte 2018 spürbar zu. Seit dem Amtsantritt der radikalen Regierung ist der Aufwärtstrend gebrochen. Anders als im Rest der Eurozone stagniert die Beschäftigung.

Der hohe Preis, den Italien für seine radikale Regierung zahlt, zeigt sich auch in dem Risikoaufschlag für italienische Staatsanleihen von etwa 2,5 Prozentpunkten gegenüber deutschen Bundesanleihen mit zehnjähriger Restlaufzeit. Würde Italien von den Märkten ähnlich wie Spanien bewertet, wie es früher zumeist der Fall war, könnte es sich das Geld für zehn Jahre zu 0,4 Prozent statt zu 2,2 Prozent leihen. Der Unterschied macht mehr als 5 Mrd. Euro pro Jahr aus.

Rendite zehnjährige italienische Staatsanleihe

source: tradingeconomics.com

Angesichts der hohen Staatsschulden von 132 Prozent der Wirtschaftsleistung, der Stagnation am Arbeitsmarkt und des hohen Risikoaufschlages für italienische Anleihen bleibt das Risiko einer italienischen Schuldenkrise real. Aber eintreten wird es vorläufig vermutlich nicht. Denn trotz aller großspurigen Worte der radikalen Parteiführer hat die Regierung Conte sich bisher als durchaus lernfähig erwiesen. Von den großen Ankündigungen aus dem Wahlkampf 2018 hat Rom nur einen kleinen Teil umgesetzt. Vor allem das Bürgergeld für alle wird nur in so kleinem Umfang und an so wenige Bürger ausgezahlt, dass das Staatsdefizit für 2019 wohl bei 2,5 Prozent liegen wird. Damit überschreitet Italien zwar die mit der EU ursprünglich vereinbarten 2,0 Prozent. Aber der Abstand ist nicht so groß, dass sich daran kein großer Streit entzünden muss.

Brüssel sitzt am längeren Hebel

Dagegen droht Italiens Staatshaushalt für 2020 zur großen Belastungsprobe zu werden. Zwischen den Plänen, die Salvini und Di Maio miteinander verabredet haben, und den Vorgaben der EU klafft eine Lücke von 30-40 Mrd. Euro. Beispielsweise ist Italien verpflichtet, seine Mehrwertsteuer 2020 von 22 Prozent auf mindestens 24 Prozent anzuheben, wenn es nicht gleichwertige Einsparungen anderswo durchsetzen kann. Sowohl die höhere Mehrwertsteuer als auch Einsparungen haben Salvini und Di Maio bisher ausgeschlossen.

Brüssel sitzt am längeren Hebel. Es kann zwar Italien nicht zu einer soliden Haushaltspolitik zwingen. Auch die Drohung mit Sanktionen in einem Defizitverfahren ist eher zahnlos. Aber die Märkte legen Wert auf das Urteil aus Brüssel. Wenn es kracht, wackeln die Banken in Italien, nicht in Brüssel. Italien würde den Zugang zum Kapitalmarkt verlieren, nicht Frankreich, Belgien oder Finnland. Deshalb rechnen wir damit, dass Italien letztlich hinreichend nachgeben wird , um entweder ein Strafverfahren oder zumindest eine Strafe zu vermeiden. Brüssel wird sich dabei wieder als hinreichend flexibel erweisen, aber dennoch darauf bestehen, dass Italien seine Ausgabenpläne eingrenzt.

Vorläufig wird Brüssel wahrscheinlich vorsichtig vorgehen. Es wird zwar mit Konsequenzen drohen, aber Italien weiter Zeit einräumen, seine Pläne zu überdenken. Italiens Stimme wird gebraucht, um beispielsweise in den kommenden Tagen –oder Monaten - ein Personalpaket für die europäischen Spitzenposten zu schnüren. Da vor allem die Haushaltspläne für 2020 und nicht für 2019 strittig sind, kann Brüssel sein Urteil sicherlich bis weit in den Herbst hinein vertagen. Bis dahin hat sich möglicherweise auch die politische Lage in Italien geklärt.

Wie würde Salvini als Regierungschef agieren?

Neuwahlen wären ein weiterer Grund für Brüssel, zunächst einmal eher abzuwarten. Vieles von dem, was im Wahlkampf heiß gekocht wird, wird dann anschließend doch nur lauwarm serviert. Sollte Salvini im Herbst selbst an die Macht kommen, vermutlich in einer Koalition mit den rechtsradikalen Fratelli d’Italia und den Resten von Silvio Berlusconis Forza Italia, könnte er sich gezwungen sehen, ähnlich pragmatisch vorzugehen wie der jetzige Regierungschef Conte. Denn da er so sehr die politische Szene beherrscht, würden viele Italiener eine Krise wohl ihm anlasten. In einer Schuldenkrise könnte eine Regierung Salvini schnell scheitern.

Die Risiken sind hoch. Salvini könnte die jetzige Regierung jederzeit stürzen. Ob er als neuer Premier tatsächlich hinreichend pragmatisch wäre, ist eine offene Frage. Aber die Logik spricht dafür, dass er an den Schalthebeln der Macht letztlich doch die Politik des fiskalischen Durchwurstelns fortsetzen würde. Der Druck der Märkte dürfte ihm klar machen, dass eine echte Schuldenkrise seine politischen Zukunftschancen schnell zerstören könnte. Viele Italiener applaudieren zwar Salvinis starker Rhetorik. Die Zahl der Italiener, die ihre Gehälter und Renten lieber in schwacher Lira als in starken Euros ausgezahlt haben möchten, ist aber zum Glück sehr begrenzt. Ich rechne deshalb damit, dass Rom und Brüssel letztlich wieder einen Haushaltskompromiss finden werden. Rom wird nachgeben, Brüssel wird mindestens ein Auge fest zu drücken.

Damit wäre das Thema Italien natürlich nicht erledigt. Unabhängig vom Ausgang des Streits um den Haushalt 2020 bleibt die langfristige Sorge. Italien ist strukturell zu schwach. Entweder es reformiert sich nach dem Vorbild Spaniens, Deutschlands oder Frankreichs, das unter Macron derzeit große Fortschritte macht. Oder Italien bleibt ein Wackelkandidat, der dann eines Tages doch in eine echte Schuldenkrise abrutschen könnte, auch wenn dies für 2019 noch nicht sehr wahrscheinlich ist.

Holger Schmieding ist Chefvolkswirt der Berenberg Bank. Er schreibt hier regelmäßig über makroökonomische Themen.

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