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Interview „Italien wird erkennen, dass Konfrontation keine gute Lösung ist“

Peter Bofinger ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Würzburg. Seit März 2004 gehört er dem Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung an
Peter Bofinger ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Würzburg. Seit März 2004 gehört er dem Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung an
© Sachverständigenrat
Das hochverschuldete Italien gilt als Risiko für die Eurozone. Der Ökonom Peter Bofinger kritisiert den Konfrontationskurs der populistischen Regierung in Rom – trotzdem will er dem Land im Rahmen einer Investitionsinitiative für den Euroraum helfen

Capital: Professor Bofinger, wann muss spätestens eine Lösung gefunden werden, um in der Causa Italien eine Katastrophe zu verhindern?

PETER BOFINGER: Italien hat schon seit langem einen relativ hohen Schuldenstand, aber die Zinsbelastung ist durch die niedrigen Zinsen erheblich zurückgegangen. Das ist eine starke Entlastung, denn selbst wenn die Zinsen jetzt ansteigen, ist die Zinsbelastung im Vergleich zu früheren Zeiten deutlich geringer. Deswegen würde ich die Katastrophe noch nicht an die Wand malen.

Ist der italienische Schuldenberg also weniger gefährlich als viele Kommentatoren behaupten?

Wie gesagt, Italien hat relativ lange schon so einen hohen Schuldenstand und entscheidend ist die Zinsbelastung. Aber es ist ganz klar, dass dieser Schuldenstand jetzt, wenn möglich, nicht weiter ansteigen sondern abgebaut werden sollte. Keine Frage.

Wie würden Sie das Vorgehen der italienischen Regierung beurteilen?

Das würde ich, vorsichtig formuliert, als nicht glücklich beschreiben. Ich finde es problematisch, dass man falsche Prioritäten setzt. Die Priorität auf mehr Sozialleistungen, Steuersenkung und die Rücknahme von Rentenreformen zu setzen, geht in die falsche Richtung. Ich glaube außerdem, es ist generell nicht hilfreich, wenn Regierungen von Mitgliedsstaaten einen Konfrontationskurs zur Europäischen Kommission einnehmen.

Weshalb?

Wir haben im Fall Griechenlands ja erlebt, wie wenig das bringt. Der damalige Finanzminister Yanis Varoufakis und Regierungschef Alexis Tsipras, die auf Konfrontation zur Europäischen Kommission gegangen sind, haben ein erhebliches Misstrauen an den Finanzmärkten hervorgehoben. So wurden massive Probleme geschaffen: Der Aufschwung wurde abgewürgt, es kam zur Kapitalflucht und der Schließung von Banken. Am Ende musste Herr Tsipras einschwenken.

Die Reaktion der Finanzmärkte war also zu erwarten?

Es ist kontraproduktiv zu sagen „wir halten uns nicht an die Regeln“. Die Zinsen für italienische Anleihen sind auch deshalb gestiegen. Mit so einer Haltung macht man sich das Leben unnötig schwer.

Welche Optionen hat denn Italien jetzt?

Der Stabilitäts- und Wachstumspakt ist durchaus ein flexibles Regelwerk. Es gibt für besondere Probleme durchaus Spielräume. Ich halte es für angeraten, diese Spielräume zu suchen und für zukunftsorientierte Investitionen zu nutzen. Das ist aus meiner Sicht eigentlich die einzig vernünftige Lösung, die es in diesem Augenblick für Italien gibt. Unter anderem an die deutsche Adresse geht die Frage nach einer gemeinsamen Investitionsinitiative für den gesamten Euroraum.

Sie würden also ein gemeinsames Investitionsprogramm für den Euroraum vorschlagen?

Ja, wir sehen die große Unzufriedenheit der Menschen z.B. in Frankreich. Es gilt zu überlegen, wie wir gemeinsam Ziele definieren, welche die Lebensqualität der Menschen verbessern - und wie wir dafür finanzielle Spielräume im Regelwerk schaffen.

Stünde dieses Investitionsprogramm in Einklang mit dem Stabilitäts- und Wachstumspakt?

Solch ein Investitionsprogramm würde die sogenannte goldene Regel in der Finanzpolitik umsetzen, dass Zukunftsinvestitionen auch über den Kapitalmarkt finanziert werden können. Das wäre etwas, was im Stabilitäts- und Wachstumspakt schon an anderer Stelle angelegt ist.

Wie bewerten Sie das Risikopotential der italienischen Banken im Hinblick auf eine Krise?

Die italienischen Banken haben zwar einen relativ hohen Bestand an notleidenden Krediten, aber konnten diesen in den vergangenen Jahren auch abbauen. Entscheidend ist, dass die Banken in ihren Bilanzen entsprechende Wertberichtigungen vorgenommen haben. Die Banken stehen ja unter Beobachtung der Bankaufsicht, die u.a. dafür sorgt, dass für notleidende Kredite entsprechendes Kapital zur Verfügung steht.

Welche Rolle spielt die Politik der Europäischen Zentralbank (EZB) für die jetzige Entwicklung in Italien?

Die EZB-Politik hat eigentlich allen Ländern geholfen, nach der Krisenphase von 2011 bis 2013 wieder auf einen guten Wachstumspfad zu kommen. Sie hat einen monetären Rahmen geschaffen, der zusammen mit einer Abkehr von der rigiden Sparpolitik in dem Euroraum zu einem ganz ordentlichen Wachstum geführt hat. Italien konnte leider nicht zu 100 Prozent davon profitieren aber auch die italienische Wirtschaft ist seither wieder gewachsen.

Wäre denn ein Ausscheiden Italiens aus der Eurozone denkbar. Beispielsweise wenn die Staaten der EU nicht bereit wären im Falle einer Staatspleite Garantien für Italien zu übernehmen?

Ich will nicht spekulieren, aber ich glaube, wir sehen, dass die jetzige Regierung dabei ist, eine Kehrtwende zu vollziehen und von Konfrontation zu Kooperation überzugehen. Ich denke, allen ist klar, dass es keine gute Lösung ist, die Integrität des Euroraums in Frage zu stellen. Wenn dieser Geist einmal aus der Flasche gelassen wird, kriegt man ihn nicht mehr rein.

Wie sollten Deutschland und die EU sich Ihrer Meinung nach positionieren?

Man muss den Euroraum zusammenhalten. Die italienische Regierung zeigt sich ja kompromissbereit. Jetzt wäre der richtige Zeitpunkt, um über das bereits angesprochene Investitionsprogramm zu reden. Ich finde es problematisch zu sagen „alle Probleme in Italien sind selbst verschuldet“, weil es auch Probleme gibt, die ein Land von außen treffen.

Zum Beispiel?

In Italien ist auch ein Teil des Problems, dass die Produktpalette seiner Wirtschaft besonders negativ vom wachsenden Wettbewerb aus China und Osteuropa getroffen wurde. Wir hatten Glück, dass unsere Autos und unsere Maschinen unheimlich gefragt waren. Aber auch in Deutschland gibt es Regionen, die sehr darunter gelitten haben. Es ist wichtig, nicht immer nur schwarz-weiß zu malen. Natürlich muss Italien auch aus eigener Kraft wettbewerbsfähiger werden, aber wir sollten dazu beitragen, dass das Land diesen Strukturwandel gut bewältigen kann.

Ist es nicht auch so, dass einige Investitionsprojekte in Italien jetzt aus politischem Kalkül brachliegen? Nehmen wir z.B. das Schnellbahn-Projekt Turin-Lyon, das schon finanziert ist, jetzt aber nicht fertig gebaut wird, weil die Wähler der 5-Sterne Bewegung dagegen sind.

Es gibt, glaube ich, niemanden der sagt, das politische System in Italien sei toll. Natürlich gibt es da gravierende Probleme. Aber es ist eben nicht alles schwarz-weiß.

Sollte man ein speziell auf Italien zugeschnittenes Vorgehen anwenden?

Ich glaube, man sollte keine Sonderregeln für Italien machen. Aber man sollte die Flexibilität, die der Stabilitäts- und Wachstumspakt bereithält in einer großzügigen Form nutzen.

Aber wie kann Italien denn unterm Strich selbst aus seinen strukturellen Wirtschaftsproblemen herausfinden?

Italien braucht Investitionen vor allem in die Infrastruktur, die sich in sehr schlechtem Zustand befindet, und in der Bildung.

Abschließend: Was ist Ihre Prognose, kommt es zwischen Italien und der EU zu einer Eskalation oder einer Einigung?

Ich glaube, dass eher die Einigung kommt und bezeichne das als Tsipras-Effekt. Die Politik wird erkennen, dass Konfrontation keine gute Lösung ist.

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