Je mehr schreckliche Bilder russischer Kriegsverbrechen auftauchen, umso mehr wächst der politische Druck, endlich ein Erdgasembargo gegen das Reich Putins zu verhängen. Die Ukrainer fordern es seit dem ersten Kriegstag, die Mehrheit der Deutschen ist nach allen Umfragen dafür, aber Politik und Wirtschaft sperren sich dagegen.
Sind wenigstens alle Argumente ausgetauscht in der Debatte, die nun seit Wochen in Deutschland tobt? Leider nein. Die Diskussion krankt an vielen Defiziten. Und sie verbirgt die Geschäftsinteressen einiger besonders lauter Mahner, die vor einem apokalyptischen Zusammenbruch der deutschen Wirtschaft warnen, sollte sich die Bundesregierung doch noch zu einem harten Schnitt durchringen.
Sieben Bemerkungen zu einem Thema, das uns in den nächsten Wochen immer wieder einholen wird:
Erstens vermischen viele in der Debatte Erdgas, Erdöl und Kohle. Während ein sofortiger Stopp der Gaslieferungen in der Tat zu erheblichen Problemen in unserer Industrie führen würde, sieht die Lage bei Erdöl und Kohle ganz anders aus. Ein Embargo wäre bei diesen Energieträgern auch kurzfristig machbar, würde allerdings einen weiteren großen Preisschub in Deutschland auslösen. Damit müssten wir fertig werden – und wir könnten es auch.
Zweitens löst die Bundesregierung in der Debatte einen großen Widerspruch nicht auf. Nach den Worten von Robert Habeck können wir „damit umgehen“, wenn Putin den Hahn zudreht. Aber ein Embargo soll zum Zusammenbruch weiter Teile unserer Industrie führen. Wie geht das zusammen? Solange die Bundesregierung dies nicht erklären kann, muss man ihr intellektuelle Unredlichkeit vorwerfen.
Drittens betrachten wir die Folgen eines Erdgasembargos bisher ausschließlich durch die nationale Brille. Kein Zweifel: Der deutsche Notfallplan trifft einige Konzerne schwer – bis hin zur Abschaltung weiter Teile ihrer ganzen Produktion. Aber ob die Lieferketten damit im ganzen Land reißen, entscheidet sich nicht bei uns allein. In vielen Fällen lassen sich die Folgen durch Lieferungen aus anderen Teilen der Welt ausgleichen.
Wirtschaft schiebt schwarzen Peter weiter
Viertens beruhen viele Berechnungen der Regierung ausgerechnet auf den Angaben von den Konzernen, die über die größten kommerziellen Eigeninteressen an einem weiteren Bezug von russischem Erdgas verfügen. Das gilt vor allem für den Chemiekonzern BASF, dessen Vorstand in der Debatte das größte Wort führt, dabei aber in der Regel verschweigt, dass er über seine direkte Beteiligung an zwei großen Erdgasfeldern in Westsibirien pro domo spricht. BASF müsste Milliarden Euro abschreiben, wenn es zu einem Embargo kommt.
Fünftens rechnen die Embargogegner die Möglichkeiten eines Ausgleichs durch Lieferungen aus anderen Ländern ziemlich herunter. Der Markt für Erdgas ist zwar nicht so flexibel wie der Erdölmarkt, aber er reagiert auf Preissignale. Es geht also nicht darum, ob wir überhaupt Erdgas aus anderen Ländern kurzfristig bekommen können, sondern zu welchem Preis.
Sechstens wären die Argumente der Embargo-Gegner glaubwürdiger, wenn sie mit deutlichen Anstrengungen verbunden wären, neue Quellen zu erschließen. Wer an den üblichen Ausschreibungsverfahren und Genehmigungsfristen festhält, der verschiebt die Möglichkeit immer weiter nach hinten, ums aus der Abhängigkeit von russischen Lieferungen zu befreien. Das gilt nicht nur für die LNG-Terminals, sondern für viele andere Lösungen auch. So bieten die Niederländer zum Beispiel eine Erhöhung ihrer Erdgasproduktion an, wenn auch Deutschland mitzieht. Reaktion aus Berlin? Bisher Fehlanzeige. Was in Deutschland fehlt, ist ein Gefühl nationaler Anstrengung, uns mit allen Mitteln aus der gefährlichen Abhängigkeit von einem Massenmörder zu befreien.
Siebtens – und am wichtigsten: Wer einen Erdgasboykott für unmöglich erklärt, sollte aus ethischen Gründen in der Debatte auch Vorschläge liefern, wie man Putin auf anderen Wegen in die Knie zwingen und damit die Bedingungen für ein Ende des Kriegs verbessern kann. Die lautstarken Gegner von Sanktionen sagen dazu kein einziges Wort. Die Wirtschaft schiebt den schwarzen Peter an die Politik – und die Politik verweist auf die Wirtschaft, um ihre eigene Untätigkeit zu begründen. Es fehlt an Entschlossenheit, Kreativität und Mut. Deutschland ist dabei, sich als Bremser der Sanktionen auf Jahrzehnte im Westen zu isolieren. Auch dieser Faktor fehlt in den Debattenbeiträgen vieler Embargogegner.